Migrationspolitik in Schweden: Kommunen gegen „freiwillige Rückwanderung“
Schwedens Regierung will den Kommunen dabei helfen, Migranten wieder loszuwerden. Viele davon sagen nun: „Danke, aber nein danke.“
Wir wollen mit Ihnen darüber sprechen, wie Sie die bei Ihnen lebenden Migranten wieder loswerden können: Auch wenn das nicht wörtlich in der Einladung stand, die Ende September an alle 290 schwedischen Kommunen verschickt wurde – in Jokkmokk deutete man dies als den Kern der Botschaft. „Danke, aber nein danke“ schrieb Bürgermeister Roland Boman in seiner öffentlichen Antwort an die Nationale Beauftragte für die Arbeit mit freiwilliger Rückwanderung.
Der Brief zog immer weitere Kreise in sozialen Medien, wo er nicht zuletzt aus der migrantischen Community viel Zuspruch erfuhr. Und immer mehr Kommunen folgten dem Beispiel: Bis Ende vergangener Woche erreichten 75 Absagen die Rückwanderungsbeauftragte – und die schwedische Öffentlichkeit.
Die Kampagne „Freiwillige Rückwanderung“ zieht die liberal-konservative Koalition mit ihrem Zusammenarbeitspartner, den rechten Schwedendemokraten, durch, obwohl eine von ihr beauftragte Expertenkommission davon abgeraten hatte. Die warnte unter anderem davor, dass die Pläne der gesellschaftlichen Integration schaden dürften.
Vor wenigen Tagen erst wurde es dennoch beschlossen: Anerkannte Flüchtlinge bekommen ab kommendem Jahr eine deutlich erhöhte Summe Geld, wenn sie Schweden freiwillig verlassen: umgerechnet knapp 32.000 Euro für einen Erwachsenen. Eine „Rückwanderungsunterstützung“ gibt es in Schweden seit 1984 – bislang betrug sie gut 900 Euro.
Schaden laut Expertenbericht größer als Nutzen
Als Zielgruppe hebt die Regierung nun Menschen hervor, die „aus unterschiedlichen Gründen nicht ihren Platz in Schweden gefunden haben oder sich in einer lange andauernden Ausgrenzung befinden“. Dass das Programm sich gegen Migranten insgesamt richtet, davon geht man in Jokkmokk aus: „Jokkmokk sind WIR, nicht wir und die“, heißt es in der Antwort der Kommune auf die Einladung zur Zusammenarbeit bei der Rückwanderungskampagne. Man werde die Kräfte nicht unterstützen, die jetzt die Regierungspolitik vorantreiben – gegen „unsere Mitmenschen, die arbeiten und beitragen“. Boman bezeichnet diese Politik als „unschwedisch“.
Schon in dem Expertenbericht im Auftrag der Regierung war von dem problematischen Signal an deren Zielgruppe die Rede, dass sie im Land besonders unerwünscht sei. Zumal, wenn Schweden bereit sei, eine so hohe Summe aufzuwenden, um sie loszuwerden. Das würde sich negativ auf den Willen und die Sicht auf ihre eigenen Möglichkeiten auswirken, ein integrierter Teil der schwedischen Gesellschaft zu werden.
Nach Untersuchung von Erfahrungen aus Dänemark kamen die Experten zu dem Ergebnis, dass die erhöhte Summe etwa 700 Menschen pro Jahr zusätzlich veranlassen könnte, Schweden zu verlassen – nicht viele im Vergleich zu der großen Unruhe unter allen, die sich von dem Signal angesprochen fühlen.
Kommunen fürchten Abwanderung
Der größte Teil der Kommunen, die nun ihrerseits der Regierung ein Signal schickten, liegt in der dünn besiedelten nördlichen Hälfte Schwedens, in der Abwanderung seit Langem ein Problem ist. Auch deshalb sagt etwa Roland Boman der Zeitung Dagens Nyheter: „Wir brauchen alle Menschen in unserer Kommune, und wir müssen noch mehr werden.“
Aber auch Stockholm und südschwedische Städte wie Lund und Malmö gehörten zu den Absendern. Migrationsminister Johann Forssell (Moderate) reagierte insgesamt ungehalten und mit augenscheinlichem Unverständnis: Es gehe doch nur um Zusammenarbeit dabei, Informationen über ein freiwilliges Angebot zu verbreiten, sagte er dem schwedischen Fernsehsender SVT.
Die Absagen kämen vor allem von Kommunen, die von Sozialdemokraten, Linken und Grünen geführt würden. Das sei ein Beweis dafür, dass die in einer „vollkommen verantwortungslosen Migrationspolitik verharren“, sagte er der Nachrichtenagentur TT. In immerhin 34 der Kommunen ist aber mindestens eine der Stockholmer Regierungsparteien in der Führung vertreten, wie eine Aufstellung des Radiokanals P4 zeigte. Ein Beispiel ist Lund mit seinem Vizebürgermeister Rasmus Törnblom von den Moderaten, der meinte, er habe Wichtigeres zu tun.
Schwedens Regierung hat noch mehr Signale parat, so plant sie etwa einen „Schwedenvertrag“, den Menschen, die neu ins Land kommen, künftig unterschreiben sollen. Schwedische Werte, darum geht es der Regierung viel. Dass man unterschiedlicher Ansicht sein kann, was das eigentlich bedeutet, zeigt sich gerade mal wieder.
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