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Grünen-Chef zur Stadtbild-DebatteMan wird doch wohl mal sagen dürfen

Bei aller Kritik an Merz: Felix Banaszak fordert seine Partei auf, Probleme nicht auszublenden. Machen wir doch gar nicht, entgegnet die Grüne Jugend.

Versucht sich als Brückenbauer: Felix Banaszak, eigentlich Partei-Linker, will die von Merz angesprochenen Sorgen ernst nehmen Foto: Lukas Barth/dpa
Tobias Schulze

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Tobias Schulze aus Berlin

Am Montagmittag steht Felix Banaszak da wie ein Chemielehrer, der sein Experiment gestartet hat und jetzt mal schaut, ob’s funktioniert. Bei einer Pressekonferenz in der Grünen-Zentrale erläutert der Parteichef den Debattenbeitrag, den er am Vortag auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. Es geht darin um die „Stadtbild“-Diskussion, die der Bundeskanzler ausgelöst hatte – und die eigentlich gar keine Debatte sei, weil sich die beiden Seiten überhaupt nicht zuhörten.

„Ich habe jetzt einen Versuch unternommen, aus dieser Sprachlosigkeit, aus dieser Verhärtung herauszukommen“, sagt Banaszak in der Parteizentrale. „Ich sage ganz offen: Ich weiß nicht, ob es gelingt, weil ja offensichtlich die Debatte schon so angespannt und so zugespitzt geführt ist.“

Rund 12.000 Zeichen umfasst sein Versuch vom Wochenende. Ein Stück weit klingt darin der Sound des Brückenbauens durch, mit dem Robert Habeck im Bundestagswahlkampf gescheitert war und der bei den Grünen seitdem eigentlich etwas aus der Mode ist.

Von Merz distanziert sich Banaszak in seinem Beitrag zwar umfangreich. Er wirft ihm vor, Ressentiments dahinzuraunen. Dem Kanzler sei es „wohl egal, dass es strukturellen Rassismus gibt“. Er habe mit seinen Worten „Menschen tief verletzt und verunsichert“ und die Demonstrationen gegen seine Äußerungen seien „ein gutes Zeichen“.

Aber: „Zur Realität dieses Landes gehört auch, dass der Bundeskanzler eine breit getragene Wahrnehmung anspricht, mit der sich progressive Kräfte beschäftigen müssen.“ Banaszak spricht von tatsächlichen Problemen in den Stadtbildern, in Teilen seiner Heimatstadt Duisburg zum Beispiel „sichtbare Armut, Müll, Verwahrlosung“ und „Kinder, die im Winter im T-Shirt auf der Straße spielen“. Auch von „Angsträumen“ ist die Rede. Manche Probleme hätten „mit Migration zu tun, vieles gar nicht“. Doch wer „berechtigte Kritik an rassistischen Aussagen“ wie der von Merz formuliere, dürfe „nicht den Eindruck erwecken, diesen Teil des Lebens auszublenden“. Zwischen beiden Seiten brauche es einen „Diskursraum“.

Im ersten Anlauf verpufft

Was Banaszak schreibt, ist nicht komplett neu. In einem taz-Interview beklagte er schon im August: Wenn „progressive Kräfte“ auf Integrationsprobleme „keine überzeugenden Antworten geben, füllen andere das Vakuum“. Damals verhallte seine Aussage aber weitestgehend. Im politischen Berlin war gerade Sommerpause – und an eine ganz akute Debatte dockten Banaszaks Sätze nicht an.

Das ist jetzt anders. Die Stadtbild-Diskussion tobt seit anderthalb Wochen. Prominente Grüne haben bislang in erster Linie Empörung über Merz beigetragen. Spuren von Verständnis gab es bis zum Wochenende nur von Cem Özdemir, dem Oberrealo aus Baden-Württemberg. Mit ihm bildet der Parteilinke Banaszak nun eine seltene Allianz.

Als Tabubruch wird sein Vorstoß innerhalb der Grünen gleichwohl nicht wahrgenommen. Die Reaktionen am Montag sind gemischt. „Sehr guter, differenzierter Debattenbeitrag“, schreibt Chantal Kopf, baden-württembergische Bundestagsabgeordnete aus dem Realo-Flügel, auf Bluesky. Ein Fraktionskollege aus dem linken Flügel sagt, er finde Banaszaks Beitrag „im Grunde ganz gut“. Es gebe innerhalb der politischen Linken „schon Tendenzen, reale Probleme zu negieren. Aber wir müssen neben der Analyse auch Lösungen anbieten“.

Merz in seinen rassistischen Äußerungen zu widersprechen, bedeutet nicht, dass wir Realitäten ausblenden.

Luis Bobga, Grüne Jugend

Offene Kritik an Banaszak kommt dagegen von Luis Bobga, dem neuen Bundessprecher der Grünen Jugend, für den Antirassismus ein Schwerpunktthema ist. Banaszak unterstelle in seinem Beitrag, dass „progressive Kräfte sich der Realität verweigern würden“. Dieses Narrativ werde seit Jahren von der politischen Rechten gestreut.

Dabei gebe es auch innerhalb der Grünen „innen- und sicherheitspolitische Vorschläge, die seit Jahren auf dem Tisch liegen und die Probleme anerkennen“. Merz „in aller Klarheit in seinen rassistischen Äußerungen zu widersprechen, bedeutet nicht, dass wir irgendwelche Realitäten ausblenden“, so Bobga.

Zu welchen Maßnahmen, die sie bislang meiden, müssten sich die Grünen also durchringen? „Das ist ehrlicherweise gar nicht die Frage“, antwortet Banaszak während seiner Pressekonferenz. Bei den Grünen sei es schon „gängige Praxis, dass auch Probleme adressiert werden“.

Aber, so könnte man ihn verstehen: Die Partei muss noch dafür sorgen, dass die Menschen das auch mitbekommen. Es gehe darum, ein anderes „gesellschaftliches Klima“ zu schaffen, sagt Banaszak – und um ein „Öffnen des Diskurses, der uns als Gesellschaft vielleicht klüger macht“.

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