UN-Sicherheitsrat zur Westsahara: „Es geht nicht nur um Ressourcen“
Die Politologin Isabelle Werenfels über Marokkos Autonomie-Plan für die Region und die geopolitischen Gründe, warum es sich damit durchsetzen konnte.
Frau Werenfels, der UN-Sicherheitsrat hat sich dafür ausgesprochen, dass die Westsahara eine autonome Region innerhalb Marokkos werden solle. Wie kommt das?
Isabelle Werenfels: Das ist eindeutig ein diplomatischer Sieg für Marokko, der ohne die Unterstützung der USA so nicht möglich gewesen wäre. Wenn man die Resolution liest, dann sieht man, dass da eine Reihe von eher vagen und vorsichtigen Formulierungen drin sind. Aber insgesamt fällt sie eindeutig zu Gunsten Marokkos aus.
Schon 2020 hat Donald Trump in seiner ersten Amtszeit den Anspruch Marokkos auf das umstrittene Gebiet der Westsahara unterstützt – als Belohnung dafür, dass Marokko seine Beziehungen zu Israel normalisiert hat. Warum ist ihm der UN-Sicherheitsrat jetzt gefolgt?
Damals war die Stimmung im Sicherheitsrat noch eine andere. Seitdem hat sich viel geändert. In der Zwischenzeit haben sich eine ganze Reihe europäischer Staaten, von Frankreich über Spanien und Portugal bis Großbritannien, in unterschiedlichem Maße auf Marokko zubewegt. Aber auch immer mehr nicht-westliche Staaten erkennen die marokkanische Souveränität bzw. den Autonomieplan an, wenn auch in unterschiedlich eindeutigen Formulierungen.
Warum?
Marokko hat sehr viele Fakten geschaffen, es gibt geopolitische Gründe und die internationale Politik ist generell viel transaktionaler geworden. Im Fall von Spanien hat das ganz klar mit dem Thema Migration zu tun. Die Franzosen haben ihre Position geändert, weil sie im Sahel komplett an Rückhalt verloren haben und sich mit Algerien und Tunesien schwer tun, so dass sich ihnen im Maghreb nur noch Marokko als enger Partner anbot. Viele westliche Staaten haben ein Interesse an Marokko, weil sich Marokko sicherheitspolitisch stark nach Westen ausrichtet.
Welche Rolle spielen Ressourcen in diesem Konflikt?
Es gibt zum Beispiel Phosphat, und die Region ist für Investoren im Bereich erneuerbarer Energien interessant. Marokko baut in der Westsahara einen großen Hafen. Besonders relevant ist, dass die Westsahara die einzige Landverbindung Marokkos nach Westafrika darstellt. Die ganzen Infrastrukturprojekte, mit denen Marokko den Sahelstaaten einen Zugang zum Atlantik verschaffen will, sind ohne die Westsahara, aber auch ohne Mauretanien nicht möglich.
Aber es geht nicht nur um Ressourcen?
Nein, die Westsahara-Frage ist zu einem Pfeiler der marokkanischen Identität geworden. Man trifft kaum Marokkaner, weder in Marokko noch im Ausland, die das anders sehen. Wenn es um Palästina geht, mögen die Meinungen auseinander gehen. Bei der Westsahara nicht. An der Normalisierung der Beziehungen zu Israel gab es in Marokko viel Kritik. Aber die Westsahara gehört nach Meinung der allermeisten Marokkaner zu Marokko. Die territoriale Integrität zählt, wie die Monarchie und die Religion inzwischen zu den Grundpfeilern des marokkanischen Systems.
Ursprünglich sah der UN-Prozess ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara vor, das hat Marokko aber seit 1991 erfolgreich blockiert. Ist das jetzt vom Tisch?
Man muss die Resolution schon sehr genau lesen. Das Thema der Selbstbestimmung wird nach wie vor genannt, das betont derzeit auch Algerien. Dennoch ist der Grundtenor, dass eine Autonomie innerhalb des marokkanischen Staates die realistischste Lösung ist, und dass man auf dieser Basis verhandeln sollte. Da kann man natürlich einen gewissen Widerspruch sehen.
Wird es überhaupt ein Referendum geben?
Die Idee ist schon seit einiger Zeit, dass der zukünftige Status über eine Verhandlungslösung zwischen den Parteien, das heißt, mit den Sahrauis gefunden wird. Das fand sich auch in früheren Resolutionen. Ob am Ende ein Referendum steht, wie es ursprünglich gedacht war, ist aber höchst unklar. Man muss aber auch sehen, dass sich am Status der Westsahara durch diese Resolution allein noch nichts geändert hat. Der wird sich erst ändern, wenn eine gemeinsame verhandelte und vereinbarte Lösung vorliegt. Und für Verhandlungen über einer Autonomie muss die Polisario an Bord sein, und letztlich auch Algerien.
Welche Rolle spielt Algerien?
Algerien hat Einfluss auf die Polisario, die politische Vertretung der Sahraui. Wenn Algerien ihr Signale geben würde, sich auf eine Autonomielösung einzulassen, dann wird es für diese sehr schwer, sich dem zu entziehen. Die Polisario hat vor der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat verlauten lassen, dass sie sich vorstellen kann, in einem Referendum auch über eine Autonomielösung abstimmen zu lassen.
Wenn man von einem Referendum spricht, dann ist die Frage: Wer darf abstimmen? In der Westsahara bilden Marokkaner heute die größte Bevölkerungsgruppe, weil Marokko das besetzte Land besiedelt hat.
Richtig. Die Frage ist: Dürfen auch Menschen aus der Westsahara, die in Rabat oder anderswo in Marokko leben, mit abstimmen? Oder nur die, die in den so genannten Südprovinzen leben, wie Marokko sie nennt? Wie steht es mit den Sahraui in der Diaspora? Und wie eruiert man genau, wer sahraouische Wurzeln hat? Das ist alles kompliziert und ungeklärt.
Elf der 15 Sicherheitsrats-Mitglieder haben für den von den USA ausgearbeiteten Text gestimmt. Wer nicht?
Russland, China und Pakistan haben sich im Sicherheitsrat enthalten, Algerien hat an der Abstimmung nicht teilgenommen. Es wurde offenbar bis zum letzten Moment zäh um einzelne Formulierungen gerungen. Die Amerikaner und die Marokkaner hatten die Sorge, dass es ein russisches Veto geben könnte, wenn der Text nicht entschärft wird. Frühere Versionen waren noch eindeutiger auf der marokkanischen Linie.
Wie blicken Netanjahu und Putin auf diese Resolution? Hilft ihnen das bei ihren Annexionsplänen, im Westjordanland oder mit Blick auf Teile der Ukraine?
Israel hat nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Marokko dessen Souveränität über die Westsahara anerkannt, und ich glaube, Putin ist das Völkerrecht ziemlich egal. Putin braucht Marokko nicht.
Zwischen Deutschland und Marokko gab es 2021 eine veritable Krise, damals ging es auch um die Westsahara. Berlin hat Trumps Entscheidung, Marokkos Annexion anzuerkennen, damals explizit kritisiert. Hat es seine Haltung nun geändert?
Nein. Deutschland orientiert sich immer an den UN-Resolutionen und wird das auch weiter tun. Wenn sich da jetzt etwas verschoben hat, dann, so vermute ich, wird Deutschland sich dazu nicht groß äußern. Aber Deutschland kann sich nun auf diese UN-Resolution beziehen – ohne seine Position explizit ändern zu müssen.
Die Bundeswehr ist mit bis zu vier Militärbeobachtern an einer UN-Friedensmission in der Westsahara beteiligt, die der UN-Sicherheitsrat um ein weiteres Jahr verlängert hat. Ändert sich etwas an dieser Friedesnmission?
Nein, daran ändert sich vorerst wenig. In der Resolution steht, dass die UNO-Friedensmission den Persönlichen Gesandten der UNO bei seinen Verhandlungen unterstützen soll. Vor allem aber soll es über das zukünftige Mandat der Mission in sechs Monaten einen strategischen Bericht geben. Politiker in den USA haben immer wieder angedeutet, dass sie die Mission für überflüssig halten, das ist jetzt vorläufig wieder für ein Jahr vom Tisch. Ich vermute aber, dass wir in einem Jahr zumindest eine Umwandlung des Mandats sehen werden.
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