G20-Gipfel in Südafrika: Den Störfaktor ausschalten
Ein Bündnis der Staaten, die für mehr globale Gerechtigkeit eintreten, scheint sinnvoller als ein Gipfel der G20. Die großen Player stören nur.
S üdafrikas Präsident Ramaphosa hatte sich für den G20-Gipfel mehr Solidarität, mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Außerdem versprach er, die letztes Jahr gestartete „Globale Allianz gegen Hunger und Armut“ weiter voranzubringen. Es ist dringlicher denn je, denn der Hunger in der Welt nimmt wieder zu.
Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) leiden weltweit 673 Millionen Menschen chronisch an Hunger. In den Ländern Afrikas südlich der Sahara ist jeder fünfte Mensch von Nahrungsmittelknappheit betroffen. Ganz besonders dramatisch ist die Lage im Sudan, wo 25 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen sind. Das ist eine schreckliche und nicht aushaltbare Situation, die international noch immer zu wenig Beachtung findet.
Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Der G20-Gipfel bot eine reelle Chance dafür, schnell notwendige Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um den Hunger auf der Welt zu beseitigen, auch, oder gerade weil große Player wie die USA und Russland nicht daran teilnahmen. Das Machtvakuum, das durch die Abwesenheit solch starker, autokratischer Länder entstand, hätte auch eine Möglichkeit sein können, um Dinge voranzubringen, die bislang ausgebremst oder blockiert wurden. Bedauerlich, dass das nicht der Fall war.
Was es braucht, sind Konzepte für eine Agrarökologie: weg von maximaler landwirtschaftlicher Produktionssteigerung und Exportgewinn und hin zu klimaresilienten, ökologisch nachhaltigen und gerechten Ernährungssystemen. Der Mensch, nicht der Profit, sollte im Mittelpunkt stehen. Exportorientierte Länder haben solche Ansätze stets verhindert.
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Konzerne vertreiben lokale Bauern
Dabei wird die Agrarökologie – nachhaltige und gerechte Ernährungssysteme – mittlerweile international und von vielen renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als wirksame Antwort auf Klimawandel und soziale Ungleichheiten anerkannt. Das gilt besonders für afrikanische Länder, wo ausländische Investoren, Agrar- und Lebensmittelkonzerne die Kontrolle über riesige landwirtschaftliche Nutzflächen für sich beanspruchen und damit lokalen Landwirten Möglichkeiten zur Lebensmittelproduktion rauben.
Es sind gerade die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die global gesehen mit 80 Prozent den größten Anteil der weltweit verfügbaren Nahrungsmittel produzieren; nicht die industrielle Agrarwirtschaft. Hier zu investieren, würde sich bei weiten mehr lohnen als Investitionen in die Produktion von für den Export bestimmte sogenannte Cash Crops. Nachhaltige und gerechte Ernährungssysteme hatte sich schon der G20-Gipfel im vergangenen Jahr als „unterstützenswerte Option“ vorgenommen.
ist politische Referentin bei der Hilfsorganisationen World Vision und dort zuständig für die Bereiche Ernährungssicherung und globale Gesundheit. Im Rahmen ihres Berufslebens war sie oftmals in afrikanischen und südost-asiatischen Ländern tätig. Seit vielen Jahren begleitet sie kritisch die Prozesse der G7 und G20.
In der Praxis geht es allerdings in erster Linie weiter darum, industrielle Landwirtschaft zu fördern und Märkte vor allem auch in Afrika fit für den Export zu machen. Von Agrarökologie fehlt bisher jede Spur. Hinzu kommt, dass auch Russland Mitglied der „Globalen Allianz gegen Hunger und Armut“ ist, jedoch – und das ist nicht weiter verwunderlich – dabei seine ganz eignen Interessen und Ziele verfolgt.
Die Chance des Gipfels in Südafrika wurde klar vertan! Es fehlt weiter an langfristig wirksamen Maßnahmen und am politischen Willen für schnelle, unmittelbare Hilfe bei Hungerkrisen. Zwar gibt es auch unter der Präsidentschaft von Ramaphosa ein Bekenntnis der G20 zur Fortführung der Allianz. Aber das bloße Zusammentragen der Praktiken zur Hungerbekämpfung, wie sie in den Policy Baskets festgehalten werden, reicht eben nicht.
Die Not wird schlimmer
Es braucht auch eine entsprechende Finanzierung, damit Länder insbesondere im globalen Süden ihre nationalen Ernährungspläne auch umsetzen können. Den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern muss geholfen werden, auch um ihnen den Zugang zu lokalen und auch internationalen Märkten zu erleichtern. In die Entscheidungsgremien der Allianz gegen Hunger und Armut sind sie jedoch noch nicht einmal eingebunden. So wird die Allianz kaum wirklich erfolgreich sein können.
Der Ausbau von Nahrungsmittelspeichern und von Instrumenten zur Preisstabilisierung hätte für die G20 Thema sein müssen, wie auch ein stärkeres Vorgehen gegen Nahrungsmittelspekulation. Vor allem aber fehlen Beschlüsse für Sofortmaßnahmen gegen die Hungerkrisen. Das Leid von Millionen Menschen, spitzt sich aktuell dramatisch zu, weil die Mitgliedstaaten – allen voran die USA – ihre Hilfsgelder drastisch gesenkt haben.
Allein die Beiträge für das UN-Welternährungsprogramm, das Nahrungsmittelhilfe in akuten Notsituationen zur Verfügung stellt, wurde im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozent gekürzt, was für zigtausende Menschen einem Todesurteil gleich kommt. Die G20 vereinen mehr als 85 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und repräsentieren knapp 80 Prozent der Weltbevölkerung. Sie hätten die Möglichkeiten und die wirtschaftliche Kraft für eine sofortige Aufstockung der Hilfsmittel.
Die informelle Gruppe der G20-Staaten war bislang eigentlich eines der wenigen Foren, in denen sich Regierungsvertreter und -vertreterinnen von Ländern mit Interessenskonflikten noch persönlich begegnet sind. Nun sehen wir einen zunehmenden Zerfall der G20, viele Staats- und Regierungschefs sind gar nicht erst zum Gipfel in Südafrika angereist.
Angesichts dieses Auseinanderbrechens von multilateralen Foren wie dem G20 sollten Mitgliedstaaten, die sich nach wie vor für die Beseitigung von globalen Ungleichheiten und einem Ende von Hunger und Armut einsetzen wollen, enger zusammenschließen und eigene Bündnisse formieren. So können konkrete Schritte vereinbart und tatsächlich auch vorangebracht werden, ohne Störfeuer von außen. Der Rat ist also: Bildet Banden!
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