Friedensforscher zu Atomwaffentests: „Die USA brauchen diese Tests definitiv nicht“
US-Präsident Trump droht mit neuen Kernwaffentests. Der Experte Sascha Hach wird daraus nicht schlau: Denn profitieren würde ausgerechnet China.
taz: Herr Hach, US-Präsident Trump hat angekündigt, wieder Atomwaffentests durchzuführen – weil China und Russland auch testen würden. Wie ist das zu verstehen?
Sascha Hach: Seine Einlassung war ambivalent. Russland und China haben kürzlich nur Trägersysteme getestet, China im September etwa eine Interkontinentalrakete. Anfang der Woche hat der russische Präsident von einem erfolgreichen Test eines neuen Marschflugkörpers berichtet. Auf diesen Test hat Trump sich vermutlich bezogen. Wenn er Nuklearwaffentests, also Tests der Sprengköpfe, gemeint hat, dann hat seine Aussage keine Grundlage. Seit 1992 gilt ein freiwilliges Moratorium für Nuklearwaffentests, dem sich auch Russland angeschlossen hat. Und es gibt keine Anhaltspunkte, dass Russland oder China in letzter Zeit gegen die Testverbotsnorm verstoßen haben.
ist Friedensforscher am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) in Frankfurt am Main. Er forscht zu Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nuklearer Ordnung. Außerdem ist er Mitgründer der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) in Deutschland. ICAN wurde 2017 mit dem Preis ausgezeichnet, den Donald Trump auch gerne bekommen würde: dem Friedensnobelpreis.
taz: Was ist der Unterschied zwischen einem Test der Trägersysteme und einem Test der Sprengköpfe?
Hach: Bei einem Test der Trägersysteme wird kein Sprengkopf gezündet. Getestet werden Marschflugkörper oder ballistische Raketen. All die katastrophalen Auswirkungen ökologischer, aber auch humanitärer Art eines Sprengkopftests gibt es in dem Fall nicht.
taz: Was hätte ein Test der Sprengköpfe für Auswirkungen?
Hach: Das hängt vom Ort der Zündung ab: atmosphärisch, unter Wasser oder unterirdisch. Atmosphärisch sind die Auswirkungen am größten, wobei auch unter Wasser die ökologischen Folgen dramatisch sind. Neben Umweltauswirkungen hatten die zahlreichen atmosphärischen Nuklearwaffentests der USA, Russlands und anderer Länder auch humanitäre Schäden zur Folge. Ganze Bevölkerungsgruppen, vor allem indigene Gruppen, die in der Nähe von Testgebieten lebten, wurden umgesiedelt. Sie haben ihre wirtschaftliche Grundlage und ihre kulturelle Identität verloren. Die Wiederaufnahme von Sprengkopftests würde außerdem eine ganz neue Dimension im nuklearen Wettrüsten, das schon jetzt läuft, eröffnen.
taz: Wie sieht dieses Wettrüsten aus?
Hach: Das zieht sich schon seit einigen Jahren. Alle Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, einschließlich der fünf UN-Sicherheitsratsmitglieder, modernisieren ihre Sprengköpfe und Trägersysteme. Im Zuge des Ukrainekrieges hat Russland seine taktischen Nuklearwaffen weiterentwickelt. Das heißt, wir haben hier eine eindeutige qualitative Aufrüstung, teilweise auch eine quantitative. China hat sein Nuklearwaffenarsenal auch zahlenmäßig ausgeweitet, von früher 250 bis 300 auf inzwischen 600 Sprengköpfe. Gleichzeitig wurden wichtige Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge in den letzten 20 Jahren aufgekündigt und abgebaut.
taz: Was hätte es konkret für politische Auswirkungen, wenn die USA jetzt wieder Tests von Sprengköpfen durchführen?
Hach: Es wäre eine Zäsur und würde eine grundsätzliche Wende in der US-Politik bedeuten. 30 Jahre lang gab es dank des Moratoriums von 1992 und des umfassenden Teststoppvertrags von 1996 keine Tests. Sollten die USA wieder testen, muss man damit rechnen, dass alle anderen Länder, die über Nuklearwaffen verfügen, dies auch tun. Besonders Russland und China, aber auch etwa Indien und Pakistan. Diese Länder haben eigentlich ein größeres Interesse an Nuklearwaffentests, weil sie nicht die gleiche Datengrundlage haben wie die USA mit über 1.000 Tests zwischen 1945 und 1992. Russland führte ebenfalls viele Tests durch, über 700. China hat dagegen bisher nur circa 45 Tests durchgeführt, es hat dort einen deutlichen Nachteil und würde, so gesehen, von einer neuen Dynamik mehr profitieren als die USA.
taz: Sind diese Tests notwendig, um die Einsatzfähigkeit der Waffen zu überprüfen, oder ist die symbolische Dimension wichtiger?
Hach: Die USA brauchen sie definitiv nicht und eigentlich auch nicht die anderen Staaten, die schon Nuklearwaffen entwickelt haben. Selbst China hat mit seinen 45 Tests eine ganz gute Datengrundlage für die Entwicklung und Instandhaltung der nuklearen Sprengköpfe. Ein echter Test wäre vor allem eine Machtdemonstration.
taz: Woher weiß man denn, dass jemand eine Waffe getestet hat?
Hach: Das verlässlichste System ist das Überwachungssystem der Organisation für den Umfassenden Teststoppvertrag. Ein Messnetz mit über 300 Stationen weltweit, die kontinuierlich Daten sammeln: seismische Wellen, hydroakustische Wellen, Infraschall und Radionuklide-Messungen. Das Ganze wird in einer Datenzentrale in Wien gesammelt und ausgewertet.
taz: Wann könnten die USA testen?
Hach: Der Wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses schätzt, dass es 24 bis 36 Monate dauern würde, bis die USA in der Lage wären, die Infrastruktur für Nuklearwaffentests zu reaktivieren. In seiner ersten Amtszeit schon hatte Trump veranlasst, diese Testbereitschaft zu reduzieren, auf 6 bis 10 Monate. Es ist aber fraglich, ob dies erreicht wurde, weshalb man aktuell schätzt, dass es doch über ein Jahr dauern würde, bis die USA testfähig wären. Überdies bräuchte Trump wahrscheinlich auch Haushaltsmittel. Ob der Kongress einer Wiederaufnahme von Tests zustimmt und Gelder bereitstellt, wage ich zu bezweifeln.
taz: Wo könnten die USA ihre Tests durchführen?
Hach: Die USA haben mit der Nevada National Security Site ein Testgelände, wo früher schon Nuklearwaffentests stattgefunden haben. Darauf könnten die USA wieder zurückgreifen.
taz: Angenommen, Trump meinte nur die Trägersysteme, was hätte das für Auswirkungen?
Hach: Die Fähigkeiten zur Kriegsführung werden mit dem Test von neuen ballistischen Systemen und Marschflugkörpern verbessert. Bereitschaft wird erhöht, Reaktionszeit verkürzt, da es sich um schnellere Systeme handelt. Das muss man im Gesamtkontext zunehmender Spannungen zwischen den großen Nuklearakteuren betrachten, gleichzeitig findet ein virulenter Krieg in der Ukraine statt. Mittelstreckenraketen und Marschflugkörper werden getestet und neu entwickelt, insbesondere von russischer Seite, aber zunehmend auch von den USA. Es senkt die Hemmschwelle für einen möglichen taktischen Nuklearkrieg, wenn diese Fähigkeiten weiter ausgebaut werden, und der würde vor allem Europa beziehungsweise die Ukraine bedrohen.
Trumps Ankündigung, nach rund 30 Jahren Pause wieder Atomwaffen zu testen, hat international heftige Kritik hervorgerufen. Die Vereinten Nationen erklärten am Donnerstag, dass derzeit die nuklearen Risiken bereits „alarmierend hoch“ seien und derartige Tests „unter keinen Umständen“ erlaubt werden könnten. China äußerte sich besorgt über Trumps Ankündigung. Man hoffe, dass die USA ihre Bekenntnisse und vertraglichen Verpflichtungen „ernsthaft einhalten“. Russland drohte für den Fall einer Wiederaufnahme von US-Atomtests eine „entsprechende“ Reaktion an. Der deutsche Außenminister Johann Wadephul sagte: „Das Teststopp-Moratorium muss erhalten bleiben.“ (afp/dpa)
taz: Gibt es auch ein Szenario, in dem Deutschland und Europa von amerikanischen Tests profitieren können, weil Russland wieder stärker abgeschreckt wird?
Hach: Europa oder auch Deutschland muss sich tatsächlich überlegen, wie es mit der russischen Bedrohung umgeht und ob es Möglichkeiten gibt, diese Bedrohung zurückzudrängen. Dadurch, dass Russland stärker in die taktischen Nuklearwaffen investiert hat, ist eine Asymmetrie gegenüber den Europäern entstanden. Doch dagegen helfen amerikanische Nuklearwaffentests nicht.
taz: Was wäre die Alternative?
Hach: Eine engere Kooperation mit europäischen Partnern, also speziell Frankreich, aber auch Großbritannien, ist eine gute Idee. Dennoch können wir nicht gleichziehen mit dem russischen Nuklearwaffenarsenal, selbst wenn man die europäischen Nuklearwaffen kombiniert. Ich plädiere für eine strategische Kombination aus einer minimalen Abschreckung durch konventionelle Rüstungspakete und gleichzeitiger Rüstungskontrolle. Einerseits droht man an, bestimmte Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Andererseits macht man Angebote, diese Fähigkeiten wieder zurückzunehmen, wenn die russische Seite dies auch tut.
taz: Welche Hoffnung gibt es für Abrüstung?
Hach: Es gibt vonseiten der USA wiederholt Gesprächsangebote an Russland. Und Russland hat diese Angebote nie kategorisch zurückgewiesen, weil nukleare Aufrüstung natürlich extrem viel Geld kostet. Russland sitzt finanziell auch ein bisschen in der Zwickmühle, hat den Verteidigungsetat jetzt zum ersten Mal seit Beginn des Ukrainekriegs gesenkt. Auf russischer Seite gibt es schon ein Interesse, diese teure Aufrüstungsspirale nicht weiter anzuheizen. Ich sehe da also Möglichkeiten, man muss sie nur konsequent ins Gespräch bringen.
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