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Krise der Grünen in OstdeutschlandGrüne, hört die Signale

Grünen-Chef Felix Banaszak will die Präsenz seiner Partei im Osten stärken. Jetzt hat der Duisburger ein Abgeordnetenbüro in Brandenburg eröffnet.

Lernort für Wessis: Felix Banaszak am Samstag bei der Eröffnung seines neuen Regionalbüros in Brandenburg an der Havel Foto: Carsten Koall/dpa
Rainer Rutz

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Rainer Rutz aus Brandenburg und Havel

Die Grünen und der Osten – das ist eine Leidensgeschichte für sich. Unterdurchschnittliche Wahlergebnisse, schwache Strukturen, das Image der westdeutschen Akademikerpartei. Die Grünen hatten es im Osten noch nie leicht. In den vergangenen Jahren ist ein nahezu flächendeckend verbreiteter Hass auf die Partei dazugekommen. Dementsprechend düster sind die Aussichten für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern im kommenden Jahr.

„An manchen Stellen ist es frustrierend“, sagt Sylvana Specht. Sie ist Grünen-Kreisvorsitzende in Brandenburg an der Havel, einer 75.000-Einwohner-Stadt rund 60 Kilometer westlich von Berlin. Und sie hat den Absturz ihrer Partei bei Landtagswahlen schon hinter sich. Wie in Thüringen flogen die Grünen auch in Brandenburg 2024 nicht nur aus der Regierung, sondern auch gleich aus dem Landtag.

Frust hin, Frust her, seit diesem Wochenende hat Spechts Kreisverband mit Grünen-Parteichef Felix Banaszak immerhin einen prominenten Abgeordneten im Bundestag, wenn auch nur im Rahmen eines „besonderen Mentoringprogramms“. Am Samstag hat der Duisburger Parlamentarier im beschaulichen, aber an diesem Nieselregentag recht menschenleeren Teil der Altstadt von Brandenburg ein eigenes „Regionalbüro“ eröffnet.

Grüne Ostoffensive

Rund 40 Interessierte sind im Hinterhof des Büros zusammengekommen, um genau das zu feiern. Die örtliche Linke schenkt Banaszak zur Eröffnung eine Grünpflanze, Sylvana Specht und Co-Kreischef Ronny Patz überreichen ihm ein schmales Bändchen mit dem Titel „120 Antworten. Hinweise für den Alltag in den neuen Bundesländern“, 1990 vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen herausgegeben. „Das haben wir beim Aufräumen gefunden“, sagt Patz. Augenzwinkern und so.

Das Büro ist Teil einer grünen Ostoffensive. Nach der Bundestagswahl sei für ihn klar gewesen, er müsse etwas tun, sagt Banaszak. Es folgte die Gründung eines Vorstandsbeirats „Bündnisgrüner Osten“, eine Sommertour des Chefs durch ostdeutsche Gemeinden, ein grüner Ostkongress in Sachsen-Anhalt – und nun die Eröffnung eines zweiten Abgeordnetenbüros in Brandenburg neben seinem eigentlichen Wahlkreisbüro im fast 500 Kilometer entfernten Duisburg.

Banaszak sagt, er verstehe das Büro als „Lernort“, als „mein Fenster in den Osten“, er wolle zuhören und reden. Bis zu dreimal im Quartal, so sein Plan. Den Rest der Zeit führt eine Mitarbeiterin die Geschäfte. Für ihn sei das Büro ein Stück weit „ein Experiment“, sagt der Grünen-Chef.

Das Experiment ist im Grunde nur ein kleines Hinterzimmer in der ohnehin kleinen Grünen-Geschäftsstelle von Brandenburg. Freundlich hergerichtet und ordentlich abgetrennt vom Parteibüro. Schon aus formalen Gründen. Schließlich ist es nicht das Regionalbüro des Parteichefs Banaszak, sondern dessen zweites Abgeordnetenbüro, finanziert aus seinen Abgeordnetenmitteln.

Banaszak: „Ein Signal“

Warum ausgerechnet Brandenburg an der Havel? Die Nähe zu Berlin, sicher. Mit der Regionalbahn braucht er von Berlin eine Stunde. Banaszak sagt aber auch: „Es gibt hier schon Potenzial.“ In der Stadt gibt es etwas mehr als 100 Mitglieder, vor ein paar Jahren waren es 40, der Verband wächst. Das ist immer noch wenig im Vergleich zu den mitgliederstarken Kreisverbänden in westdeutschen Städten vergleichbarer Größe. Es ist aber auch deutlich mehr als in anderen Gegenden Ostdeutschlands.

Nach dem Start seiner Ostoffensive musste sich Banaszak Vorwürfe gefallen lassen, auch mit Blick auf das von ihm angeregte Mentoringprogramm. Die Rede war von Paternalismus und Ostsafari. „Dass es jetzt begründungspflichtig ist, dass sich ein Kind des Ruhrgebiets in den Osten verirrt, das habe ich nicht verstanden“, sagt er im Gespräch mit der taz.

Dass es jetzt begründungspflichtig ist, dass sich ein Kind des Ruhrgebiets in den Osten verirrt, das habe ich nicht verstanden

Grünen-Parteichef Felix Banaszak

Sicher ist, dass das Zweitbüro des Wessis Banaszak im Osten ein Novum ist. Ob andere Grünen-Abgeordnete nachziehen und ebenfalls Dependancen im Osten eröffnen, da sei er „jetzt auch gespannt“, sagt Banaszak. Aber: „Wenn der Parteivorsitzende diesen Schritt tut, dann ist es ein Signal, dass die Partei ein ernsthaftes Interesse hat, dass wir im Osten besser werden.“

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2 Kommentare

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  • Selbst ein Kind des Rujhrgebiets, irritiert es mich, wie Banaszak mit seiner Herkunft kokettiert. Dabei hat er in Berlin Zivildienst geleistet und dann an der FU Berlin Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft studiert. Niemals etwas außerhalb des Politikbetriebs gemacht. Viel weiter kann man sich vom wirklichen Leben im Ruhrgebiet gar nicht entfernen.

  • Nach 35 Jahren vollziehen die Grünen jetzt die Wende nach. Auch damals übernahmen Wessis die Chefsessel der verbliebenen Betriebe, der Verwaltung und der Justiz.

    Na dann, viel Glück beim "Experiment" (aka Abenteuer).