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Korruption in der UkraineKein Ansporn in Zeiten des Krieges

Kommentar von

Barbara Oertel

Das Ausmaß der Korruption wird immer deutlicher. Es scheint nicht an einzelnen Köpfen zu liegen, sondern ein strukturelles Problem zu sein.

Die Ukraine versucht derzeit die Korruption in den Schlagbaum zu weisen und dabei wird immer klarer wie weit der Skandal geht Foto: imago/Norbert Neetz

D ass die Ukraine ein veritables Problem mit Korruption und Vetternwirtschaft hat, ist hinlänglich bekannt. Doch das Ausmaß des Skandals namens „Schlagbaum“, der dieser Tage scheibchenweise ans Licht kommt und bis in höchste Regierungskreise reicht, lässt einem den Atem stocken. Besonders pikant ist der Umstand, dass der Unternehmer Timur Minditsch, ein enger Freund von Präsident Selenskyj, einer der wichtigsten Drahtzieher und Profiteure ist. Sich ungeniert bereichern, noch dazu in Zeiten eines brutalen Krieges mit täglich weiteren Toten, Verletzten und Zerstörungen – skrupelloser und widerwärtiger geht es nicht.

Federführend bei den laufenden Untersuchungen ist das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (Nabu) – eine von mehreren Behörden, die Selenskyj vor einigen Monaten kaltstellen und dem Generalstaatsanwalt unterstellen wollte. Tagelange Massenproteste der Bevölkerung vereitelten dieses Vorhaben. Schon damals wurden Vermutungen laut, Selenskyj wolle mit dieser Aktion Personen aus seinem engsten Umfeld aus der Schusslinie nehmen. Sollten sich die jetzt erhobenen Anschuldigungen als wahr herausstellen, wäre ein weiterer Beweis erbracht.

Wie weiter? Mit den Rücktritten des Justizministers German Haluschtschenko und der Energieministerin Switlana Hryntschuk ist es nicht getan. Zumal die Volksseele schon jetzt kocht. Angesichts massiver fortdauernder russischer Angriffe auf die kritische Infrastruktur wissen die Menschen nicht, wie sie den bevorstehenden Winter überstehen sollen. Auch im Osten des Landes läuft es für Kyjiw nicht gut. Es könnte nur noch eine Frage von Tagen sein, bis die strategisch wichtige Stadt Pokrowsk im Donbass fällt. Zudem sind diese korrupten Machenschaften nicht unbedingt ein Ansporn für die westlichen Partner der Ukraine, das Land, weiter zu unterstützen.

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Noch halten sich die Verantwortlichen bedeckt, doch der Präsident wird sich erklären müssen. Vor allem auch innenpolitisch gilt: Selenskyj sollte sich warm anziehen. Wie sagte ein Kriminalbeamter so schön: Fortsetzung folgt!

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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