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Russischer Aktivist über Umweltkämpfe„Menschen blockieren Maschinen mit ihrem Körper“

Die ökologische Bewegung ist auch unter Putin aktiv, sagt Vitali Servetnik. Große Projekte seien zwar kaum zu stoppen, lokale aber schon.

Ende Gelände goes Russia Foto: Ilya Naymushin/imago
Bernhard Clasen

Interview von

Bernhard Clasen

taz: Vitali, früher war die russische Umweltbewegung auch im Westen präsent mit ihren Recherchen zu fossilen Verschmutzungen oder ihrem Kampf gegen Atomkraft. Aber es ist still geworden. Ist der Krieg gegen die Ukraine daran schuld?

Vitali Servetnik: Die russische Umweltbewegung lebt, lediglich die Formen ihrer Arbeit haben sich verändert. Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit sind schwieriger geworden. Das liegt zum einen daran, dass die offiziellen russischen Medien weniger über uns schreiben. Die unabhängigen Medien dagegen schreiben zwar über uns, aber sie haben oft einen Status, der für viele Aktivisten eine Hemmschwelle für eine Zusammenarbeit ist. Trotzdem tut sich viel. Jetzt arbeitet die russische Umweltbewegung dezentral und lokal. Sie organisiert sich über die sozialen Netze, vor allem Telegram.

Bild: privat
Im Interview: Vitaly Servetnik

Der Aktivist stammt aus dem nordrussischen Murmansk und ist seit mehr als 20 Jahren in russischen Umweltbewegungen tätig. Begonnen hatte er 2003 in der Region Murmansk, wo er sich in der Jugend-Umweltgruppe „Nature and Youth“ engagierte. In der Folge arbeitete er für verschiedene Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Heute ist er in der Environmental Crisis Group tätig, die sich auf den Schutz von Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen konzentriert und Basisbewegungen in Russland unterstützt.

taz: Hat sie damit Erfolge, von denen außerhalb Russlands einfach wenig bekannt wird?

Servetnik: Erfolgreich sind russische Umweltschützer oft, wenn sie ein lokal wichtiges Thema anpacken: eine Müllverbrennungsanlage, Mülldeponien, starke Luftverschmutzung, den Schutz eines Parkes vor den Baggern.

taz: Wie steht die russische Umweltbewegung zum Krieg gegen die Ukraine?

Servetnik: Ich persönlich habe wegen dieses Krieges meine Heimat verlassen. Und auch andere Kollegen haben sich zu diesem Schritt entschieden. Viele Umweltorganisationen haben sich zu Beginn des russischen Einmarsches öffentlich dagegen ausgesprochen. Doch vor dem Hintergrund neuer Zensurmaßnahmen mussten sie ihre Erklärungen im Netz löschen. Einige Aktivisten haben öffentlich auf der Straße demonstriert. Sie wurden deswegen verfolgt, unter Druck gesetzt. Deshalb beziehen russische Umweltschützer nun immer weniger zum Krieg Stellung.

taz: Das Machtgefälle ist zu groß geworden?

Servetnik: Ökologisches Engagement ist in Russland entpolitisiert. Aber jeder, der sich mit Ressourcenfragen beschäftigt, greift automatisch in Macht- und Geldverhältnisse ein. Das führt dazu, dass Umweltproteste auch dann kriminalisiert werden, wenn sie keine explizite Kritik an der Regierung äußern.

taz: Wie geht die Arbeit russischer Umweltschützer überhaupt vor sich?

Servetnik: Mit der Schließung unabhängiger NGOs – viele wurden als sogenannte ausländische Agenten gebrandmarkt – fehlt häufig die professionelle Begleitung von Umweltprojekten. Früher konnten Ex­per­t:in­nen bei der Planung eingreifen, Umweltgutachten erstellen oder zu öffentlichen Anhörungen mobilisieren. Heute erfahren Bür­ge­r:in­nen oft erst vom Bau eines Projekts, wenn die Bagger bereits vor der Haustüre stehen – und dann bleibt ihnen oft nur der direkte Widerstand.

taz: Wie sieht der aus?

Servetnik: Menschen blockieren Maschinen mit ihrem Körper. Diese spontanen Protestformen haben zugenommen – mit allen Risiken: Polizeiübergriffe, Strafverfahren, Repressionen.

taz: Wie erfolgreich sind diese Proteste?

Servetnik: Trotz der schwierigen Lage dokumentiert die Ökologische Krisisgruppe jährlich dutzende Siege für die Umwelt – eben meist lokal errungene Erfolge wie die Rücknahme von Bauprojekten. 2022 haben wir 50 Erfolge dokumentiert, 2023 waren es 70 und 2024 mehr als 70. Das zeigt: Widerstand ist nicht sinnlos. Auch juristische Erfolge gibt es. Ak­ti­vis­t:in­nen konnten sich gegen ungerechtfertigte Strafen wehren, in Einzelfällen sogar Strafverfolger oder Angreifer rechtlich belangen.

taz: Wie ist es bei Großprojekten?

Servetnik: Große Infrastruktur- oder Industrieprojekte – etwa im Auftrag von Gazprom, Rosatom oder anderen staatsnahen Konzernen – sind kaum aufzuhalten. Wenn hinter einem Projekt ein Freund Putins steht, dann gibt es kaum eine Chance.

taz: Wie wichtig ist die Umweltbewegung für die russische Zivilgesellschaft?

Servetnik: Umweltaktivismus ist eine Art Bürgerschule. Wer sich für saubere Luft oder gegen einen Asphaltweg durch den Stadtpark einsetzt, wird zwangsläufig politisiert. Ökologische Aktivität fördert zivilgesellschaftliches Denken. Menschen lernen, ihre Rechte zu verteidigen – auch über Umweltfragen hinaus. Diese Politisierung zeigt sich auch in einer auffälligen Korrelation: Regionen mit hoher Umweltprotestaktivität wie Archangelsk, Komi oder Baschkortostan gehören häufig auch zu jenen, aus denen besonders viele Stimmen gegen den Krieg kommen.

taz: Wie ist der aktuelle Stand bei den Repressionen?

Servetnik: Derzeit sind uns die Namen von acht russischen Umweltschützern bekannt, die wegen ihrer ökologischen Arbeit inhaftiert sind: Wladimir Gorenkow, Marat Scharafutdinow, Fail Alsynow, Julai Ajupow, Aitugan Abdullin, Alfinur Rachmatullina, Sergei Legkobitow, Achmet Jakupow. Sie leiden nicht als Einzige unter den Repressionen. Es gibt weitere Aktivisten, die mit Geldstrafen, Arreststrafen und anderen repressiven Maßnahmen bestraft wurden.

taz: Können Sie, der Sie derzeit nicht in Russland leben, vom Ausland aus etwas für die russische Umweltbewegung tun?

Servetnik: Sehr viel. Ich stehe täglich im Kontakt mit russischen Umweltschützern. Und ich kann im Gegensatz zu ihnen an die Öffentlichkeit gehen.

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