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Unterlassene Evakuierung von AfghanenMoralisch beschämend

Kommentar von

Martin Sökefeld

Af­gha­n*in­nen sollen gegen Geld auf ihre Aufnahme in Deutschland verzichten. Darauf antworten sie mit einem offenen Brief an den Bundeskanzler.

Deutschland zeigt mal wieder, wie Rassismus geht. Die davon betroffenen Afghanen reagieren mit Transparenz Foto: Moritz Frankenberg/dpa

W Wir alle haben eine offizielle Aufnahmezusage der deutschen Regierung und warten seit Monaten und seit Jahren unter ihrem Schutz in Pakistan und in Kabul auf unsere Evakuierung. Wir lernen gerade schmerzhaft, dass die neue Bundesregierung Deutschlands mit immer neuen Wegen versucht, den versprochenen Prozess zu beenden – ungeachtet der Tatsache, dass dadurch unser Leben in akute Gefahr von Tod und Gewalt gerät.“

Das schreiben die Afghan*innen, denen die Bundesregierung vergangene Woche Geld angeboten hat, wenn sie das humanitäre Aufnahmeprogramm „freiwillig“ verlassen, in einem Brief an Kanzler Merz. Sie fahren fort: „Wir sind nicht vor Armut geflohen, sondern vor Gewalt und Tod. Unter uns sind Mütter, deren Kinder vor Angst zittern, wenn nachts jemand an die Tür klopft; Väter, die in den Gefängnissen der Taliban gefoltert wurden; Töchter, denen das Recht auf Bildung genommen wurde.“

Es geht um Menschen, denen humanitäre Aufnahme in Deutschland versprochen wurde. Die jetzige Bundesregierung verschleppt die Verfahren und will die Verpflichtung, die die Ampelregierung eingegangen ist, mit allen Mittel loswerden. Ohnehin werden seit Jahren reihenweise Aufnahmeerklärungen zurückgenommen, meist ohne Begründung. Viele Af­gha­n*in­nen sind daher nun „illegal“ in Pakistan und jederzeit von Abschiebung nach Afghanistan bedroht.

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Einige Au­to­r*in­nen des Briefs wurden bereits nach Afghanistan abgeschoben. Sie betonen, dass das Geldangebot sie nun erst recht gefährdet: Sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan befürchten sie nun Erpressung. Einige wurden vom pakistanischen Geheimdienst befragt, ob sie das Angebot annehmen wollen.

Verbände von Ju­ris­t*in­nen bezeichneten das Angebot der Regierung als „moralisch beschämend, politisch desaströs und rechtsstaatlich ein Skandal“; sie fordern die unverzügliche Aufnahme der Afghan*innen. Kann man noch darauf hoffen, dass sich diese Regierung auf ihre rechtlichen und ethischen Verpflichtungen besinnt?

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31 Kommentare

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  • Es ist absolut gruselig, wie die Bundesregierung sich verhält, zu welchem Thema auch immer. Aber Versprechen dieser Art einfach aufzulösen ist einfach nur unmenschlich.



    Und was verspricht man sich davon? Wenn man mal einen Blick von Außen auf unser Land wirft, was da inzwischen los ist, wie kann man Deutschland überhaupt noch bei irgendetwas vertrauen?



    Das, was da jetzt läuft, ist auch eine Form von Willkür. Und wenn sich sowas mal einbürgert, wenn man das jetzt praktiziert, kann man es auch später nicht bekämpfen, nur weil einem die Ausrichtung der dann herrschenden Regierung gerade nicht passt.



    Dann sind Türen geöffnet, die nicht mehr zu schließen sind.



    Aber die Herren und Damen, die das unterstützen, sind ja mit ihren Schäfchen jetzt schon im Trockenen. So widerlich das alles.

  • Das Verhalten von CDU und SPD ist eine Schande für Deutschland.



    Die AdD muss offensichtlich gar nicht an die Macht kommen, damit ihre Politik gemAcht wird.

  • Immer schön weiter auf die eintreten, die sich nicht wehren können. Das machen Union und SPD wirklich klasse. Würden sie endlich mal auch nur 10% dieser verschwendeten Energie für gute Politik aufbringen. Aber sie müssen ja ihre Feindbilder pflegen

  • 33.000 Menschen aus Afghanistan hat Deutschland bisher aus verschiedenen Aufnahmeprogrammen aufgenommen. Programme welche die Ampelkoalition aus ethischen Gründen selbst ins Leben gerufen hat.

    Diese humane Selbstverpflichtung hat in Skandinavien für viel Aufmerksamkeit gesorgt und Deutschland den Ruf beschert die humanitären Wert auch in die Praxis umzusetzen, im Gegensatz zu manch anderen Ländern in Skandinavien.

    Jetzt warten seit ewigen Zeiten gerade einmal 1.850 Personen noch in Pakistan auf eine Visaerteilung und was tut Deutschland, anstatt die Sache zu einem würdigen Abschluss zu bringen, wird sie von der Vorgängerregierung erst ausgesessen und da dieses nicht auf ewig funktioniert, versucht es die jetzige Regierung mit einem Geldhandel, der nicht nur moralisch sondern schon in der Summe schäbig ist.

    Das ist geistige Kleinmeierei nach Gutsherrennart. Wo Generösität angebracht wäre, herrscht Kleingeistigkeit.

    In Schweden und Dänemark hat man das mit sehr viel Wohlwollen zur Kenntnis genommen. In Norwegen fühlt man sich jetzt darin bestätigt nur die afghanischen Ortskräfte (990 Pers. ) der norwegischen Verbände aufgenommen zu haben.

    Schade Deutschland, Chance verpasst.

  • Wie tief können Menschen noch moralisch sinken? Die Bundesregierung macht es gerade vor, wie das geht. Shame on you Bundesregierung! Shame on you CDU und SPD....

    • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

      Sehe ich auch so!

    • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

      Keine Sorge, die Regierung hat noch gut drei Jahre Zeit, zu zeigen, dass es noch viel tiefer geht. Die Union aus Überzeugung, die SPD dank fehlenden Rückgrats.

  • Betr. Untertitel zu Foto.



    Was hat die nicht Einhaltung der Zusagen mit Rassismus?

    • @Joen:

      Sehr viel, da die Zusagen lediglich aufgrund der Tatsache, dass es sich um Afghan:innen handelt, nicht eingehalten werden. Das ist Rassimus in Reinstkultur.

      • @Flix:

        Damit unterstellt man der Bunderegierung, dass sie rassistisch ist, was ich nicht so sehe. Die Vorgängerregierung ist recht großzügig mit den Zusage umgegangen .Die jetzige Regierung möchte halt die Zuwanderung mehr steuern bzw. die Armutszuwanderung einschränken.

        • @Joen:

          Doch, denn sie setzt in vielen Bereichen eine von Rassismus getriebene Politik um. Nimmt diverse Aussagen von Merz dazu, trifft das Sprichwort „Der Fisch stinkt vom Kopfe her“ auf diese Regierung leider zu.

        • @Joen:

          Ihnen ist doch sicherlich klar, daß Sie mit Ihren Aussagen, es richtig finden, daß Menschen, die sich in Afghanistan für Demokratie eingesetzt haben und den deutschen Friedenstruppen geholfen haben, in Lebensgefahr geraten. Ihre Ausführungen sind zutiefst unmenschlich!

          • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

            War für Kommentar von Joen bestimmt.

    • @Joen:

      Rassismus ist die Abwertung oder Benachteiligung von Menschen auch aufgrund der Herkunft. Es sortiert Menschen in Schubladen und behandelt sie ungleich – individuell, gesellschaftlich oder institutionell.

  • Es wird deutlich gemacht, was in Deutschland und Europa zählt. Geld. Mit dem versucht man sich, von Verpflichtungen FREIzukaufen.



    Die deutsche Regierung verkauft ihre Werte und Moral auf dem Altar des Egoismus und Geldes.



    Sowohl Gerechtigkeit als Werte sehen anders aus als das, was momentan in Deutschland präsentiert wird

  • Da ja gerade die meisten Länder Europas dabei sind Afghanen und Syrern große Summen für eine Rückkehr anzubieten, in Schweden sind bis 30000€ ipro Person m Gespräch, was ist denn jetzt das rechtlich und politisch Desaströse an dieser Maßnahme? Desaströs wäre eher weiter wie bisher meiner Meinung nach. Das die Merzadministration jetzt unbedingt gezwungen werden soll gegen ihre expliziten Wahlkampfversprechen und dem Willen der absoluten Mehrheit der Bevölkerung doch weiter Afghanen aufzunehmen, ist doch ein Bumerang im nächsten Wahlkampf.

    • @Šarru-kīnu:

      Die Merzadministration hat bei ihren expliziten Wahlkampfversprechen gewusst, dass sie gegen eine bestehende Zusage vorgeht und Verträge der Vorgängerregierung zu brechen ist nicht gerade üblich. Bis jetzt jedenfalls.



      Afghanen, Afghaninnen, die für die Demokratie einzustehen schon immer ein Risiko eingegangen sind, erst zu veranlassen, ihr Land zu verlassen und sich deutlich gegen die afghanische Regierung zu stellen, jetzt dazu zu zwingen, zurückzukehren, ist für mich eine indirekte Form von Mord oder kommt ihr sehr nahe. Wir wisssen doch, was diese Menschen bei den Taliban erwartet, oder wer zweifelt daran?



      Und um wie viele Leute geht es denn? Allen Ernstes die sollen uns ruinieren, wenn wir unser Versprechen einhalten?

    • @Šarru-kīnu:

      Naja, ist halt irgendwie schäbig, wenn man einerseits von der Gefahr des Islamismus schwadroniert, um anderseits 1) Menschen, die tatsächlich für "demokratische Werte" mit der BRD zusammengearbeitet haben und denen man nach der Übergabe Afghanistans an die jetzige islamistischen Machthaber dort Zusagen gemacht hat, es schmackhaft machen will, ob man nicht vielleicht doch dort ("unter seinesgleichen"?) wohler fühlt gegen ein paar Scheine, und 2) für die bessere Zusammenarbeit mit den Islamisten die Botschaften mit hoch sensitiven Daten ebenso an die Taliban übergeben wurden - die man ja aber ansonsten natürlich überhaupt noch nicht anerkennt.

    • @Šarru-kīnu:

      Was soll jetzt "in Schweden" in dieser Diskussion beitragen? Planen Sie nach Schweden auszureisen, um sich dann nach Afghanistan ausweisen zu lassen? Scheint ja eine attraktive Summe zu sein.



      Ich halte vor allem die Außenwirkung dieser Diskussion für desaströs. Deutschland erweist sich gerade als unzuverlässiger Partner was Zusagen und Garantien betrifft. Wenn gerade dumpfe Polemik angesagt ist, ist auf uns kein Verlaß mehr.

    • @Šarru-kīnu:

      Ihnen scheint es egal zu sein, daß es sich dabei um Menschen handelt, die sich vor der Herrschaft der Taliban in Afghanistan für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und den deutschen Friedenstruppen geholfen haben. Diesen Menschen droht bei ihrer Rückkehr Lebensgefahr. Deswegen hatten diese Menschen Aufnahmezusagen von der deutschen Bundesregierung erhalten, die jetzt einfach verzögert bzw. nicht eingehalten werden. Allein das ist absolut schäbig. Menschen, die so bedroht werden, noch Geld anzubieten, damit sie sich in Lebensgefahr begeben, ist noch schäbiger.

      • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

        Wer mal für die ISAF Wäsche gewaschen hat, ist nicht unbedingt ein Kämpfer für Demokratie. Da könnte man schon etwas genauer hinsehen; tausende Dolmetscher hatten wir nicht vor Ort.

  • C harakterlos



    D ummdreist



    U nehrlich

    Aber Hauptsache das Stadtbild...

  • Hilfestellung gut und schön. Aber ich verstehe nicht, warum denn alle einreisewilligen Migranten aus Afghanistan als Ortskräfte betittelt werden. Berechnet wurde, dass jeder sich in Afghanistan befindliche Deutsche etwas über 600 Ortskräfte unter sich hatte, inklusive des Sharia-Richters. Meines Erachtens ist da sehr viel schief gelaufen.

    • @Leningrad:

      Behauptet wurde dass "berechnet wurde". Können Sie dafür seriöse Belege beisteuern oder ist das persönliches Bauchgefühl?

    • @Leningrad:

      Nocheinmal, es handelt sich um Menschen aus Afghanistan, die seit Jahren in Pakistan festsitzen, OBWOHL sie von der Bundesregierung Aufnahmezusagen erhalten hatten. Darunter sind Menschenrechtler*innen UND Helfer der deutschen Friedenstruppen. Bei Rückkehr drohen diesen Menschen schwere Menschenrechtsverletzungen und Lebensgefahr.

  • Die Bundesregierung bleibt dabei, ihre neokolonialistischen Methoden auch bei humanitärer Hilfe anzuwenden.



    Viele afghanische Flüchtlinge warten schon seit Jahren in Pakistan, obwohl die Bundesregierung ihnen die Einreise nach Deutschland versprochen hat. Viele von ihnen sind Familienangehörige derjenigen, die bereits hier leben. Die werden durchleuchtet und kontrolliert, als ob sie sich für eine Stelle beim Geheimdienst bewerben würden.



    Die Bundesregierung will sie jetzt mit einem "Kopfgeld" von rund 2.500 Euro pro Person dazu bewegen, auf ihre Einreise zu verzichten.



    Ukrainische Geflüchtete hingegen haben sofort Bürgergeld bekommen. Und die Bootsflüchtlinge, die im Mittelmeer sterben, werden kaum noch gezählt.



    Man könnte das als eine Art "weißer Rassismus" sehen.

  • Unethisch, unchristlich und niederträchtig.



    €DU.



    und auch die ehemalige, rückgratlose spd.

    • @So,so:

      Auf einmal wird das Christliche rausgeholt... À propos: wann waren Sie das letzte Mal in der Kirche? Bzw. haben sich christlicherweise um Ihre Mitmenschen gekümmert?

      • @Leningrad:

        Es ist doch völlig irrelevant, ob „So,so“ in die Kirche geht. Das Problem ist die sich mit dem Label „christlich“ schmückende Union. Leider steht zu befürchten, dass es nach wie vor Wähler:innen gibt, die immer noch auf diesen Etikettenschwindel hereinfallen.

      • @Leningrad:

        Was soll jetzt Ihre Polemik? Natürlich ist das, was die CDU da macht zutiefst unchristlich. Fragen Sie mal die evangelische und katholische Kirche....

        • @Irm mit Schirm. 100% Antifa:

          Als Atheist hätte ich auch ein echtes Problem damit wenn die Regierungsparteien echte christliche Politik machen würden...