Kreislaufwirtschaft: Deutschland verschläft Phosphor-Recycling
Der Stoff steckt etwa in Dünger und wird oft importiert – zunehmend aus Russland. Die Kläranlagen sollen ihn zurückgewinnen. Das läuft aber kaum an.
Deutschland wird seine selbst gesetzten Ziele zur Rückgewinnung von Phosphor wohl verfehlen, weil nicht genügend Anlagen zur Verfügung stehen. Damit bleibt die Bundesrepublik länger als geplant von der Versorgung durch Importe abhängig, unter anderem aus Russland.
Phosphor spielt als zentraler Pflanzennährstoff eine wichtige Rolle als Dünger in der Landwirtschaft und somit der Ernährungssicherheit in Europa. Experten beunruhigt nicht nur, dass natürliche Vorkommen in Marokko, China oder Ägypten sich zunehmend rasch erschöpfen. Das Thema hat auch eine geopolitische Dimension, weil rund ein Viertel der europäischen Phosphorimporte aus Russland stammt – mit zuletzt steigender Tendenz.
Um unabhängiger zu werden und den kritischen Rohstoff Phosphor effizienter zu nutzen, hatte die Bundesregierung 2017 die Klärschlammverordnung beschlossen. Sie sieht vor, dass Phosphor aus Klärschlamm oder Klärschlammasche rückgewonnen wird. Dies gilt ab 2029 für alle kommunalen Kläranlagen, wenn ihr Klärschlamm mindestens 20 Gramm Phosphor je Kilogramm Trockenmasse enthält. Ausgenommen davon sind nur sehr kleine Abwasserbehandlungsanlagen, mittelgroße haben eine Übergangsfrist bis 2032, wenn sie ihren Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen ausbringen.
„Zurzeit gibt es noch keine großtechnische Phosphor-Rückgewinnungsanlage aus Asche in Deutschland, die kontinuierlich im Regelbetrieb läuft“, sagt Tabea Knickel, Geschäftsführerin des Branchennetzwerks Deutsche Phosphor-Plattform. Verschiedene Technologien stehen zur Verfügung und werden teils im Versuchs-, teils im Pilotanlagen-Status betrieben.
Auf den Klärschlamm kommt es an
Dabei wird Klärschlamm oftmals verbrannt und der Phosphor dann aus der Asche zurückgewonnen. Wenn der Klärschlamm eine gute Qualität aufweist, ist es ein wenig aufwendiger Prozess, eine Klärschlammasche herzustellen, die Düngemittelqualität aufweist. Das gilt allerdings nicht für alle Klärschlämme.
Sind sie stärker belastet, müssen sie aufwendiger verarbeitet werden. Knickel geht von rund 1,3 Millionen Tonnen Klärschlamm Trockenmasse jährlich aus, die der Phosphor-Rückgewinnungspflicht unterliegen. 2029, schätzt sie, werden in Deutschland nur 20 bis 25 Prozent davon einer Rückgewinnung zugeführt.
Während das Umweltbundesamt den Einsatz von Klärschlamm als Düngemittel wegen möglicher Schadstoffbelastung stets kritisch sah, hält man die Verwendung von aus der Asche des Klärschlamms zurückgewonnem Phosphat für unabdingbar. Je nach angewandter Technik entstehe hierbei sehr reiner Phosphor in guter Qualität, der sich als Düngemittel oder Ausgangsstoff der Chemieindustrie eigne.
„Jeder Klärschlamm und entsprechend jede Asche ist anders. Beide sind mehr oder weniger intensiv mit Schwermetallen belastet, beim Klärschlamm können zusätzlich die Ewigkeitschemikalien PFAS und andere Schadstoffe vorhanden sein“, sagt Knickel, „insofern wird jede Anlage auf die Verhältnisse vor Ort zugeschnitten, komplett neu gedacht und geplant werden.“ Von der Planung bis zur Inbetriebnahme dauere es daher einige Jahre. Soll heißen: Selbst wenn eine Kommune jetzt mit der Planung einer Anlage anfängt, wird sie 2029 nicht im Regelbetrieb laufen.
Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) vertritt die Kläranlagenbetreiber, die die Phosphorrückgewinnung umsetzen müssen. „Die Kommunen und ihre Betriebe können noch nicht planen, weil noch keine großtechnischen Anlagen zur Verfügung stehen“, sagt ein VKU-Sprecher. Zudem müssten nicht nur die Anlagen zur Verfügung stehen, die Kommunen müssten die Verwertung ihrer Klärschlämme auch rechtssicher ausschreiben. „Für ein Vergabeverfahren benötigen wir konkrete Preise und Anbieter“, so der Sprecher, „auch die sind noch nicht verfügbar.“ Der VKU fordert daher eine „wirtschaftlich vertretbare und rechtssichere Übergangslösung“ für das Inkrafttreten der Klärschlammverordnung.
Umweltministerium will Fristen nicht verschieben
Das zuständige Bundesumweltministerium hält eine „Verschiebung der Pflicht zur Phosphorrückgewinnung jedoch für keine zielführende Option“, wie ein Sprecher mitteilt. „Positive Entwicklungen in der Branche würden gehemmt, Verunsicherung verstärkt.“ Kommunen und Unternehmen, die bereits investiert hätten und deren Umstellung weit vorangeschritten sei, würden benachteiligt.
Investiert in Deutschland haben bislang der Lünener Entsorgungskonzern Remondis in Zusammenarbeit mit Hamburg sowie das Berliner Unternehmen Easymining, eine Tochter des schwedischen Abfallkonzerns Ragn-Sells, in Zusammenarbeit mit Gelsenwasser, dem Abwasserbetrieb von Gelsenkirchen. Easymining und Gelsenwasser bauen im sachsen-anhaltischen Schkopau eine Anlage mit einer Jahreskapazität von 30.000 Tonnen Klärschlammasche pro Jahr. 2027 soll sie in Betrieb gehen. Weitere Anlagen sind in Planung.
Die einzige großtechnische Anlage zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammaschen, die in Deutschland schon gebaut wurde, steht in Hamburg und wird von der städtischen Hamburg Wasser und Remondis betrieben. Vor sechs Jahren war Baubeginn, doch noch immer läuft die Anlage nicht im Regelbetrieb und ist wegen Preisexplosionen inzwischen ins Visier des Hamburger Bundes der Steuerzahler gerückt.
„Technische Anpassungen bei solchen Pionierprojekten sind gewöhnlich erforderlich, weil sich die Herausforderungen einzelner chemischer Verfahrensschritte erst in der großtechnischen Umsetzung zeigen“, kontert die Hamburger Umweltbehörde. Sowohl die Umsatzmengen als auch die Marktbedingungen für den künftigen Verkauf der erzeugten Phosphorsäure seien zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Gänze prognostizierbar, und Aussagen zur Kostendeckung, möglichen Erlösen oder gebührenwirksamen Effekten ließen sich damit noch nicht abschließend treffen. Ziel sei auch nicht ein gewinnorientierter Betrieb, sondern „eine möglichst wirtschaftliche Erfüllung der kommenden Pflichten im Umgang mit Klärschlamm“.
Im Umweltbundesamt seufzt man, wenn mehr Kommunen dem Hamburger Vorbild gefolgt wären, wäre die technologische Entwicklung jetzt weiter. Die Behörde hofft, dass sich kleinere Kommunen zusammenschließen und Netzwerke und Kooperationen bilden. So könnten unterschiedlich belastete Klärschlämme jeweils in spezialisierten Anlagen behandelt werden. Wichtig sei aber, an den Zielen 2029 und 2032 festzuhalten.
Das Bundesumweltministerium ist allerdings dabei, den Kommunen ein Schlupfloch zu öffnen: Die Klärschlammverordnung sehe die Möglichkeit vor, Klärschlammaschen befristet zu lagern, wenn eine Phosphorrückgewinnung nicht unmittelbar möglich ist. Eine Langzeitlagerung bringe jedoch auch Herausforderungen mit sich. Daher würden „sinnvolle Alternativen“ geprüft.
Die Firma Easymining hält es für wichtig, dass die gesetzlichen Vorgaben Bestand haben. „Das Festhalten an alten Geschäftsmodellen und Gepflogenheiten ist gerade innenpolitisch omnipräsent“, kritisiert Geschäftsführer Christian Kabbe, „während sich die Außenpolitik mehr und mehr der Ressourcenbeschaffung und -sicherung widmet.“ Volkswirtschaftlich sinnvolles, sekundäres Rohstoffpotenzial würde weiterhin ignoriert.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert