Diskussion um Minijobs: Weg mit dem Minijob! Ran an die unbequemen Fragen
556 Euro jeden Monat abgabenfrei: Klingt gut? Nein. Der Minijob sorgt für Ungerechtigkeit – und hält Frauen in der klassischen Rollenverteilung gefangen.
U nser Steuer- und Sozialabgabensystem ist hochgradig ungerecht. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Eines: die sogenannten Minijobs. Der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, Stefan Nacke, bezeichnete sie in der Süddeutschen Zeitung als „Systemfehler“. Durch sie würden Kosten der Absicherung von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit auf die Allgemeinheit verlagert. Und sie würden Menschen aus regulären Jobs fernhalten. Auch viele andere wollen Minijobs nun abschaffen. Recht haben sie.
Beim klassischen Minijob, im Sozialversicherungsjargon als geringfügige Beschäftigung bezeichnet, darf ein Mensch pro Monat für maximal 556 Euro einer Beschäftigung nachgehen, ohne dass Abgaben, wie für die Krankenkasse, fällig werden. Dabei muss er mindestens nach Mindestlohn bezahlt werden – er könnte aber auch einfach pro Monat eine Stunde arbeiten und dafür 556 Euro in Rechnung stellen.
Eigentlich wurde diese Art des Geldverdienens, bei dem brutto gleich netto ist, für Schüler:innen, Student:innen, Rentner:innen und Hausfrauen konzipiert; Menschen also, die schon auf andere Weise sozial abgesichert sind. Wer diese Jobs ausführt, lebt nicht zwangsläufig in prekären Verhältnissen. Ein Minjobber, das kann auch der Ingenieur sein, der in Rente ist und seine frühere Firma nun ein paar Stunden pro Monat berät, wofür er 556 Euro auf seine Boomerrente obendrauf bekommt.
Ein Minijob kann auch als Nebenbeschäftigung zusätzlich zum eigentlichen Job ausgeübt werden. Es kann also jede:r normale Arbeitnehmer:in jeden Monat über 500 Euro steuer- und abgabenfrei dazuverdienen. Und darin liegt eine große Ungerechtigkeit: Würde jemand zum Beispiel seine Arbeitszeit so reduzieren, dass er:sie 500 Euro monatlich weniger verdient, und dann via Nebenjob wieder 500 Euro dazuverdienen, hätte er:sie brutto wieder genauso viel, netto aber deutlich mehr. Nicht nur, weil für den Zuverdienst keine Abgaben gezahlt werden müssen, sondern auch wegen der Steuerprogression. Im Grunde wäre das also für jeden Menschen lukrativ: Vollzeitjob reduzieren und zusätzlich einen Minijob ausüben. Für die Gesellschaft gut wäre dieser Abgabenrabatt nicht.
Rüge von der OECD
Minijobs sind außerdem auch ein feministisches Thema. Die OECD hat Deutschland bereits für seine Arbeitsmarktpolitik gerügt, unter anderem wegen der geringen Anreize für Frauen, Vollzeit zu arbeiten. Das hat zahlreiche Gründe, zwei davon sind Minijobprinzip und Ehegattensplitting. Denn arbeitet eine verheiratete Frau mehr als die 556 Euro, muss sie selbst in die Krankenkasse einzahlen und ist nicht mehr über ihren Mann mitversichert. Ihr Einkommen wird zudem mit dem ihres Mannes verrechnet, sodass eine höhere Steuerschuld entsteht. Sofern eine Frau nicht insgesamt viel verdient, entsteht schnell ein Nullsummenspiel oder der effektive Stundenlohn der Frau ist sehr gering. Der Minijob hält Frauen also in der klassischen Rollenverteilung fest.
Und dann wäre da nicht zuletzt das Problem, dass zahlreiche Menschen in Minijobs gefangen sind, die eigentlich lieber mehr arbeiten und verdienen würden, denen solche Jobs aber nicht angeboten werden – dazu tragen auch Minijobs bei. Denn durch die müssen Arbeitgeber:innen weniger Sozialabgaben und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall leisten, der Kündigungsschutz schwindet. Zahlreiche Minijobber sind für die Arbeitgeber:innen lukrativer als weniger Mitarbeiter:innen, die dafür aber mehr arbeiten. Laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung haben Minijobs allein in kleinen Betrieben rund 500.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt. Kein Wunder also, dass die Arbeitgeberverbände gegen eine potenzielle Abschaffung der Minijobs Sturm laufen, etwa der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter. Von der Regelung profitiert hauptsächlich die Wirtschaft.
Der Minijob gehört also auf den Prüfstand – um auch an die großen, unbequemen Fragen ranzugehen: Warum müssen Menschen, die noch nicht einmal genug für die Lebenshaltungskosten verdienen, überhaupt Abgaben zahlen? Warum ist eine verheiratete Frau, die keinem Beruf nachgeht, über ihren Mann versichert (was übrigens durch einen Steuerzuschuss finanziert wird), während sich eine unverheiratete Frau selbst versichern muss, selbst wenn sie kein Einkommen hat? Warum haben wir nicht einfach ein steuerfinanziertes Krankenversicherungssystem anstatt unseres Beitragssystems mit zahlreichen Ausnahmen und Sonderregeln?
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