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Wiedereinführung WehrdienstHandreichung fürs Ausmustern

Gereon Asmuth

Kommentar von

Gereon Asmuth

Um die Wehrfähigkeit zu beurteilen, sollen künftig alle jungen Männer von der Bundeswehr gemustert werden. Tipps und Tricks, wie man ausgemustert wird.

Wer bei den Aufklatschern aus einem perfekt funktionierenden Flugfahrzeug springt, der landet Freiwillig im Fleischwolf Foto: Thomas Fuhrmann/Zoonar/imago

J unger Mann, haben Sie eigentlich schon gedient? Das war eine vielfach gestellte Frage noch in den 1980er Jahren, gern von älteren Herren an die Zivildienstleistenden, die ihnen gerade den Arsch abwischten. Mit dem von der schwarz-roten Koalition angestrebten neuen Wehrdienstregel stellt sich diese Frage wieder – nur leicht abgewandelt. Beantworten muss sie jeder männliche Deutsche, der nach dem 1. Januar 2008 geboren wurde: Junger Mann, willst du Kanonenfutter werden?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat durchgesetzt, dass ganze Jahrgänge gemustert werden zwecks Einschätzung der Wehrfähigkeit, um „im Verteidigungsfall wirklich handlungsfähig sein zu können und wirklich zu wissen, wer ist denn überhaupt in der Lage, eingezogen zu werden“. Mit anderen Worten: An die Front muss man im Zweifel auch dann, wenn man nie beim Bund war.

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Wie aber kann man verhindern, dass man keine Ahnung von Tuten und Blasen, also Schießen und Töten hat, und dennoch eingezogen wird? Dafür bleiben drei Möglichkeiten:

1. Zum Bund gehen

Die sicherste Variante wäre: zur Bundeswehr gehen und sich ausbilden lassen. Das wäre – Hallo, Herr Verteidigungsminister! – auch die beste Werbemaßnahme, um genug Rekruten „freiwillig“ zum Dienst an der Waffe zu bewegen.

2. Ausmustern lassen

Wer auch im Ernstfall den Frontgang vermeiden will, kann versuchen, bei der Musterung durchzufallen. Die Altvorderen haben da – Opa erzählt vom Antikrieg! – jede Menge Tipps bereit, die sie nun gern an die Jugend weiterleiten. Aber welche helfen davon noch?

Hier der taz-Schnelltest:

Die West-Berlin-Karte: Umziehen ins „entmilitarisierte“ West-Berlin war der einfachste Fluchtweg für junge Männer, weil es dort eben keine Wehrpflicht gab. Ist heute aus bekannten Gründen („Mauerfall“) leider nicht mehr hilfreich.

Die Brille auf der Nase: Schlechte Augen waren tatsächlich mal ein Grund, um ausgemustert zu werden. Aber keineswegs ein verlässlicher. In den 1980ern wurden selbst stark Kurzsichtige tauglich als Scharfschütze gemustert.

Der Rückenschmerz: Ein Attest vom Arzt, das „Morbus Scheuermann“ oder andere Rückenleiden bescheinigt, sollte auch heute noch helfen. Denn ein schwacher Rücken schleppt sich nicht gern bei Gewaltmärschen zur Front.

Der Psycho-Trick: Wer eine Ärz­t:in findet, die einem psychische Labilität attestiert, hat gute Karten, ausgemustert zu werden. Man muss dafür nicht tatsächlich psychisch labil sein. Wichtig ist auch hier das Attest.

Suizid-Gedanken: Wer bei der Musterung anklingen lässt, dass ihm ein Tod an der Front ganz gelegen käme, darf auch damit rechnen, diesen Tod nicht sterben zu dürfen.

Schwul sein: Klappt nicht mehr. Die Bundeswehr gibt sich Gay-freundlich.

Die Nonbinär-Option: Hat schon mehr Potenzial. Denn zwangsgemustert werden nur Männer. Dank des Selbstbestimmungsgesetzes kann man sich seit 2024 aber auch als nonbinär oder Frau definieren – und wäre damit erst mal raus. Aber Vorsicht: Umgekehrt stellt das Transmänner vor die Frage, ob sie rechtlich nicht doch besser wehrpflichtfrei Frau bleiben sollten. Und ganz wichtig: Eine Neudefinition kurz vor einem Ernstfall zählt nicht. Laut Paragraf 9 des Selbstbestimmungsgesetzes bleibt die „rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht“, wenn sie erst weniger als zwei Monate vor Feststellung eines Ernstfalls geändert wurde.

Waffengeilheit: Klingt seltsam, aber gerade wer bei der Musterung drängend fragt, ab wann er eine Waffe bekommt, wird laut Insidern schnell mal ausgemustert.

Nazi-Image: Für viele auch überraschend: Die Bundeswehr hat kein Interesse daran, von extrem Rechten unterwandert zu werden. Wer bei der Musterung Wehrmachtbegeisterung oder Ähnliches äußert, könnte also ein „Nazis raus!“ zu hören bekommen. Wenn das aber nicht klappt, hängt man am Ende mit Nazis in der Kaserne, die sich bei der Musterung als Musterbürger präsentierten.

Arm dran, weil Bein ab: In dem Spielfilm „In die Sonne schauen“, der aktuell als deutscher Oscar-Kandidat gehandelt, wird der junge Fritz von seiner Familie zum Sturz vom Heuboden getrieben. Er verliert ein Bein, entgeht so aber bei der späteren Musterung dem Kriegsdienst. Könnte heute noch klappen. Aber Vorsicht: Beinamputierte können auch zur Steuerung von Drohnen eingesetzt werden.

3. Kriegsdienst verweigern

Alle Tipps zur Ausmusterung haben einen Haken: Sie garantieren keinen Erfolg. Wer wirklich sichergehen will, kann immer noch den Kriegsdienst verweigern. Das ist im Grundgesetz garantiert.

Ist hier Eile geboten? Vorerst nein. Zwar ist aktuell noch kein Ersatzdienst vorgesehen. Aber das könnte noch kommen. Und dann gilt wohl wie früher: Wer vor der Musterung verweigert, wird häufiger für tauglich befunden. Solange aber kein Ernstfall ausgerufen wird, ist man auch nicht dran. Wird es aber ernst, könnte es zu spät sein, um noch auf einen zivilen Umgang mit Verweigerern zu hoffen.

Was also tun? Wer nicht ahnungslos an der Front landen will, sollte beim Bund in die Lehre gehen. Wer nichts tun will, sollte am besten nichts tun. Wer aber nicht nur nichts tun will, sondern den Wehrdienst nicht mit seinen Werten vereinbaren kann, sollte umgehend verweigern. Das ist und bleibt eine Frage des Gewissens.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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