Chatkontrolle-Vorschlag: Freiwillige Kontrolle?
Messenger sollen Bürger:innen der EU überwachen. Dafür schlägt Dänemark, das die Ratspräsidentschaft innehat, nun Veränderungen vor.
 
Überraschende Wendung bei der Chatkontrolle: Das Vorhaben, das unter anderem Messengerdienste dazu verpflichten soll, die Kommunikation ihrer Nutzer:innen anlasslos zu überwachen, wird in dieser Form vorerst nicht weiterverfolgt. Die dänische Ratspräsidentschaft, auf die dieser Antrag zurückgeht, kündigte an, stattdessen auf ein freiwilliges Scannen seitens der Anbieter zu setzen. Das wäre in diesem Punkt eine Verlängerung des Status quo. Doch andere Kritikpunkte bleiben.
Die Chatkontrolle geht ursprünglich auf einen Gesetzentwurf der EU-Kommission zurück. Der sieht vor, dass unter anderem Messengerdienste wie Signal, Whatsapp oder Threema dazu verpflichtet werden können, die Kommunikation ihrer Nutzer:innen zu überwachen – und zwar auch, wenn sie Ende-zu-Ende-verschlüsselt ist. Die EU-Kommission will damit eigenem Bekunden zufolge die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern eindämmen.
Doch vor allem zwei Punkte sorgen für breite Kritik: erstens, dass auch Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation von der Überwachung betroffen sein soll. Das wäre ein tiefer Eingriff in die private Kommunikation – und könnte, so die Befürchtungen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft, gerade von autoritären und antidemokratischen Regierungen für andere Überwachungsziele missbraucht werden. Zweiter großer Kritikpunkt ist, dass das Scannen der Kommunikation anlasslos erfolgen soll. Es bräuchte also nicht einmal einen Anfangsverdacht, praktisch alle Nutzenden wären betroffen.
Nachdem das Vorhaben in den vergangenen Jahren wiederholt keine Mehrheit unter den EU-Mitgliedsstaaten gefunden hatte, setzte die dänische Ratspräsidentschaft die Chatkontrolle im Oktober wieder auf die Tagesordnung. Nach breitem Protest aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft sprach sich Deutschland, das bei der Abstimmung das Zünglein an der Waage für eine Mehrheit hätte sein können, doch dagegen aus. Allerdings bekundete die Bundesregierung, bis zum Jahresende einen Kompromiss aushandeln zu wollen.
Der dänische Justizminister Peter Hummelgaard begründete den Kurswechsel im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP damit, dass mit einem verpflichtenden Scannen auf EU-Ebene keine Einigung möglich gewesen wäre. Die derzeitigen Regeln, die Anbietern das Scannen auf freiwilliger Basis erlauben, laufen im April kommenden Jahres aus.
„Der neue Vorschlag ist ein Triumph der digitalen Freiheitsbewegung und ein großer Sprung nach vorn zur Verteidigung unseres digitalen Briefgeheimnisses“, erklärte Patrick Breyer (Piratenpartei), ehemaliger EU-Abgeordneter. Er war maßgeblich an den Verhandlungen zu einem Gegenentwurf des EU-Parlaments beteiligt, der ein Scannen nur bei einem konkreten Verdacht und mit richterlicher Zustimmung erlauben würde.
Drei Probleme bleiben jedoch laut Breyer bei dem entschärften dänischen Entwurf bestehen: Das Scannen der Nachrichten erfolge auch bei dem freiwilligen Verfahren immer noch anlasslos, also ohne dass es etwa einen Anfangsverdacht gibt. Zweitens befinde sich in dem dänischen Vorschlag weiterhin ein Passus, der es ausschließe, anonyme E-Mail- oder Messenger-Konten einzurichten.
Und drittens sehe der Entwurf weiterhin vor, dass Nutzer:innen unter 16 Jahren der Zugang zu diversen Apps verboten sein soll. Dazu gehörten Messenger-Apps wie Whatsapp, Social-Media-Apps wie Instagram oder Tiktok und Videokonferenz-Apps wie Zoom oder Facetime. „Ein solches Mindestalter wäre leicht zu umgehen und würde Jugendliche bevormunden und isolieren, anstatt sie zu stärken“, kritisiert Breyer.
Ganz vom Tisch ist der Kommissionsvorschlag zur verpflichtenden Überwachung ohnehin noch nicht: Abhängig von den weiteren Verhandlungen könnte die nächste Ratspräsidentschaft das Vorhaben erneut einbringen.
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