Sexuelle Gewalt als Methode: Ein Albtraum, der immer noch im Körper steckt
Nicht nur das Trauma des 7. Oktober tut weh. Sondern auch, wie Teile der Welt bis heute reagieren: mit Zweifel, mit Leugnen und Umkehrung.
S eit die letzten israelischen Geiseln freigelassen wurden und auf den 7. Oktober endlich der 8. Oktober folgen konnte, geht mir ein Gedanke nicht aus dem Kopf: dieses Bild eines Albtraums, aus dem man erwacht, der aber noch lange im Körper steckt.
So beschrieben es Angehörige oft: zwei Jahre lang festgehalten in der Zeit. Und selbst jetzt, wo die Waffenruhe im Gazastreifen mal mehr, mal weniger gut hält, lässt sich nicht ungeschehen machen, was geschehen ist.
Als ich Rom Braslavski zuhörte, wurde mir bewusst, wie wenig wir immer noch wissen. Der 21-jährige Deutsch-Israeli war am 7. Oktober entführt worden und über zwei Jahre Geisel des „Islamischen Dschihad“. Vor wenigen Wochen sprach er öffentlich aus, was viele im Westen leichtfertig relativiert oder geleugnet hatten. Er berichtete von sexueller Gewalt, von totaler Erniedrigung. Wie er nackt gefesselt wurde, ohne Nahrung, dem Sterben nah. „Es war sexuelle Gewalt – und ihr Hauptzweck war, mich zu erniedrigen.“ Mehr könne er nicht erzählen, sagte er unter Tränen.
Nicht nur das Trauma zerstört. Sondern auch, wie die Welt reagiert: Zweifel, Leugnen, Umkehrung. Wie eine zweite Gewalt wirken diese Erfahrungen.
Mit jüdischen Opfern trauern
Das Vertrauen in internationale Organisationen ist bei vielen Juden geschwunden. Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis die Vereinten Nationen die Hamas wegen der sexuellen Gewalt vom 7. Oktober auf ihre schwarze Liste setzten. Zwei Jahre, in denen gezweifelt, bagatellisiert, abgewunken werden konnte. Dass es zur Entscheidung der UN kam, ist auch Verdienst der unermüdlichen Arbeit israelischer Forscherinnen – etwa des Dinah Project –, die das Ausmaß dokumentierten und dafür kämpften, gehört zu werden.
Und doch bleibt die Frage: Warum scheint es Teilen der Welt bis heute unmöglich, mit jüdischen Opfern zu trauern?
Die ehrlichste Antwort ist nicht neu: Viele sehen Juden lieber als passive Objekte – als Opfer, die sich nicht wehren sollen. Zugleich haftet ihnen ein uraltes Bild an: Aus der mittelalterlichen Ritualmordlegende speisen sich bis heute zahllose Varianten, die Juden als Täter darstellen. Egal, wie vorbildlich jemand lebt: Tritt ein Jude daneben, bestätigt es nur den Mythos. In dieser binären Moralordnung gibt es nur Gute und Böse. Welcher „böse Täter“ soll also Opfer abscheulicher Taten werden können?
Die Hamas hat in doppeltem Sinne ihr Ziel erreicht: Sie hat die Betroffenen körperlich gequält und sie durch verbreitete Bilder und Videos für immer entblößt, zugleich einen Informationskrieg gewonnen, in dem selbst Beweise nichts mehr gelten. Wie soll jemand, der unter der Erde in Geiselhaft war, perfekte Beweise liefern? Was bleibt außer der eigenen Erzählung?
Den Opfern zu glauben, sie anzuhören, ist nur der erste Schritt. Täterstrukturen müssen benannt, Verantwortliche juristisch verfolgt werden. Die sexuelle Gewalt der Hamas war kein Exzess. Sie war Methode. Kein „Kollateralschaden“, sondern ein gezieltes Mittel zur Entmenschlichung. Hinter der systematischen Gewalt der Terroristen steht ein noch größeres System, das Brutalität ermöglicht und legitimiert. Die Gewalt vom 7. Oktober speist sich aus einem ideologischen Netzwerk, das von Verbündeten wie dem iranischen Regime gestützt wird, in dem sexuelle Folter ebenso als Werkzeug politischer Kontrolle, als Mittel, Identität zu brechen, genutzt wird.
Israelische Opfer wurden von Frauen- wie Menschenrechtsaktivisten erst gar nicht, manchmal halbherzig anerkannt. Jetzt, kurz vor dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wäre ein guter Moment, die Opfer nicht aus dem Blick zu verlieren. Und die Strukturen, die diese Gewalt hervorbringen. Denn sie verschwinden nicht, nur weil die Aufmerksamkeit es tut.
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