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Fall Lorenz A.Anklagegrund gegen Polizisten sorgt für Kritik

Gegen einen Polizisten im Fall Lorenz A. erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Die Eltern von A. fordern eine Anklage wegen Totschlag.

Oldenburg, 25. April: Kundgebeung nach tödlichen Polizeischüssen auf Lorenz A Foto: Izabela Mittwollen/dpa

Im Fall des getöteten Lorenz A. hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg Anklage gegen einen Polizisten erhoben. Das teilte die Behörde am Mittwoch mit. Ihm wird fahrlässige Tötung vorgeworfen, als er am Ostersonntag mit mehreren Schüssen von hinten auf den 21-jährigen Lorenz A. schoss und ihn tötete. Die Eltern von A. kritisieren hingegen den Anklagegrund.

Der Polizist habe in sogenannter „Putativnotwehr“ gehandelt, heißt es von der Staatsanwaltschaft. „Ein vorsätzliches Tötungsdelikt kann dem Angeschuldigten nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen werden, da er irrtümlich glaubte, sich in einer Notwehrlage zu befinden“, heißt es in der Mitteilung.

Die Rechtsbeistände der Eltern von Lorenz A. kritisieren die Entscheidung: „Die Voraussetzungen der Notwehr lagen nicht vor“, heißt es in einer Stellungnahme. Die Schüsse ließen sich auch mit der Figur der Putativnotwehr nicht rechtfertigen, denn Lorenz sei von dem Beamten erschossen worden, als er sich von ihm abgewandt hatte und floh, heißt es weiter. „Es ist nicht glaubhaft, dass der Beamte in dieser Situation noch irrtümlich davon ausgegangen sein will, er werde mit einem Messer angegriffen.“ Stattdessen fordern sie eine Anklage wegen Totschlags.

Von hinten erschossen

A. wurde im April, in der Nacht auf Ostersonntag, getötet. Zuerst hatten die Türsteher einer Bar in der Oldenburger Innenstadt dem Schwarzen Lorenz A. den Einlass verweigert. Grund soll seine Jogginghose gewesen sein. Es entbrannte eine Auseinandersetzung an deren Ende A. Pfefferspray gegen die Türsteher eingesetzt haben soll. Anschließend flüchtete er durch die Fußgängerzone, wobei ihn mehrere Personen verfolgt haben sollen.

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beamte in dieser Situation noch irrtümlich davon ausgegangen sein will, er werde mit einem Messer angegriffen.

Rechtsbeistand der Eltern von Lorenz A.

Laut Staatsanwaltschaft zeigte das spätere Opfer seinen Verfolgern ein Messer und steckte es anschließend wieder ein, um sie abzuschütteln. Anders als mehrere Medien meldeten, hat er es im Kontakt mit der Polizei nicht eingesetzt und auch keine Person damit angegriffen.

Bei seiner Flucht traf A. auf eine Polizeistreife und rannte an den Beamten vorbei. Dann schoss ein 27-jähriger Polizist – ohne Vowarnung.

Drei der fünf Kugeln trafen A. von hinten in Kopf, Oberkörper und Hüfte. Ein vierter Schuss streifte seinen Oberschenkel. Er starb kurz darauf im Krankenhaus.

Rechtsbeistände kritisieren Ermittlungen

Die Rechtsbeistände von A.s Eltern bemängeln weiter die Ermittlungen: „Die Nebenklage wird sich dafür einsetzen, dass wichtige Ermittlungsmaßnahmen im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden, soweit dies noch möglich ist.“ So wurden die meisten beteiligten Polizisten und Rettungskräfte nicht vernommen. Zudem sei die 3D-Rekonstruktion des Tatorts in der jetzigen Form „unbrauchbar“, heißt es von Seiten der Nebenklage. Es dränge sich „der Eindruck auf, dass man die Beamten entweder hat schonen wollen oder mit sehr gedämpftem Ermittlungseifer am Werke war.“

Gefordert wird von der Nebenklage auch, dass bei Fällen von möglicher Polizeigewalt eine unabhängige Stelle ermittelt, die nicht dem Polizeiapparat oder der Staatsanwaltschaft angehört.

Denn nachdem A. von den Kugeln des Polizisten getroffen auf dem Boden lag, legten die Beamten dem Schwerverletzten Handschellen an, bevor sie Erste Hilfe leisteten. Später ermittelte die Oldenburger Polizei gegen den Getöteten, was per Strafprozessordnung verboten ist. Dabei soll sie sich zudem „eng mit der Delmenhorster Polizei ausgetauscht“ haben. Die benachbarte Dienststelle war aus „Neutralitätsgründen“ mit den Ermittlungen gegen den Schützen beauftragt worden. In den Akten sei das Opfer A. teilweise als „Täter“ bezeichnet worden.

Kein Bedauern

„Weder von dem Beschuldigten selbst noch von anderen, am direkten Einsatzgeschehen beteiligten BeamtInnen wurde bis heute gegenüber den Eltern oder in der Akte ein Bedauern über Lorenz' Tod zum Ausdruck gebracht“, bemängeln sie abschließend.

Auch die Initiative „Gerechtigkeit für Lorenz“ kritisiert die Entscheidung. „Eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung ist kein Zeichen von Gerechtigkeit, sie ist ein Versuch, Verantwortung zu vermeiden“, erklärt eine Sprecherin. Die Initiative hat für diesen Samstag eine Demonstration angekündigt.

Das Landgericht Oldenburg entscheidet nun über die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Polizisten.

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