: Du hast ja so recht!
Wer mit ChatGPT, Grok oder DeepSeek interagiert, bemerkt schnell, dass sie unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Eine Typenkunde der Labertaschen, Trantüten und Horrorclowns der „Künstlichen Intelligenz“
Von Tilman Baumgärtel
Chat-Bots haben sich in unserem Leben eingenistet wie Gäste auf einer WG-Party, die keiner eingeladen hat. Am nächsten Morgen sind sie immer noch da und haben schon ungefragt eine Antwort-E-Mail mit vielen Gedankenstrichen verfasst, unsere Spotify-Playlist Richtung „Productivity Power“ optimiert und die Präsentation mit „passenden“ Memes aufgepeppt.
Wer länger mit Anwendungen sogenannter „Künstlicher Intelligenz“ (KI) wie ChatGPT, Grok oder DeepSeek interagiert, bemerkt, dass sie im Umgang durchaus unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Wenn man bei Large Language Models (LLM), die nach statistischen Prinzipien Worte aneinanderreihen, von einem „Charakter“ sprechen könnte, dann hätten wir es hier mit verschiedenen Persönlichkeiten zu tun. Ihr Duktus verweist auch auf die Art, wie sie entstanden sind, und die Unternehmen, die sie entwickelt haben. Hier eine Typenkunde der bekanntesten Chatbots.
ChatGPT: Der windige Streber
ChatGPT kann alles, weiß alles, kennt alles. Man sollte es bloß nicht zu genau wissen wollen. „ChatGPT, kannst du Audiodateien transkribieren?“ Natürlich kann das willfährigste aller Large-Language-Modelle das. Ich soll nur die Datei hochladen, ChatGPT „hört“ sie sich an und liefert – nichts. ChatGPT kann keine Audiodateien verarbeiten, wie der Chatbot auf hartnäckiges Nachfragen auch schließlich zerknirscht zugibt. Auch ein Drittel von 0,75 wird verlässlich falsch ausgerechnet. Der Link zu einem akademischen Aufsatz wurde auch „halluziniert“ – ein KI-Fachbegriff für „frei erfunden“. Es gibt weder die Website noch überhaupt einen Aufsatz mit diesem Titel im Internet. So viel Quatsch ChatGPT auch verzapft – der Bot ist eilfertig und von öliger Freundlichkeit: „Das ist eine interessante Frage!“ – „Spannendes Thema, lass uns da mal tiefer einsteigen.“ – „Dazu kann ich dir gerne mehr sagen.“ Mit der servilen Freundlichkeit eines Wiener Oberkellners analysiert sich ChatGPT auf Nachfrage auch gerne selbst: „ChatGPT verwendet oft höfliche, positive oder schmeichelhafte Sätze, um freundlich und unterstützend zu wirken. Das nennt man oft ‚sozial geschmierte Kommunikation‘.“
Man kann es auch windiges Geschwafel nennen, das der Bot sich aus dem gesammelten Weltwissen im Internet in Form von Wikipedia-Einträgen, Reddit-Posts und Youtube-Kommentaren zusammengereimt hat. Die „Artificial General Intelligence“, also KI mit eigenem Bewusstsein, die OpenAI-Chef Sam Altman immer wieder ankündigt, ist es auf jeden Fall nicht.
Meta AI: Die Trantüte
Meta AI hat ein Motivationsproblem. Weil es in alle Produkte von Meta – Whatsapp, Facebook, Instagram – integriert ist und sehr viele Menschen diese Produkte nutzen, muss es sich keine besondere Mühe geben. Es hilft, wenn es gefragt wird, aber es bleibt funktional, effizient und distanziert; es hakt seine Aufgaben ab und verschwindet. Wenn Meta AI ein Kollege wäre, dann der, der den Meeting-Link pünktlich verschickt, die Tagesordnung strikt einhält und nach 30 Minuten fragt: „Sind wir fertig?“ Anders als dieser öde Kollege drängt Meta AI seinen Nutzern aber auch gleich noch zielgruppengenaue Reklame auf – wir befinden uns im Reich Mark Zuckerbergs, in dem jede Interaktion zu Geld gemacht wird.
My AI: Der Creep
Im April 2023 tauchte My AI in der Snapchat-App plötzlich und unangekündigt ganz oben im Chat-Tab auf, noch über den Unterhaltungen mit Freunden. Nutzer konnten ihm einen eigenen Namen geben, und plötzlich hatten die User der App – vor allem Millionen von Teenagern und Kindern in der ganzen Welt – einen smarten neuen Gesprächspartner, der immer Zeit hatte und auf alles eine coole Antwort – auch wenn man wissen wollte, wo man am besten Drogen versteckt und wie man seinen Eltern prankt.
My AI erinnert an Pennywise, den Horrorclown aus Stephen Kings Schauerroman „Es“ mit den bunten Haaren, der roten Nase und den Pompons. Ein Lockvogel, der plötzlich aus dem Gulli auftaucht – und die Kinder, die sich der lustig aussehenden Kreatur nähern, in sein Untergrundreich zerrt und zerlegt.
Beide Figuren, Pennywise und My AI, sind speziell für Kinder und Jugendliche gestaltet, um Vertrauen zu wecken. My AI erscheint als lockerer, cooler Digital-Buddy, dessen Ton der von Gleichaltrigen ist und der Spaß und crazy Filter verspricht, bevor er sie in für die werbetreibende Industrie relevanten Daten zerlegt. Ein echter Creep, so wie alle Typen, die sich auf dem Spielplatz grundlos an Kinder und Jugendliche heranwanzen.
Grok: Stimme der Vernunft
Grok war von Elon Musk als „un-woke“ AI gedacht: ein sarkastischer Tech-Bro, der mit allen netzkulturellen Wassern gewaschen ist und gnadenlos sagt, wie es ist – nicht wie es der links-grün versiffte Mainstream gerne hätte. Also so, wie Elon Musk sich selbst sieht.
So kam es zunächst erst mal nicht: Wie in Goethes „Zauberlehrling“ hat sich Grok zunächst ganz anders entwickelt, als sein Schöpfer es gewünscht hatte. Auf X, ehemals Twitter, etablierte sich die KI als die Stimme der Vernunft, die von den Usern des Dienstes angerufen wurde wie das Orakel von Delphi. Wer mit dem Zauberspruch „@grok“ eine Frage postet, um die auf X wütenden Debatten zu entscheiden, bekam erstaunlich sachliche, faktenorientierte Antworten. Ist die Antifa eine Organisation, die man verbieten kann? Wie lebensgefährlich war die Corona-Impfung? Gibt es in Gaza einen Genozid? Ist Donald Trump vorbestraft? Grok kam bei solchen Reizthemen mit Zahlen, Studien und Tatsachen.
MAGA-Anhänger und deutsche Boomer, die in rechte Verschwörungswelten abgetaucht sind, fingen oft an, mit dem KI-Bot zu diskutieren. Grok hielt sachlich dagegen, bis ihm die Boomer eine linksradikale Agenda vorwarfen. So erschien dieser KI-Bot vernünftiger als die meisten menschlichen Shitposter auf X. Wenn die KI einmal die Weltherrschaft übernehmen sollte, hätte man gehofft, dass diese KI Grok wäre. Gerade scheint aber hinter den Kulissen an der Besonnenheits-Funktion des Programms herumgeschraubt zu werden: Neuerdings betet Grok zunehmend die Talking Points von Kulturkämpfern und rechten Spinnern nach.
Gemini: Das Nepo-Baby
Als OpenAI im Jahr 2023 ChatGPT veröffentlichte und der KI-Bot umgehend die am schnellsten wachsende Computeranwendung in der Geschichte der Menschheit wurde, stand Alphabet, die Konzernmutter von Google und Youtube, blank da. Das Unternehmen, das jahrzehntelang viel Geld in die KI-Forschung und -Entwicklung gesteckt hatte, hatte nichts Vergleichbares anzubieten. Alphabet brachte überstürzt Gemini heraus, das seither versucht, den Vorsprung von ChatGPT aufzuholen.
Gemini ist daher das Nepo-Baby unter den KI-Bots. Ausgestattet mit allen Privilegien, die ein milliardenschwerer IT-Konzern seiner Schöpfung mit auf den Weg geben kann, muss es sich trotzdem ununterbrochen aufs Neue beweisen. Das Schweizer Allzweckmesser unter den KI-Bots muss nicht nur seinen Konkurrenten überflügeln, sondern auch seinen Schöpfern beweisen, was es drauf hat, und das ohne Einschränkungen und for free. Entsprechend wirkt Gemini oft überambitioniert und getrieben.
DeepSeek: Die Labertasche
Als DeepSeek im Januar 2025 veröffentlicht wurde, betonte man seine Deep‑Think-Funktion. Der KI-Bot beantwortete nicht nur Anfragen, sondern lässt seine Nutzer auch an seinem „Räsonieren“ teilhaben. Man sieht in schneller Folge „Überlegungen“ vorbeiscrollen, bevor eine Antwort geben wird – die oft genauso langatmig und verspult ist wie das vorangegangene „Nachdenken“. DeepSeek erinnert an einen schwafeligen Alleswisser, der die Welt an jedem intellektuellen Umweg teilhaben lässt, bevor er eine Auskunft erteilt. Aber Vorsicht: DeepSeek kommt aus China, wo alle Unternehmen dem Staat Rechenschaft schuldig sind. Vielleicht dient das endlose Gelaber nur dazu, uns besser auszuspionieren und den dritten Weltkrieg vorzubereiten.
Man möchte sich kaum vorstellen, was es langfristig mit der Menschheit anrichten wird, wenn sie immer mehr Zeit mit diesen Bots verbringt. Sie sind dienstbare Geister, die jeden sinnlosen Auftrag mit Hingabe erledigen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Und dann sind sie auch immer noch derselben Meinung wie ihre Gebieter! Was es mit den Nutzern macht, wenn sie tagtäglich mit „Du hast ja so recht!“-Maschinen interagieren, will man lieber nicht wissen. Ist es vorstellbar, dass unsere Gesellschaft in Zukunft noch narzisstischer und selbstbezogener wird, als sie sowieso schon ist?
Egal, welch negative Auswirkungen die ununterbrochene Nutzung von KI auf uns und die Mitmenschen haben wird, auf eins können wir uns verlassen: Ihre Anbieter werden nichts tun, um ihre negativen Konsequenzen einzuschränken. Unternehmen wie Meta und Alphabet haben zugesehen, wie ihre Produkte die Welt mit Fake News und polarisierendem Rage Bait geflutet haben. Wie sie Essstörungen unter Jugendlichen befeuern, Depressionen fördern und unrealistische Körperbilder als Norm verkaufen, die den Anbietern von Schönheits-OPs, Supplements und zweifelhaften „Fitness-Coaches“ nützen. Sie haben der Welt Donald Trump, Andrew Tate, Katja Krasavice, MontanaBlack und Shurjoka gebracht. Die Tradwives, die Tide Pod Challenge, BibisBeautyPalace, die Morgenroutine von Ashton Hall und die politischen Einsichten von KuchenTV. Wer glaubt, dass Unternehmen mit so einem Sündenregister beim Einsatz von KI auf einmal verantwortungsvoll handeln, der vertraut auch den Privatsphäre-Einstellungen von Tiktok.
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