Bertelsmann-Studie zur Bundestagswahl: Algorithmen bevorzugen extrem rechte Inhalte
Beim Bundestagswahlkampf wurden Inhalte von der AfD in den sozialen Medien bevorzugt angezeigt. Auch die Linkspartei profitierte.
Soziale Medien sind längst zur Hauptinformationsquelle für junge Menschen geworden. Die Algorithmen dieser Plattformen begünstigen Inhalte von Parteien „an den Rändern“ besonders. Das zeigt eine neue Studie der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung über den Bundestagswahlkampf 2025.
Demnach wurden Nutzer:innen von Tiktok, Instagram, Youtube und X im Wahlkampf Beiträge der rechtsextremen AfD und der Linkspartei überproportional häufig angezeigt. Die AfD hatte im Untersuchungszeitraum 21 Prozent der Videos von Parteien hochgeladen, wurde den Nutzer:innen in den Feeds mit 37 Prozent allerdings fast doppelt so häufig empfohlen.
Auch die Linke, mit einem Anteil von knapp 10 Prozent der hochgeladenen Videos, wurde mit 28 Prozent besonders oft vorgeschlagen. Das BSW kam mit 3 Prozent der geposteten Videos auf 8 Prozent der Vorschläge.
Die SPD schaffte es mit dem größten Anteil an Videos, 24 Prozent, allerdings nur auf 14 Prozent der Vorschläge. Noch schlechter steht es um die Union, die zwar 17 Prozent der Videos postete, aber nur 5 Prozent der den Nutzer:innen empfohlenen Beiträge ausmachte.
3, 2, 1 … AfD
Die Algorithmen der sozialen Medien haben Videos mit Bezug zur rechtsextremen AfD im Bundestagswahlkampf aber nicht nur unverhältnismäßig oft, sondern auch besonders schnell vorgeschlagen. „Nach Erstellung eines Nutzerprofils auf Tiktok wurden innerhalb von durchschnittlich elf bis zwölf Minuten Videos mit #afd angezeigt. Erst nach 70 Minuten folgte ein Video mit #spd“, heißt es in der Studie. Knapp 50 Prozent aller parteibezogenen Inhalte auf Tiktok, X, Instagram und Youtube waren außerdem mit dem #afd versehen.
Die randomisierte Untersuchung wurde zwischen dem 22. Januar und dem 23. Februar durchgeführt. Dazu richteten die Wissenschaftler:innen ein „Sock-Puppet-Audit“ ein, mit dem Nutzer:innenprofile und deren Verhalten möglichst realistisch simuliert werden. Die automatisierten Profile schauen, liken und verhalten sich wie „echte“ junge Menschen auf Tiktok, Youtube, Instagram und X. So könne nachvollzogen werden, welche politischen Inhalte die Plattformen verschiedenen Gruppen zeigen und wie gezielt Algorithmen Politik in den Feeds platzieren.
Auffällig ist, dass sich die Fremddarstellung der Parteien je nach Plattform unterschied: Auf Tiktok wurde die AfD etwa deutlich negativer thematisiert als auf ihrem Heimatmedium X. Eine mögliche Erklärung hierfür ist laut Studie, dass andere Parteien die AfD auf Tiktok stärker als Konkurrenz wahrnehmen und daher aktiver gegen sie arbeiteten. Was sich jedoch auf allen der vier untersuchten sozialen Medien erkennen ließ, ist, dass die Union mit deutlichem Abstand am negativsten thematisiert wurde. Erklärungen hierfür liefert die Studie nicht.
Denkbar ist, dass es an der Rolle der Union als erwarteter Kanzler- und Regierungspartei lag. Und, da es der Koalitionspartnerin SPD nicht genauso erging, mit dessen zunehmenden Irrelevanz. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Faktor dürfte jedoch sein, dass es erklärtes Ziel der AfD, der „Neuen Rechten“ und anderen Rechtsextremen ist, die Union zu schwächen.
Gleiche Interessen von AfD und Plattformen?
Wie die Studie zeigt, kann auch die Art der Beiträge von Parteien je nach Plattformen unterschiedlich sein: Auf X, das dem extrem rechten Verschwörungsgläubigen Elon Musk gehört, setzte die AfD vor allem auf Emotionen und Angriffe. Argumentative Beiträge seien dort kaum auffindbar gewesen. Auf Tiktok gab sich die Partei gemäßigter, emotional seien dort vor allem die Grünen gewesen. Die Linkspartei setzte bei Tiktok auf Kritik und Information, heißt es in der Studie, auf X blieb sie eher unauffällig.
Die AfD setze vor allem auf attackierende und emotionalisierende Beiträge. Darüber hinaus ließ sich laut der aktuellen Studie bei der Partei allerdings keine besondere Social-Media-Strategie erkennen: „Entscheidend ist jedoch, dass sich der Erfolg der AfD tendenziell nicht durch überlegene Engagement-Strategien erklären lässt. Alle Parteien nutzen ähnliche Techniken in diesem Bereich. Die AfD-Dominanz in den Feeds junger Nutzer:innen muss daher andere Ursachen haben.“
Die Studie wartet auch für diese Frage mit Erklärungsvorschlägen auf: Möglicherweise sei der Erfolg der AfD in den sozialen Medien darauf zurückzuführen, dass Plattformen diese Inhalte als „besonders reaktionsstark“ bewerten und sich davon eine höhere Zuschauer:innenbindung versprächen. Mehr Interaktion bedeutet für die Plattformen schlicht mehr Geld. Rechtsextreme Inhalte würden so, heißt es in der Studie, besser zu den wirtschaftlichen Interessen der Plattformbetreibenden passen. Im Fall des X-Inhabers Musk ist jedoch auch eine grundsätzliche Sympathie für rechtsextremes Gedankengut offensichtlich.
Gefahr für die Demokratie
„Empfehlungsalgorithmen bestimmen heute, welche politischen Botschaften junge Menschen überhaupt erreichen“, so Amber Jensen, Projektmanagerin der Bertelsmann Stiftung. Diese strukturelle Unsichtbarkeit von „Parteien der Mitte“ stelle eine Gefahr für kommende Wahlkämpfe dar. Aus diesem Grund liefert die Bertelsmann-Stiftung auch einige Empfehlungen für Parteien und Gesellschaft mit.
Kurzfristig sollten, so die Stiftung, die demokratischen Parteien ihre Präsenz in den sozialen Medien verstärken. Dabei solle deren „Vorbildfunktion“ sowie der politische Dialog im Vordergrund stehen. Dass diese Strategien in der Logik der Algorithmen nicht funktionieren können, geht dabei unter. Mittelfristig müsse in digitale Bildung investiert sowie die Selbstbestimmung von Nutzer:innen dabei gestärkt werden, wie die Algorithmen ihre Feeds gestalten. Schlussendlich, so die Analyse der Bertelsmann-Stiftung, führe an gemeinwohlorientierten sozialen Medien aber kein Weg vorbei. Das fordern zivilgesellschaftliche Akteur:innen bereits seit Langem.
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