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Anleitung gegen den AutoritarismusDemokratische Manieren

Robert Misik

Kommentar von

Robert Misik

Rechtsextreme dominieren den Diskurs und verkaufen sich als demokratische Erneuerung. Dagegen hilft eine positive, selbstbewusste Idee von Demokratie.

Tausende protestieren auf der AfD-Verbot-Demonstration in Berlin, am 11. Mai 2025 Foto: Ipon/imago
Inhaltsverzeichnis

D er völkische Nationalismus und der Geist des Autoritarismus sind im Aufwind, und Parteien wie die AfD gewinnen an Boden. Aber, das sollte man auch stets betonen: Die Mehrheit lehnt den Rechtsextremismus ab. Dennoch dreht sich alles um die rechtsradikale Minderheit. Die Sozialpsychologie spricht von der „Mehrheitsillusion“, wenn Auffassungen von Minderheiten als dominant erscheinen, nur weil sie übermäßig repräsentiert sind.

Aber wie dagegenhalten? Erst einmal, indem man präzise ist. Ich habe sehr genau die 1.100-Seiten des Verfassungsschutz-Gutachtens über die „Alternative für Deutschland“ gelesen, in dem der Ultrarechtspartei eine „rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert wird. Dass die AfD eine rechtsextremistische Partei ist, ist kein besonders schwer zu beweisender Sachverhalt. Die Frage ist eher: Reicht das Gesamtbild für ein Verbot?

Die Verfassungsschützer argumentieren damit, dass die AfD gegen das Menschenwürdeprinzip verstoße, weil sie von zwei Klassen an Staatsbürgern ausgeht, den autochthonen und jenen mit Migrationshintergrund. Wenn sie könnte, würde sie diese nach einem Apartheitprinzip sogar rechtlich unterschiedlich behandeln. Unzählige Parteifunktionäre sagen das auch ganz unverhohlen. Außerdem sieht die AfD die einen einfach als die echten Deutschen, die anderen können tun, was sie wollen, sie werden nie ganz echt. Indiz dafür ist der Gebrauch von Begriffen wie „Passdeutsche“ und „Biodeutsche“. Andererseits: Machen das nicht auch andere, nicht nur Rechtsradikale? Sogar Migra-Aktivisten sprechen von „Biodeutschen“, nur eben nicht affirmativ, sondern sarkastisch, von „Kartoffeln“, also den „deutschen Deutschen“, irgendwie doof, ohne hybride Identitäten, und deshalb beschränkt.

Manchmal ist das Denken des Feindes unser eigenes Denken als seitenverkehrte Karikatur. Postulate der Identitätspolitik haben sich so verallgemeinert, dass fast alle in Kategorien von Identitätsmarkern denken.

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Erneuerer der Demokratie

Sozial- und Meinungsforscher weisen auch darauf hin, dass die Parole „Demokratie verteidigen“ als Antwort auf den neuen Faschismus nicht so richtig verfängt. Sie ist zu abstrakt. Die Menschen sehen „die Demokratie“ durch den Aufstieg eines neuen, rechten Autoritarismus nicht bedroht. Die So­zio­lo­g:in­nen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey sprechen in ihrem neuen Buch „Zerstörungslust“ sogar vom „demokratischen Faschismus“, womit gemeint ist, dass sich faschistische Fantasien der Härte und der Bestrafung in der Demokratie einnisten.

Nun halte ich es nicht für eine überraschende Neuigkeit, dass der Faschismus in der Demokratie operiert, bis es ihm gelungen ist, diese abzuschaffen. Auffällig ist dagegen schon, dass sich die Autoritären heute selbst nicht als „antidemokratisch“ darstellen, sondern als Erneuerer der Demokratie, sogar als die „echten Demokraten“, die den Wünschen der Mehrheit endlich wieder zum Durchbruch verhelfen, sei es gegen die angeblichen liberalen Eliten, sei es gegen linke Umerziehung. Das ist einerseits Propaganda, andererseits ihr echtes Weltbild. Früher waren die Faschisten stolz darauf, Faschisten zu sein, heute würde sich kaum ein Wähler der Ultrarechten selbst als Faschist sehen.

Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden – und das, wofür die Mehrheit votiert, soll durchgepeitscht werden. Wenn 51 Prozent den anderen 49 Prozent die Ohren langziehen, wäre das laut diesem beschränkten Demokratiebegriff, der von Minderheitenschutz oder Pluralismus noch nie etwas gehört hat, auch „Demokratie“.

Raus aus der Defensive

Was der neue Autoritarismus angreift, ist die demokratische Lebensweise. Diese „demokratische Lebensweise“ hat freiheitliche und rechtsstaatliche Institutionen und Verfassungsordnungen als Grundlage, geht aber über diese hinaus. Die Meinungs- und Kunstfreiheit gehört dazu, aber auch eine Mentalität, die in zeitgenössischen Gesellschaften tiefe Wurzeln geschlagen hat. Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen Lebensstilen und Wertesystemen. Gesellschaften sind divers und heterogen, und das in vielerlei Hinsicht. Progressive, sozialistische und liberale Haltungen sind insofern zu einem allgemeinen Hintergrundrauschen geworden, weshalb die Ultrarechten vom „linken Mainstream“ fantasieren können.

Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will; dass man Mitbürger mit abweichenden Lebensentwürfen nicht diskriminiert und Menschen mit etwa Behinderung nicht verspottet, dass jeder auf seine eigene Art glücklich werden soll, dass man Kinder nicht schlägt und auch nicht mit seelischer Grausamkeit neurotisiert; dass Erziehung emanzipativ sein soll, nicht autoritär und repressiv – all das ist heute Konsens, sogar weit in rechtskonservative Milieus hinein.

Als Donald Trump 2016 einen Reporter mit Behinderung verspottete, indem er dessen zuckende Armbewegungen in Folge einer angeborenen Gelenkversteifung nachäffte, haben die allermeisten Menschen es als eine ekelhafte Übertretung empfunden. Aber für Trump und seine Hardcore-Anhänger war es ein Akt der „Opposition“ gegen eine gängige Moralverstellung.

Damit sind wir einer Antwort auf die Frage „Wie dagegenhalten?“ vielleicht nähergekommen: Mit der Leidenschaft für die demokratische Lebensweise, dem, was der US-Philosoph Alexandre Lefebvre „Liberalism as a Way of Life“ nennt. Raus aus der Defensive heißt, wir haben nicht nur etwas zu verteidigen, sondern auch etwas zu gewinnen, für das man sich begeistern kann: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Sicherheit, Humanität und Zärtlichkeit, ein Leben, das nach und nach reicher für alle wird.

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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9 Kommentare

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  • Ich glaube es muss aber viel mehr Denokratie in die Ökonomie,denn die ist als nakte neoliberal kapitalistische Normalisierung ne Autoritarisierungsmaschine gg Demokratie: die Menschen vereinzeln& verinnerlichen die neoliberalen Menschenbilder, die Leistung total setzen, vor humanitären Werten. Die autoritären Kommunisten haben das Wort Kommunismus, das für das Gute Leben für alle stehen sollte, verraten und wurden selbst totalitär. Heute aber brauchen wir wieder & viel schneller als nur langsam Commonsismus als Demokratie für nachhaltige Lösungen für ein gutes Leben für alle, bzw. ein Überleben als Menschheit =für Alle, bevor die Reichen autoritären KI Owner den Planeten unter sich aufteilen + vernutzen für ihre Privatjets etc. pp. Die Demokratie ist nicht mit dem Kapitalismus verheiratet, aber nun braucht sie die Scheidung, wei der sie gerade erdrosseln könnte:Wie machen wir das als Mehrheit. Die Merhheit der Chinesen, möge ja Xi überreden, die friedliche Übergänge für ne globale Leitwärung ohne National-imperiale Bindung &basierend auf seltenen Erden als globales&nachhaltig zu schürfendes + kreislaufwirtschaftlich kooperativ zu nutzendes Gemeingut, endlich den Petro $ abzulösen.

  • Ich messe eine Demokratie nicht nur daran, wie sie mit Migranten umgeht, sondern auch daran, wie sie mit anderen Minderheiten, wie Schwulen und Lesben, Behinderten usw. umgeht. Eine Partei, für die es zwei Klassen von Mitbürgern gibt, nämlich Deutsche und Nicht-Deutsche, die nur die Ehe und Kleinfamilie fördern möchte und sich gegen die Integration von Menschen mit Behinderungen ausspricht, kann keine demokratische Partei sein.

  • Dem Autor fällt nicht auf, dass das Mehrheitsprinzip ein Prinzip der Wahlrepublik und nicht der Demokratie ist, dass er selbst, die AfD und ebenso alle selbsternannten „demokratischen Parteien“ begrifflich daneben liegen. Sie alle verteidigen die elitäre Wahlrepublik als vermeintliche Demokratie und streiten eigentlich darüber, in welche Richtung und wie stark eine republikanische Regierungsmehrheit in die Gesellschaft eingreifen darf. Wäre auch nur eine der Parteien dafür, „mehr Demokratie zu wagen“, müssten sie für grundlegende Reformen des institutionellen Systems politischer Repräsentation eintreten. Das macht aktuell aber fast keine Partei. Im Gegenteil. Quer durch die Mitte wollen sie am System ausgewählter (d.h. elitärer) Repräsentation durch ParteipolitikerInnen festhalten, planen die exekutive Regierungsfunktionen zu stärken und dafür existierende Verfahren von BürgerInnenbeteiligung und -schutz abzubauen. Das alles um Wettbewerbsfähigkeit und Wehrfähigkeit des Nationalstaates, den sie anführen bzw. anführen wollen, zu stärken. Es scheint ganz so, als ob das Verlangen nach Führung nie weg war.

  • Dass die "disruptiven" Rechten sich heute als die wahren Demokraten inszenieren können, hat m.E. viel damit zu tun, dass der politische Mainstream selbst zunehmend autoritärer wird, und dass er ein instrumentelles, um nicht zu sagen zynisches Verhältnis zu den demokratischen Institutionen entwickelt.

    Beispiel 1: - Weitreichende Verfassungsänderungen werden nach einer Wahl noch mit alten Mehrheiten durch den Bundestag gepeitscht.

    Beispiel 2: - Die EU-Kommissionschefin macht an den nationalen Parlamenten vorbei dem US-Präsidenten sehr weitgehende haushaltsrelevante Zusagen.

    Beispiel 3: - Die EU sanktioniert im Zusammenhang mit Russland erstmals eigene Bürger, entzieht ihnen (ohne Gerichtsverfahren) elementare Rechte.

    Beispiel 4: - Der Inlandsgeheimdienst erhält ein neues, unbestimmtes "Catch-All"-Aufgabenfeld zur Überwachung von "verfassungsrelevanter Delegitimierung des Staates".

    Beispiel 5: - Die Bundesregierung beschließt eine "Bürgergeldreform", die im Widerspruch zur einer früheren Entscheidung des BVerfG steht und testet damit die Dehnbarkeit des Grundgesetzes bewusst aus.

    In Anlehnung an Orwell: Die Vierbeiner und die Zweibeiner werden allmählich ununterscheidbar.

  • "Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden ..."



    Das erlebe ich im Alltag auch, dabei sollte man eine Demokratie an ihrem Umgang mit Minderheiten messen. Darunter verstehe ich die Einbindung auch von Minderheiten in Entscheidungsprozesse. Sonst läuft man Gefahr, dass sie zur Tyrannei der Mehrheit wird.



    Wenn ich von einem Entscheidungsprozess ausgeschlossen werde, kann ich nicht meine Meinung sagen und Einfluss auf den Prozess nehmen. Ich bin zwar abstimmungsberechtigt, aber die Mehrheit meint vielleicht, dass meine Stimme nichts am Ausgang geändert hätte. So werden demokratische Prinzipien ausgehebelt, z.B. "weil es schneller geht" oder einfacher ist - aber dann auch nicht mehr wirklich demokratisch ...

  • Robert Misik immer wieder erfrischend. Danke

  • "Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will...– all das ist heute Konsens, sogar weit in rechtskonservative Milieus hinein." Ist das wirklich der Konsens? Diesen Eindruck teile ich nicht ansatzweise!

  • Auch dieser Artikel schreibt wieder am eigentlichen Problem vorbei.



    Ja, Rechtsextremismus ist ein Riesenproblem. Und ja, Rechtsextreme versuchen den Diskurs zu bestimmen.

    Aber all das sind nur Folgeprobleme des eigentlichen Problems.



    Nämlich, dass die Demokratie bis weit ins linke Pater hinein als Mehrheitsdemokratie verstanden wird, dass als eine Partei, die mehr Stimmen als alle anderen Parteien bekommen hat (eS euphemistisch als "wir haben die Wahl gewonnen" bezeichnet wird) glaubt, dass sie das Recht hätte, die Richtlinien der Politik für die nächsten 4 Jahre zu bestimmen. Und dass die anderen Parteien in der Regierung glauben, die müssten auch noch ein wenig für ihre Wähler tun, aber keine Partei fühlt sich verpflichtet, eine Politik zu machen, mit der eine große Mehrheit der Bevölkerung zufrieden ist. Im Gegenteil, sowohl die Ampel, als auch die jetzige Regierung als auch die anderen Regierungen der letzten 30 Jahre fanden es völlig in Ordnung, eine Politik zu machen, mit der die Grösse Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden ist, teilweise 70-80%, teilweise sogar noch mehr. Das hat zur heutigen Situation geführt, in der 20-40% der Menschen eine rechtsextreme Partei wählen.

  • Um die vom Autor anvisierten Ziele zu erreichen, bedürfte es doch erst einmal einer glaubwürdigen Zukunftserzählung mit der sich die Bevölkerung identifizieren kann.

    Die habe ich hier in Deutschland bisher nicht entdecken können. Die Politik gibt keinen Takt vor und ist weitgehend befreit von Zukunftsvisionen und wenn einmal eine präsentiert wird, dann zersetzt Lagerdenken selbst die guten Ansätze.

    Es fehlen die tragfähigen Konzepte, um den im schönen neudeutsch genannten "Selbstverwirklichungskapitalismus" etwas greifbares entgegenzusetzen. Dessen Kern ist ja gerade, das auch autoritäre Mittel gerechtfertigt sind, um die individuellen Freiheiten durchzusetzen. Ähnliches hat ja bereits Erich Fromm schon vor 60 Jahren erkannt und das mit den Auswirkungen des Kapitalismus verbunden.

    Da werden Ansätze wie mehr Gleichheit oder ein mehr an Humanität nur die wenigsten überzeugen, da es vielen an Einsicht und Erfahrung fehlt, was das für sie persönlich für Vorteile hätte.

    Am Anfang sollte daher die gesellschaftliche Identitätsbildung stehen und dafür bedarf es einer Geschichte die überzeugender ist, als die Narrative der Rechtspopulisten.