Stahlgipfel im Kanzleramt: Experten fordern Bekenntnis der Politik zu grünem Stahl
Kurzfristige Maßnahmen zur Entlastung der Branche reichen nicht. Der klimaneutrale Umbau muss vorangetrieben werden, sagen Transformationsforscher.
Vor dem Stahlgipfel am Donnerstag im Kanzleramt sind die Erwartungen hoch, dass die Politik der angeschlagenen Branche schnell hilft. Experten fordern, dass die Politik nicht nur mit kurzfristigen Maßnahmen auf die aktuelle Krise reagiert und ein Signal für die Produktion von grünem Stahl gibt.
Am Donnerstagmittag trifft sich die Bundesregierung mit Vertreter:innen der Branche und der Bundesländer, die von der Stahlkrise unmittelbar betroffen sind. Der Wirtschaftszweig steht von vielen Seiten unter Druck. Er hat wegen nachlassender Nachfrage ein massives Absatzproblem, vor allem wegen der kriselnden Autoindustrie und der schlechten Baukonjunktur.
Zur Unzeit versetzt Donald Trumps Zollpolitik den internationalen Stahlmarkt in Aufruhr. Gleichzeitig machen hohe Energiepreise und Billigimporte den Unternehmen zu schaffen. Im ersten Halbjahr ist die Rohstahlproduktion auf das Niveau in der Finanzkrise 2009 gesunken. Damals hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Krise mit der Abwrackprämie für Autos bekämpft.
Bei der Frage nach der Zukunft der Stahlindustrie geht es um weitaus mehr als um die 80.000 Mitarbeiter:innen, die die Branche selbst in Deutschland beschäftigt. „Die Stahlbranche ist wegen der engen Verzahnung der nachgelagerten Industrie ein wichtiger Wirtschaftszweig von strategischer Bedeutung“, sagt Julian Somers, Projektmanager Klimaneutrale Industrie bei der Denkfabrik Agora Industrie. Stahl ist ein wichtiges Vorprodukt für viele industrielle Güter. Wird er hierzulande nicht mehr hergestellt, besteht die Gefahr, dass auch andere Branchen abwandern – die Autoindustrie, der Maschinenbau oder die Hausgerätehersteller. Dem arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge hängen mehr als 600.000 Arbeitsplätze vom Stahl ab.
Hoffnungsträger trotz Krise
Trotz der akuten Krise ist die Stahlbranche auch ein Hoffnungsträger für die deutsche Wirtschaft. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Stahl kann dann hierzulande nur noch grün produziert werden – oder gar nicht. An etlichen Standorten ist die Transformation angelaufen. In Deutschland gibt es nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl acht Hüttenwerke, in denen Rohstahl mit fossilen Energien hergestellt wird. Hier entstehen 70 Prozent des deutschen Rohstahls. Hinzu kommen mehr als 20 Elektrostahlwerke, in denen Schrott eingeschmolzen wird – die können klimaneutral werden, indem sie Strom aus erneuerbaren Energien einsetzen.
Bei Hochöfen ist das komplizierter, sie werden mit Kohle angetrieben. Die Umstellung auf zunächst Gas und perspektivisch Wasserstoff ist teuer. Beim Unternehmen Salzgitter in der gleichnamigen niedersächsischen Stadt wird derzeit eine Anlage umgerüstet, die in den kommenden Jahren einsatzfähig sein soll. Dort gibt es allerdings nur einen Hochofen. Läuft alles nach Plan, ist die Transformation vergleichsweise schnell gelungen. Bei Thyssenkrupp in Duisburg etwa ist die Lage anders. Hier sollen Hochöfen nach und nach umgestellt werden.
Höhere Gas- und Ölpreise, eine schwache Konjunktur, Handelskonflikte und internationale Konkurrenz setzen Unternehmen unter Druck. „Die konventionelle Produktionsweise ist in Deutschland perspektivisch nicht mehr wettbewerbsfähig – es braucht eine Modernisierung“, sagt Somers. Und gleichzeitig braucht es politische Unterstützung, damit grüner Stahl „made in Germany“ eine Zukunft hat.
Gelingt hier die Transformation, besteht die Chance, die Standorte zukunftsfähig zu machen und damit Jobs und Schlüsselindustrien zu erhalten. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Politik klare Signale für die Transformation sendet. „Unternehmen brauchen Planungssicherheit“, betont Somers. Nötig ist seiner Auffassung nach auch, sogenannte Leitmärkte zu etablieren. Diese entstehen, indem verlässliche Abnehmer grünen Stahl nachfragen und übergangsweise auch höhere Kosten in Kauf nehmen. „Ein Hebel dafür ist die öffentliche Beschaffung“, sagt er. Durch den von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten 500 Milliarden Euro schweren Infrastruktur- und Klimafonds wären die erforderlichen Mittel vorhanden.
Viele Vorschläge, die im Vorfeld des Stahlgipfels im Kanzleramt diskutiert werden, zielen auf kurzfristige Maßnahmen. So sollen die Unternehmen bei den Energiekosten entlastet werden. Stärkere Zölle auf Billigimporte etwa aus China sollen den deutschen Stahlmarkt schützen.
Transformation weiterentwickeln
Um die Stahlindustrie zu stützen, ist eine Doppelstrategie erforderlich, ist der Transformationsexperte Stefan Lechtenböhmer von der Universität Kassel überzeugt. Die Ampelregierung hatte für den Umbau der Stahlindustrie ein Konzept und ihn mit hohen Fördermitteln angestoßen. Was die neue Bundesregierung will, ist noch unklar. „Wichtig ist jetzt erstens ein Plan, um die Transformation weiterzuentwickeln“, sagt er. „Die Bundesregierung muss Unternehmen und Märkten das Vertrauen geben, dass die Transformation kommt.“
Ansonsten werden Manager:innen und Anleger:innen nicht weiter investieren. „Zweitens ist ein gut geschnittenes Maßnahmenpaket erforderlich“, sagt er. Das könne ein klug gestalteter Industriestrompreis oder ein kluges E-Auto-Programm wie das französische Social Leasing sein. Aber ohne einen langfristigen Transformationsplan bringt das alles nichts, ist er sicher: „Dann verbrennt man nur Geld.“
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