Sudankrieg: Miliz im Blutrausch
In Darfur hat die RSF-Miliz die Stadt El Fasher erobert. Experten sprechen von Massenmorden, Tausende Menschen sind auf der Flucht.
Jeeps mit aufmontierten Sturmgewehren sperren Straßen ab. Vor Häusern liegen Leichenhaufen, der Sand ist an mehreren Stellen blutrot verfärbt. Die Satellitenaufnahmen vom Montag aus der westsudanesischen Stadt El Fasher, die Forensikexperten der US-Universität Yale analysiert haben, sind eindeutig: „Säuberungen von Haus zu Haus“ begehen die Milizionäre der RSF (Rapid Support Forces) im Stadtviertel Daraja Oula, so die Experten. Sie sehen gar „Beweise für Massentötungen“. Auch die UN-Menschenrechtskommission spricht von „summarischen Hinrichtungen“, also willkürliche Tötungen. Menschenrechtskommissar Volker Türk warnt: „Das Risiko weiterer ethnisch motivierter Übergriffe und Gräueltaten in El Fasher steigt mit jedem Tag.“
2.000 Menschen hat die RSF in El Fasher getötet, seit sie am Sonntag in die Stadt einfiel, die sie bereits seit anderthalb Jahren umstellt und belagert hatte. Das erklärten am Dienstag die mit der Regierung verbündeten bewaffneten lokalen Widerstandskämpfer, die sogenannten Joint Forces. Sie stammen aus früheren Darfur-Rebellengruppen.
Seit Montag kursieren von Experten als authentisch eingestufte Videos und Fotos aus El Fasher, offensichtlich von der RSF selbst als Siegesbeweis aufgenommen: Gruppen von gefangenen Männern sitzen im Sand vor bewaffneten Milizionären, sie flehen um ihr Leben, werden erschossen; grinsende Milizionäre spreizen die Finger zu einem V, dem Siegeszeichen.
Mit der Eroberung von El Fasher hat die RSF die letzte Basis der sudanesischen Regierungsarmee in Darfur eingenommen und alle fünf Provinzhauptstädte der Region. Das ist für die Miliz ein Meilenstein. Im April 2023 war die RSF in Sudans Hauptstadt Khartum in den Aufstand gegen Sudans Militärregierung getreten, um ihre Integration in die Armee zu verhindern. Ihr Anführer Mohamed Hamdan Daglo hat in seiner Heimatstadt Nyala in Süd-Darfur eine Gegenregierung für Sudan gebildet, während das Militär aus Port Sudan im Osten Sudans heraus regiert. Umkämpft zwischen beiden ist jetzt noch vor allem die zentrale Region Kordofan.
Massenmorde
Massenvertreibungen und Massenmorde mit möglicherweise Zehntausenden Toten beging die RSF bereits bei ihrer ersten Einnahme einer Darfur-Provinzhauptstadt: El Geneina im Mai 2023. Über eine Million Menschen sind seitdem aus Darfur nach Tschad geflohen. In Darfur selbst sind nach UN-Angaben rund fünf Millionen Menschen auf der Flucht.
Die Fliehenden wissen, mit wem sie es zu tun haben: Die RSF-Miliz ist die Nachfolgeorganisation der Reitermiliz „Janjaweed“, die vor zwanzig Jahren im Auftrag der damaligen sudanesischen Militärregierung nicht arabische Volksgruppen in Darfur systematisch verjagte und tötete – Sudans damaliger Militärherrscher Omar Hassan al-Bashir wird deswegen unter dem Vorwurf des Völkermordes vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht, vor wenigen Wochen erst wurde ein ehemaliger Janjaweed-Anführer in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Darfurs Rebellen, die sich damals gegen die Janjaweed wehrten, haben sich gegen die RSF mit der Armee verbündet, und ihre Volksgruppen werden für die RSF erneut kollektiv zum Feind.
Die RSF-Belagerung von El Fasher, wo sich Hauptquartier der 6. Infanteriedivision der sudanesischen Streitkräfte (SAF) befindet, begann im April 2024. Vor Kriegsbeginn hatte die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur nach UN-Angaben rund 1,1 Millionen Einwohner. Im Krieg suchten Hunderttausende von Menschen auf der Flucht vor der RSF Zuflucht in und um El Fasher.
Auf zwei Millionen insgesamt schwoll in dieser ersten Kriegsphase die Bevölkerung des Großraums El Fasher an – ständig unterversorgt und in permanenter Unsicherheit. Weder Armee noch RSF nahmen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung bei ihrem regelmäßigen gegenseitigen Beschuss. In El Fashers größtem Vertriebenenlager Zamzam stellten UN-Experten bereits im Sommer 2024 eine Hungersnot fest – gezieltes Aushungern ist eine bewährte Kriegspraxis in Sudan.
Hunderttausende vertrieben
Im April 2025 wurde Zamzam von der RSF erobert. Mehrere Hunderttausend Menschen mussten erneut fliehen. Je schärfer die Angriffe in den Folgemonaten wurden, desto mehr Menschen suchten einen Ausweg. Fast die gesamte Vorkriegsbevölkerung hat El Fasher mittlerweile verlassen. 400.000 Einwohner vermeldete die UN noch im September, 260.000 sollen es heute sein – die meisten davon gestrandete Kriegsvertriebene, deren Volksgruppen bereits in der Vergangenheit Zielscheibe der RSF-Angriffe geworden sind.
Ein Zielort für Fliehende aus El Fasher ist Tawila, knapp 60 Kilometer südwestlich, wo es eine Präsenz internationaler Hilfswerke gibt. Mit 575.000 Menschen war Tawila bereits im September zum faktisch größten Ort der Region geworden, inzwischen schätzen Helfer die Einwohnerzahl auf 800.000.
„Wir hoffen auf medizinische Behandlung und Essen. Wir haben keine Spur eines Krankenhauses oder von humanitären Ausgabestellen für Essen gefunden, was uns zuvor versprochen wurde. Jetzt sitzen wir hier unter der Sonne“, berichtet Haram al-Nour in einem Video des lokalen Emergency Response Room von Tawaila – eine der unlängst mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichneten zivilgesellschaftlichen Basisgruppen, die überall in Sudan die Selbstorganisation der Bevölkerung gegen die Warlords organisieren.
Hilal Youssef begleitet offenbar seinen herzkranken Vater: „Wir sind Gott sei Dank heute im Morgengrauen an diesem Platz angekommen, wir danken Gott für unsere sichere Ankunft. Mein Vater hat einen Katheter, um ihn trotz Herzproblemen am Leben zu erhalten. Wir können nicht schlafen in der Nacht, weil es so kalt ist und alle hier haben Schmerzen und schreien, auch in der Nacht verstummen sie nicht.“
Überlaufene Klinik
Der Zustrom nach Tawila sei „massiv“, berichtete am Dienstag Sylvain Penicaud, der Teamchef des Hilfswerks Ärzte ohne Grenzen in Tawila. „Unsere Klinik ist überlaufen“, erzählt er in einer Audiobotschaft, die der taz vorliegt. Der erste große Andrang aus El Fasher nach Tawila habe bereits am 18. Oktober eingesetzt – offenbar war den Leuten da schon klar, dass der RSF-Sturm bevorsteht.
Jetzt seien erneut 1.000 Menschen angekommen, „viele in einem Zustand großer Schwäche, unterernährt und dehydriert und viele mit Verletzungen aufgrund von Gewalt“. Von 165 eingetroffenen Kindern unter fünf Jahre alt seien drei Viertel akut unterernährt „und über ein Viertel in sehr ernstem Zustand“. Es sei zu befürchten, dass in den kommenden Tagen noch viel mehr kommen, sofern sie überhaupt die 60 Kilometer aus El Fasher schaffen.
Denn nur wenige Menschen können El Fasher verlassen. Die RSF hat ihre Eroberung der Stadt in aller Ruhe vorbereitet. Im August begann die Miliz mit der Aufschichtung von Erdwällen rund um El Fasher und das angrenzende Vertriebenenlager Abu Shouk. Ende September berichteten die Analysten der Universität Yale, der mittlerweile 68 Kilometer lange Erdwallring rund um El Fasher sei auf Satellitenaufnahmen nahezu komplett. An einigen wenigen Checkpoints kontrolliere die Miliz alles und jeden, der in die Stadt hinein oder aus ihr hinaus will.
Vergeblich forderte die internationale Staatengemeinschaft freien Zugang für humanitäre Hilfe und ein Ende der Belagerung. Das sogenannte „Quad“ aus Ägypten, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA, das sich um Vermittlung in Sudan bemüht, verlangte am 12. September in einer gemeinsamen Erklärung der vier Außenminister eine dreimonatige Feuerpause, als ersten Schritt zum Einstieg in einen Friedensprozess. Der Appell verhallte ungehört. Am 19. September tötete ein RSF-Drohnenangriff auf die Safiya-Moschee in El Fasher 78 Menschen.
Wer sich um Frieden bemüht
Die internationalen Friedensbemühungen gehen weiter – aktuell befindet sich ein Teil der RSF-Führung in den USA zu indirekten Gesprächen. Aber Ägypten und Saudi-Arabien sind mit Sudans Militärregierung verbündet, die Emirate mit der RSF, und beide Kriegsparteien setzen auf eine militärische Lösung. Über Dubai in den Emiraten wickelt die RSF ihren Goldhandel ab, mit dem sie ihre Waffenkäufe finanziert, neuerdings vor allem Drohnen. Drohnenangriffe auf zivile Ziele in El Fasher haben im September und Oktober zugenommen.
„Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Vertriebenenlager in El Fasher wurden in den vergangenen Wochen wiederholt getroffen“, vermeldete das Hilfswerk Save the Children am 22. Oktober und zählte 115 Tote in sechs Angriffen, darunter 17 Kinder beim Beschuss des Vertriebenenlagers Dar al-Arqam: „Etwa 130.000 Kinder sitzen in El Fasher in der Falle.“ Wenige Tage später schnappte die Falle zu.
Die Onlineteitung Sudans Post hat die Eroberung von El Fasher rekonstruiert. RSF-Einheiten stürmten das Hauptquartier der 6. Armeedivision aus drei Richtungen am Sonntag kurz vor Sonnenaufgang. Es entwickelten sich heftige Gefechte in mehreren Stadtteilen, am Abend wurde Divisionskommandeur Generalmajor Mohamed Ahmed Khedr getötet. „Die gesamte Führungsebene wurde ausgelöscht“, zitiert das Medium eine Militärquelle. In der Nacht flohen die verbliebenen regierungstreuen Kräfte aus der Stadt, nachdem sie auch den Flughafen verloren hatten. Die wichtigsten Kommandeure der „Joint Forces“ aus ehemaligen Darfur-Rebellen wurden dem Bericht zufolge am frühen Montag bei der Flucht nördlich von El Fasher getötet.
Am späten Montag bestätigte schließlich Sudans Militärherrscher Abdelfattah al-Burhan aus dem fernen Regierungssitz Port Sudan am Roten Meer den Rückzug der Armee aus El Fasher, „um die verbleibenden Bürger und den Rest der Stadt zu schonen“. Die Armee werde aber „jeden Zentimeter zurückholen“.
Da zogen schon triumphierende RSF-Milizionäre durch El Fasher und filmten ihre eigenen Verbrechen. Getötet wurde unter anderem die ehemalige Parlamentsabgeordnete Siham Hassan, eine Politikerin aus Darfur, die 2016 als jüngste Frau ins sudanesische Parlament gewählt wurde. Nach Kriegsausbruch 2023 engagierte sie sich in Basisstrukturen in El Fasher und wurde landesweit als mutige zivile Stimme bekannt. „Siham Hassan hätte fliehen können, aber sie blieb zurück, um Suppenküchen für Vertriebenenfamilien zu leiten“, lautet eine der unzähligen Trauerbotschaften. „Solcher Mut angesichts der brutalen Wildheit der RSF-Miliz.“
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