piwik no script img

Negative Sparquote in GriechenlandDer Staat hat Geld, die Griechen sind pleite

Griechische Privathaushalte konnten 2024 das dritte Jahr in Folge nicht sparen. Gleichzeitig wächst die Wirtschaft. Das ist ein Sonderfall in der EU.

Tja, der Staat hat Geld, doch die Bür­ge­r*in­nen nicht mehr Foto: Grigoris Sagmato/Matrix Images/imago

Von

Ferry Batzoglou aus Athen

Für die Griechen war 2024 – ökonomisch gesehen – ein weiteres verlorenes Jahr. Zwar stieg das verfügbare Einkommen der griechischen Privathaushalte um 6,9 Milliarden Euro von 151,7 auf 158,6 Milliarden Euro, das bedeutet ein Plus von 4,5 Prozent. Zugleich nahmen ihre Konsumausgaben von 155,4 Milliarden Euro im Jahr 2023 um 7,2 Milliarden Euro auf 162,6 Mrd. Euro im Jahr 2024 zu, wie jetzt veröffentlichte Daten des Statistischen Amts der Europäischen Union zeigen – ein Anstieg von 4,6 Prozent.

Somit fiel die Sparquote der Privathaushalte 2024 mit einem Minus von 2,5 Prozent negativ aus. „Negativ“ heißt, die Griechen konnten nicht nur nichts auf die hohe Kante legen. Sie mussten vom Ersparten leben, falls vorhanden. Damit war 2024 das dritte Jahr in Folge mit einer negativen Sparquote. 2023 schloss mit einem Minus von 2,4 Prozent, 2022 mit einem Minus von 5 Prozent.

Damit ist Griechenland in Europa ein Sonderfall, im gesamten Euroraum lag die Sparquote bei 15,4 Prozent. In Hellas hingegen ist die Sparquote bereits seit dem Jahr 2012 – dem ersten Höhepunkt der desaströsen Griechenlandkrise – negativ.

Nur in zwei Kalenderjahren drehte die hellenische Sparquote ins Plus: 2020 verzeichneten die griechischen Privathaushalte eine positive Sparquote von 0,7 Prozent, 2021 betrug sie gar 4,4 Prozent. Die simple Erklärung dafür: In den Coronajahren gaben die Griechen ob geschlossener Geschäfte einfach (noch) weniger Geld aus. Genauer: Der Rückgang des Konsums fiel größer aus als der Rückgang ihrer Einkommen.

Griechenland: Europameister bei der „subjektiven Armut“

Europameister für 2024 ist Griechenland ferner beim Index der sogenannten „subjektiven Armut”. Er spiegelt die Wahrnehmung der Privathaushalte darüber, „wie sie über die Runden kommen“. Dies inkludiert nicht nur das Einkommen der Privathaushalte, sondern auch die Ausgaben, das vorhandene Vermögen sowie bestehende Schulden. Die Befragten können sechs verschiedene Antworten darauf geben, wie sie ihre Grundbedürfnisse decken: „sehr schwer“, „schwer“, „mit gewissen Schwierigkeiten“, „eher leicht“, „leicht“ sowie „sehr leicht“.

Der Anteil der griechischen Privathaushalte, die angaben, dass sie „sehr schwer“ oder „schwer“ über die Runden kommen, lag bei fulminanten 66,8 Prozent. Hellas lag so in ganz Europa 2024 unangefochten an erster Stelle: Bulgarien wies 2024 mit einem Wert von 37,4 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis auf.

Es folgten die Nicht-EU-Länder Serbien mit 34 Prozent sowie die Türkei mit 32,2 Prozent. In der Eurozone lag der Index der subjektiven Armut 2024 im Schnitt bei 17,6 Prozent.

Ferner hat die Privatschuld der Griechen schwindelerregende Höhen erreicht. Unterm Strich beläuft sich die Privatschuld aus rechtskräftigen Steuerschulden, offenen Sozialbeiträgen, Krediten (sowohl „faule“ Kredite, die nicht abgestottert werden, als auch jene, die bedient werden), ferner ungedeckten Schecks sowie offenen Stromrechnungen per Ende 2024 auf fulminante 394,85 Milliarden Euro – Tendenz weiter steigend.

Die griechische Privatschuld entspricht 166 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts

Die griechische Privatschuld entspricht in Relation zum griechischen Bruttoinlandsprodukt (BIP), das sich 2024 auf 237,573 Milliarden Euro belief, bereits 166 Prozent.

Paradoxerweise wächst seit 2021 die griechische Wirtschaft wieder moderat. 2023 und 2024 stieg Hellas’ Bruttoinlandsprodukt (BIP) um jeweils 2,3 Prozent, ebenso in diesem Jahr wird ein Plus von 2,3 Prozent erwartet. Dies ist zum einen hierzulande leichter möglich, weil Hellas’ BIP ein immer noch niedriges Niveau hat.

Mitsotakis gibt nur großen Firmen Geld

Vor allem gilt jedoch: Ohne die üppigen EU-Gelder, die nach Athen fließen, stünde Hellas ganz schön armselig da. Von 2021 bis 2027 fließen EU-Mittel von knapp 60 Milliarden Euro nach Athen – eine in Relation zum hiesigen BIP enorme Summe. Dabei sorgt die Regierung in Athen unter Premier Kyriakos Mitsotakis dafür, dass fast die gesamten Gelder aus dem Corona-Aufbaufonds nur an wenige Großfirmen gehen. Die allermeisten Firmen – Hunderttausende Kleinst-, Klein- und mittelgroße Betriebe – gehen völlig leer aus.

In der ganzen EU sagen vor allem junge Menschen, dass sie schlecht über die Runden kommen. Immerhin sind es 2024 weniger als 2023 Infografik: Eurostat

Hellas’ Handelsbilanz ist derweil wie eh und je stark negativ – trotz aller Reformen. Was bleibt, ist die so florierende wie anfällige Monokultur Tourismus sowie die Handelsschifffahrt, die steuerbefreit ist – und so bloß die Reeder von Jahr zu Jahr immer reicher macht.

Die meisten Menschen in Griechenland kommen indes kaum über die Runden. Wie auch? 2009 lag das hiesige Gehalt im Schnitt noch bei monatlich 1.379 Euro brutto. Heute sind es sogar 37 Euro weniger. Wegen der Inflation bleibt davon noch weniger übrig. Die hiesigen Preise stiegen seit 2020 um kumuliert 22 Prozent, Lebensmittel gar um 30 Prozent. Die Kaufkraft der Griechen ist auf den zweitletzten Platz in der EU abgestürzt, nur die Bulgaren liegen noch dahinter.

Billige EU-Kredite von Hellas’ öffentlichen Geldgebern EU und der Europäischen Zentralbank, zugleich massive Geldentwertung, sprudelnde Steuereinnahmen aus einer mit 24 Prozent sehr hohen Mehrwertsteuer, die auch noch die Armen am meisten trifft: Die Staatsfinanzen von Europas Schuldenkönig Griechenland sind inzwischen solide. Doch die Griechen selbst sind pleite.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!