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Krise der KlimabewegungJa, wir haben enttäuscht

Gastkommentar von

Carla Reemtsma

Fridays for Future hat ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Es ist zentral, die Klimakrise nicht nur als physikalisches Ereignis zu begreifen.

Klima- und Umweltzerstörung wird aktiv vorangetrieben, FFF-Protest vor dem Kanzleramt in Berlin am 6. November Foto: Stefan Boness

F ridays for Future ist eine politische Bewegung. Das ist, je nachdem, wen man fragt, entweder eine sehr banale oder eine sehr überraschende Erkenntnis. Zu Letzteren scheint auch Bernward Janzing zu gehören, der in der taz jüngst argumentierte, dass die Klimabewegung schleunigst zurückrudern und sich weniger ideologisch – heißt: politisch – ausrichten solle. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Die Frage beschäftigt viele – und das zu Recht: Wo steht die Klimabewegung? Die Massen, die noch vor wenigen Jahren mit Fridays for Future auf die Straßen gingen, gibt es heute nicht mehr. Es ist wichtig, ehrlich damit zu sein. Die bewegungspolitische und die bundespolitische Lage haben sich geändert. Heute auf dieselbe Weise auf die Klimabewegung zu blicken, wie wir es 2019 getan haben, wäre unangemessen und zeitvergessen. Die Klimabewegung hat sich weiterentwickelt und steht heute an einem anderen Punkt.

Wenn die politische Welt sich weiterdreht, liegt es an der Klimabewegung, Schritt zu halten. Heute bewegen die Menschen andere Themen als noch vor einigen Jahren. Sollte die Klimabewegung sich angesichts dessen – immer noch, wieder, ausschließlich? – auf die Kommunikation physikalischer Fakten konzentrieren? Nein. Wer denkt, die Klimakrise sei nur eine Aneinanderreihung klimaphysikalischer Ereignisse, irrt. Sie ist eine Krise der Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Das zu unterschlagen, würde der Bewegung zur Last fallen. Das aber deutlich zu machen, kann sie stärken.

Die Klimakrise stellt die Struktur unserer Gesellschaft tiefgreifend in Frage. Auf dem Spiel stehen Zukunft, Gerechtigkeit und der Erhalt unseres Planeten. Die Klimakrise bedroht akut Menschenleben – besonders dort, wo Menschen wenig zu ihr beitragen. Sie stellt deshalb die dringlichsten Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit – gerade weil ihre Treiber und ihre Hauptbetroffenen selten die gleichen Menschen sind und weil in der Konsequenz Ungleichheiten massiv verschärft werden.

Carla Reemtsma

ist Mitbegründerin und Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland. 2022 bekam sie den Umwelt­medienpreis der Deutschen Umwelthilfe.

Klima- und Umweltzerstörung ist selten neutral; sie wird aktiv vorangetrieben. Die Welt, in der die Klimakrise stattfindet und die Bedingungen, die sie möglich gemacht haben, sind damit zutiefst moralisch – und wenn man so will, ideologisch – geprägt. Klimaschutz ohne Moral, das ist am Ende immer eine Chiffre für weniger Klimaschutz, für verkürzten Techno-Optimismus und vor allem für eine mangelnde Problemanalyse.

Die Klimakrise stellt eine dringliche Gerechtigkeitsfrage, weil sie Ungleichheiten massiv verschärft

Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung hatte diese Macht- und Moralfragen erkannt. Es ist verlockend, vergangene Proteste im Sinne der eigenen Wünsche zu verklären, aber Parolen wie „Heute Tannen, morgen wir“ zeugen auch in der Anti-AKW-Bewegung von einem ähnlichen Bewusstsein wie heute: Die Klima- und Umweltbewegung hat schon immer darauf verwiesen, dass sie nicht bloß Wissenschaftskommunikation betreibt, sondern auf politische Fragen auch politische Antworten fordert. Zu einer „Klimareligion“ oder „ideologischen Wundertüte“ macht sie das nicht.

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Ein genauer Blick auf die Bewegung zeigt: Die Akteure haben sich in den vergangenen Jahren spezialisiert, professionalisiert und organisiert. Statt Massenprotesten gibt es jetzt Critical Masses, Baumhausdörfer, Ökolandwirte, das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“, die Kirchen und Schulen, die Solarpanele auf Dächer installieren und diejenigen, die Bürgerenergieparks organisieren, genauso wie die, die immer noch mit Fridays for Future oder Extinction Rebellion auf die Straße gehen.

Und ähnlich wie in Wyhl – einem konkreten Ort des Anti-Atom-Protests mit seinem lokalen, greifbaren Problem – kommen heute verschiedene Gruppen an Orten wie Lützerath oder Borkum zusammen. Ob Naturverbundenheit, Gerechtigkeitsfragen oder Bewahrung der Schöpfung: Unterschiedliche Menschen haben früher wie heute verschiedene Gründe, sich um das Scheitern der Klimapolitik zu sorgen.

Ein ernsthafter Blick auf die Klimabewegung zeigt aber auch: Sie ist ihrem Anspruch nicht immer gerecht geworden. Zu lange war und ist sie eine Bewegung weißer Aka­de­mi­ke­r*in­nen geblieben, die genau deshalb ihr Massenmobilisierungspotenzial nie ganz ausschöpfen konnte. Weil sie oft nicht deutlich machen konnte, dass es ihr nicht nur um reine klimaphysikalische Graphenkorrektur geht. Wenn die Klimabewegung wieder zu neuer Stärke kommen will, dann darf sie gerade nicht den Kardinalfehler begehen, sich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auszuruhen.

Stattdessen muss sie deutlich machen, worum es ihr geht: um gesamtgesellschaftliche Veränderungen, an deren Ende nicht Klimaschutz um jeden Preis steht, sondern ein gutes und sicheres Leben für alle – auch und besonders für diejenigen, die heute besonders unter der Klimakrise und ihren Folgen, aber auch unter der ungleich verteilten ökonomischen Last von Klimaschutzmaßnahmen leiden.

Denn in unserer Gesellschaft findet sich die ideologische Polarisierung, die so oft heraufbeschworen wird, kaum. Das Wissenschaftsbarometer 2025 zeigt: Auf eine umfassende gesellschaftliche Spaltung deutet wenig hin – nur auf punktuelle Spannungen und themenspezifische Unterschiede. Wenn die Klimabewegung heute Erfolg haben will, muss sie dort ansetzen: bei den Schnittmengen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen.

Dann darf sie nicht in vermeintlicher Neutralität versinken, sondern muss die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verbesserung in den Mittelpunkt stellen. Sie muss zeigen, dass Menschen bereit sind, die Klimakrise auch als ihre Krise zu begreifen. Sie muss ihre Gemeinsamkeiten betonen. Dann können Ak­ti­vis­t*in­nen genauso wie CDU-Mitglieder, Land­wir­t*in­nen und Grüne wieder gemeinsam für 1,5° C auf der Straße stehen. Für einen echten Erfolg müssen wir vor allem wieder die Hand zueinander ausstrecken. Und zugeben: Womöglich haben wir dochmehr gemeinsam, als wir manchmal denken.

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