Anleitung gegen den Autoritarismus: Demokratische Manieren
Rechtsextreme dominieren den Diskurs und verkaufen sich als demokratische Erneuerung. Dagegen hilft eine positive, selbstbewusste Idee von Demokratie.
Inhaltsverzeichnis
D er völkische Nationalismus und der Geist des Autoritarismus sind im Aufwind, und Parteien wie die AfD gewinnen an Boden. Aber, das sollte man auch stets betonen: Die Mehrheit lehnt den Rechtsextremismus ab. Dennoch dreht sich alles um die rechtsradikale Minderheit. Die Sozialpsychologie spricht von der „Mehrheitsillusion“, wenn Auffassungen von Minderheiten als dominant erscheinen, nur weil sie übermäßig repräsentiert sind.
Aber wie dagegenhalten? Erst einmal, indem man präzise ist. Ich habe sehr genau die 1.100-Seiten des Verfassungsschutz-Gutachtens über die „Alternative für Deutschland“ gelesen, in dem der Ultrarechtspartei eine „rechtsextremistische Bestrebung“ attestiert wird. Dass die AfD eine rechtsextremistische Partei ist, ist kein besonders schwer zu beweisender Sachverhalt. Die Frage ist eher: Reicht das Gesamtbild für ein Verbot?
Die Verfassungsschützer argumentieren damit, dass die AfD gegen das Menschenwürdeprinzip verstoße, weil sie von zwei Klassen an Staatsbürgern ausgeht, den autochthonen und jenen mit Migrationshintergrund. Wenn sie könnte, würde sie diese nach einem Apartheitprinzip sogar rechtlich unterschiedlich behandeln. Unzählige Parteifunktionäre sagen das auch ganz unverhohlen. Außerdem sieht die AfD die einen einfach als die echten Deutschen, die anderen können tun, was sie wollen, sie werden nie ganz echt. Indiz dafür ist der Gebrauch von Begriffen wie „Passdeutsche“ und „Biodeutsche“. Andererseits: Machen das nicht auch andere, nicht nur Rechtsradikale? Sogar Migra-Aktivisten sprechen von „Biodeutschen“, nur eben nicht affirmativ, sondern sarkastisch, von „Kartoffeln“, also den „deutschen Deutschen“, irgendwie doof, ohne hybride Identitäten, und deshalb beschränkt.
Manchmal ist das Denken des Feindes unser eigenes Denken als seitenverkehrte Karikatur. Postulate der Identitätspolitik haben sich so verallgemeinert, dass fast alle in Kategorien von Identitätsmarkern denken.
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Erneuerer der Demokratie
Sozial- und Meinungsforscher weisen auch darauf hin, dass die Parole „Demokratie verteidigen“ als Antwort auf den neuen Faschismus nicht so richtig verfängt. Sie ist zu abstrakt. Die Menschen sehen „die Demokratie“ durch den Aufstieg eines neuen, rechten Autoritarismus nicht bedroht. Die Soziolog:innen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey sprechen in ihrem neuen Buch „Zerstörungslust“ sogar vom „demokratischen Faschismus“, womit gemeint ist, dass sich faschistische Fantasien der Härte und der Bestrafung in der Demokratie einnisten.
Nun halte ich es nicht für eine überraschende Neuigkeit, dass der Faschismus in der Demokratie operiert, bis es ihm gelungen ist, diese abzuschaffen. Auffällig ist dagegen schon, dass sich die Autoritären heute selbst nicht als „antidemokratisch“ darstellen, sondern als Erneuerer der Demokratie, sogar als die „echten Demokraten“, die den Wünschen der Mehrheit endlich wieder zum Durchbruch verhelfen, sei es gegen die angeblichen liberalen Eliten, sei es gegen linke Umerziehung. Das ist einerseits Propaganda, andererseits ihr echtes Weltbild. Früher waren die Faschisten stolz darauf, Faschisten zu sein, heute würde sich kaum ein Wähler der Ultrarechten selbst als Faschist sehen.
Demokratie wird einfach als Mehrheitsprinzip verstanden – und das, wofür die Mehrheit votiert, soll durchgepeitscht werden. Wenn 51 Prozent den anderen 49 Prozent die Ohren langziehen, wäre das laut diesem beschränkten Demokratiebegriff, der von Minderheitenschutz oder Pluralismus noch nie etwas gehört hat, auch „Demokratie“.
Raus aus der Defensive
Was der neue Autoritarismus angreift, ist die demokratische Lebensweise. Diese „demokratische Lebensweise“ hat freiheitliche und rechtsstaatliche Institutionen und Verfassungsordnungen als Grundlage, geht aber über diese hinaus. Die Meinungs- und Kunstfreiheit gehört dazu, aber auch eine Mentalität, die in zeitgenössischen Gesellschaften tiefe Wurzeln geschlagen hat. Die Maxime „Leben und leben lassen“, also die Achtung vor anderen Lebensstilen und Wertesystemen. Gesellschaften sind divers und heterogen, und das in vielerlei Hinsicht. Progressive, sozialistische und liberale Haltungen sind insofern zu einem allgemeinen Hintergrundrauschen geworden, weshalb die Ultrarechten vom „linken Mainstream“ fantasieren können.
Dass man Andere als Gleiche behandeln soll, dass man jedem Respekt entgegenbringt; dass sogar Verteilungsgerechtigkeit und ein Sozialstaat dazugehören, damit niemand so unter die Räder kommt, dass er oder sie ihre Talente nicht entwickeln kann; dass man nicht kommandiert werden will; dass man Mitbürger mit abweichenden Lebensentwürfen nicht diskriminiert und Menschen mit etwa Behinderung nicht verspottet, dass jeder auf seine eigene Art glücklich werden soll, dass man Kinder nicht schlägt und auch nicht mit seelischer Grausamkeit neurotisiert; dass Erziehung emanzipativ sein soll, nicht autoritär und repressiv – all das ist heute Konsens, sogar weit in rechtskonservative Milieus hinein.
Als Donald Trump 2016 einen Reporter mit Behinderung verspottete, indem er dessen zuckende Armbewegungen in Folge einer angeborenen Gelenkversteifung nachäffte, haben die allermeisten Menschen es als eine ekelhafte Übertretung empfunden. Aber für Trump und seine Hardcore-Anhänger war es ein Akt der „Opposition“ gegen eine gängige Moralverstellung.
Damit sind wir einer Antwort auf die Frage „Wie dagegenhalten?“ vielleicht nähergekommen: Mit der Leidenschaft für die demokratische Lebensweise, dem, was der US-Philosoph Alexandre Lefebvre „Liberalism as a Way of Life“ nennt. Raus aus der Defensive heißt, wir haben nicht nur etwas zu verteidigen, sondern auch etwas zu gewinnen, für das man sich begeistern kann: Mehr Freiheit, mehr Gleichheit, mehr Sicherheit, Humanität und Zärtlichkeit, ein Leben, das nach und nach reicher für alle wird.
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