Bürgermeisterwahl in New York: Der muslimische Kandidat
Während des Wahlkampfs sah sich Zohran Mamdani mit geballtem antimuslimischem Rassismus konfrontiert. Er wehrte sich offensiv dagegen.
Zehn Tage vor der Wahl trat Zohran Mamdani, flankiert von schwarzen Muslimen, darunter mehreren Frauen mit Hidschab, vor eine Moschee in der Bronx, um eine Erklärung abzugeben. In seiner zehnminütigen, vorbereiteten Rede ging er auf die unverhohlene Islamfeindlichkeit ein, die ihm im Wahlkampf entgegenschlug und die vielen Muslimen nur zu vertraut ist.
An diese Erfahrungen knüpfte Mamdani an: Er erzählte, wie eine Tante von ihm nach dem 11. September 2001 Angst hatte, ein Kopftuch zu tragen, wie ein Klassenkamerad bedrängt wurde, als Informant zu dienen, wie die Garage eines Mitarbeiters mit dem Wort „Terrorist“ besprüht wurde und wie er selbst auf einem Flughafen gefragt wurde, ob er Pläne habe, New York anzugreifen. „Als Muslim in New York zu leben bedeutet, mit Demütigungen zu rechnen“, sagte er. Das Problem sei, dass diese Demütigungen toleriert würden. Der Traum eines jeden Muslims sei, so wie jeder andere New Yorker behandelt zu werden. Das gelte auch für ihn selbst.
Das war eine bemerkenswerte Abkehr von einem Wahlkampf, in dem sich Mamdani ganz auf ein Thema konzentriert hatte, das vielen New Yorkern auf den Nägeln brennt: die hohen Lebenshaltungskosten in der teuersten Stadt der USA. Mamdani verspricht einen Mietendeckel, schnellere und kostenlose Busse und günstigere Kinderbetreuung. Er bezeichnet sich als demokratischen Sozialisten und führte einen massiven Haustürwahlkampf, ähnlich wie zuletzt die Linkspartei in Deutschland.
Die meisten Strategen hätte Mamdani wohl nahegelegt, auf der Zielgraden jede Kontroverse zu vermeiden und bei den Themen zu bleiben, die den größten Massenappeal haben. Doch Mamdani zog es vor, auf die schmutzigen Anwürfe zu reagieren, die in den letzten Tagen der Wahlschlacht um die New York City Hall in Manhattan stark zugenommen hatten, und offensiv Contra zu geben.
Eine postkoloniale Familie
Mamdani ist antimuslimischer Rassismus nicht fremd. Er sei „im Schatten des 11. Septembers“ aufgewachsen, sagt er, auch wenn er zum Zeitpunkt der Anschläge erst neun Jahre alt war. Als Sohn der indischen Filmemacherin Mira Nair („Monsoon Wedding“) und des Anthropologen Mahmood Mamdani wuchs er in einem rassismuskritisch und postkolonial geprägten Haushalt auf.
Sein Vater schrieb unter anderem das Buch „Guter Moslem, böser Moslem“ über „Amerika und die Wurzeln des Terrors“, das 2006 auf Deutsch erschien. Intellektuelle wie Edward Said und Rashid Khalidi waren regelmäßig bei der Familie zu Gast.
Auch der Nahostkonflikt beschäftigt ihn schon lange. Mamdani Junior gründete am College die Vereinigung „Students for Justice in Palestine“ und protestierte schon vor dem 7. Oktober 2023 gegen israelische Angriffe auf den Gazastreifen und im Westjordanland.
Als Abgeordneter seines Bundesstaats brachte er einen Gesetzentwurf ein, der die Unterstützung illegaler israelischer Siedlungen untersagen sollte. Aus Protest gegen Israels aktuellen Krieg in Gaza führte er einen fünftägigen Hungerstreik vor dem Weißen Haus an und schloss sich einer Sitzblockade der Jewish Voice for Peace vor dem Haus des demokratischen Senators Chuck Schumer an.
Es gibt nachvollziehbare Gründe, Mamdanis Kandidatur kritisch zu sehen. Der 34-Jährige ist politisch noch relativ unerfahren, und wie er seine Versprechen einlösen will, ist unklar. Man muss auch seine Haltung zu Israel und Palästina nicht teilen. Die Kritik an seiner Kandidatur war aber von Anfang an von massiven antimuslimischen Untertönen geprägt. Und in den letzten Tagen wurde diese Töne immer schriller.
Das Zerrbild vom gefährlichen Muslim
Mal Kommunist, mal Islamist – kein Zerrbild war seinen Gegnern zu absurd. Die einen deuteten an, Mamdani sympathisiere mit Terroristen oder sei sogar selbst einer. Andere suggerierten, Jüdinnen und Juden müssten Diskriminierung und sogar Gewalt fürchten, sollte Mamdani zum Bürgermeister gewählt werden.
Eine Analyse des Center for the Study of Organized Hate (CSOH) kam zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Plattform X mit antimuslimischem Hass gegen Mamdani überschwemmt wurde: Fast drei Viertel aller Postings dort porträtierten ihn als extremistische und terroristische Gefahr.
Schon als Mamdani im Sommer überraschend die demokratischen Vorwahlen gewann, wurde er rassistisch attackiert. Rechte Politiker und Influencer diffamierten ihn als „kleinen Mohammed“, warfen ihm vor, in New York die Scharia einführen zu wollen, und brachten seinen Sieg mit den Terroranschlägen des 11. September in Verbindung.
Marjorie Taylor Greene, die rechtsextreme Kongressabgeordnete aus Georgia, postete in den sozialen Medien ein Foto der Freiheitsstatue in einer schwarzen Burka. Ihr Parteifreund Randy Fine aus Florida unkte, Mamdani wolle in New York ein Kalifat errichten. Die Trump-Beraterin Laura Loomer, eine eifernde Islamhasserin, behauptete, Mamdani werde „buchstäblich von Terroristen unterstützt“. Rechte Medien wie Fox TV und die New York Post bliesen ins gleiche Horn.
Aber die Anwürfe kamen nicht nur aus der republikanischen Partei und deren Sprachrohren. Die Autorin Jill Kargman schrieb in der New York Times, Mamdanis Erfolg bei den Vorwahlen zeige, „dass Judenhass jetzt in Ordnung“ sei, und verglich ihn mit der „Reichskristallnacht“ in Nazideutschland. Der rechte Venture-Kapitalist-Aktivist Shaun Maguire bezeichnete Mamdani als „Islamisten“, der „aus einer Kultur stammt, die über alles lügt“.
Auch in seiner eigenen Partei beteiligten sich manche an der Schlammschlacht. New Yorks Noch-Bürgermeister Eric Adams behauptete, Mamdani und seine Anhänger wollten „Kirchen anzünden“, und Mamdanis Konkurrent Andrew Cuomo, der ehemalige demokratische Gouverneur von New York, stimmte lachend zu, als ein konservativer Radiomoderator Mamdani in seiner Sendung unterstellte, dieser würde einen weiteren 11. September begrüßen. Sie alle zeichneten eine rassistische Karikatur von Mamdani.
Ein jüdisch-muslimischer Melting Pot
Immer wieder musste Mamdani sich im Wahlkampf zu seiner Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden, zu Antisemitismus, zur Hamas, zum 7. Oktober und zu Israels Existenzrecht äußern. Immer wieder reagierte er darauf mit stoischer Freundlichkeit.
Das Thema ist in New York von besonderer Bedeutung, denn die Stadt gilt als Melting Pot und größte jüdische Metropole außerhalb Israels – zwischen 1,7 und 2,2 Millionen Menschen jüdischer Herkunft leben in der Stadt und der weiteren Metropolregion. In Brooklyn ist eine große ultraorthodoxe Gemeinde zu Hause, die eigene Geschäfte, Schulen und Synagogen betreibt.
Gleich mehrere Rabbinerinnen und Rabbiner bezeichneten Mamdani als „Gefahr für jüdische Gemeinschaft“. Zugleich konnte Mamdani auf prominente jüdische Unterstützerinnen und Unterstützer zählen, darunter den TV-Satiriker Jon Stewart, den Schauspieler Mandy Patinkin (bekannt aus der Serie „Homeland“) und dessen Frau Kathryn Grody, den Journalisten Peter Beinart und die Feministin Gloria Steinem, den Ökonomen Robert Reich sowie seinen Parteifreund Bernie Sanders.
Außerdem leben in New York City etwa eine Million Muslime – fast ein Viertel der gesamten muslimischen Bevölkerung des Landes. Viele von ihnen finden sich in ihm wieder, für manche ist er eine Identifikationsfigur.
Mamdani sei „das Paradebeispiel für die Doppelmoral, mit der Muslime in Amerika heute konfrontiert sind“, schrieb die Journalistin Meher Ahmad in der New York Times. Aber viele US-Amerikaner würden antimuslimischen Rassismus nicht erkennen, selbst wenn er so offensichtlich ins Auge springt, sondern hielten ihn für eine ganz normale Einstellung, monierte sie. Dabei ist es alles andere als harmlos, wenn ein US-Hollywoodstar wie James Wood zu einem Foto von Mamdani auf X schreibt, er solle „zurück nach Uganda, du grinsendes Reptil“.
Ausbürgerungs- und Abschiebefantasien
Mamdani wurde in Uganda geboren, weshalb einige besonders radikale Stimmen nun sogar seine Ausbürgerung und Abschiebung fordern. Andere insinuieren, er habe gelogen, als er die US-Staatsbürgerschaft beantragte. Das ist ein Echo der Vorwürfe, mit denen sich schon Barack Obama konfrontiert sah, als er US-Präsident war. Obama sah sich 2011 gezwungen, seine Geburtsurkunde zu veröffentlichen, um Gerüchten entgegenzutreten, er sei kein gebürtiger US-Amerikaner.
Die Lage hat sich seitdem verschärft. Schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden Muslime aus den USA abgeschoben und unter Generalverdacht gestellt. Donald Trumps Vorgehen geht inzwischen aber weit über das Einreiseverbot für Muslime aus seiner ersten Amtszeit hinaus.
Nach dem 7. Oktober 2023 wurden muslimische Studierende, die gegen den Krieg in Gaza protestiert oder auf Social Media Kritik gepostet hatten, auf den Straßen von New York und in anderen Städten festgenommen und inhaftiert, die Regierung will sie ausweisen. Und inzwischen fordern manche Republikaner offen, US-amerikanische Staatsbürger wie die demokratische Abgeordnete Ilhan Omar auszubürgern und abzuschieben.
Barack Obama hat sich im Wahlkampf zuletzt hinter Mamdani gestellt, während sich Trump für dessen demokratischen Gegenspieler Cuomo aussprach. Mamdani selbst besuchte dagegen auf den letzten Metern seines Wahlkampfs am Halloween-Wochenende noch einige New Yorker Diskotheken und Gay Bars und ließ sich dort feiern. Lässiger kann man die antimuslimischen Klischees nicht an sich abprallen lassen.
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