Wahlausschuss gegen Neuauszählung: Demokraten sollte das Schicksal des BSW nicht egal sein
Die Wagenknecht-Partei hat Probleme des Wahlrechts aufgezeigt. Was nun aus der Partei und ihren Wählern wird, sollte auch ihre Gegner interessieren.
D as Bündnis Sahra Wagenknecht kämpft ums Überleben. Die Gründerin gibt beim BSW-Parteitag an diesem Wochenende nicht nur den Vorsitz ab, sie nimmt perspektivisch auch ihren Namen mit. Selbst in Ostdeutschland, wo die Partei in der Vergangenheit bis zu 20 Prozent holte, verliert sie an Zustimmung. Wenn das BSW bei den kommenden Wahlen nicht in die Landtage von Schwerin und Magdeburg einziehen sollte, war es das wohl.
Na und? Man kann das allgemeine Schulterzucken beinahe hören. Tatsächlich wäre es auf den ersten Blick nicht schade um eine teils autoritär organisierte Partei, die die Ukraine an Putin ausliefern will und deren Geschäftsmodell zu oft das Verächtlichmachen des politischen Gegners war. Aber so einfach sollten es sich Demokraten nicht machen.
Denn da ist einerseits die extrem knappe Niederlage bei der Bundestagswahl. Etwa 9.000 Stimmen fehlten der Partei, 0,019 Prozent. Der Wahlprüfungsausschuss hat den Einspruch des BSW nun abgelehnt. Und es ist nicht damit zu rechnen, dass das Verfassungsgericht zu einem anderen Urteil kommt. Das Wahlrecht regelt, dass konkrete Wahlfehler vorliegen müssen, um einen Einspruch zu begründen. Dass es so knapp war wie noch nie, reicht nicht aus.
Rechtlich ist gegen die Entscheidung nichts einzuwenden. Politisch bleibt ein Störgefühl: 2,5 Millionen Menschen haben das BSW gewählt. Statistisch ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei 50 Millionen Wahlzetteln so viele Stimmen falsch gezählt wurden, dass das BSW doch knapp über die 5 Prozent gekommen ist.
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Nicht der Bundestag sollte entscheiden
Das BSW hat damit Probleme des Wahlrechts aufgezeigt. Es ist falsch, dass der Bundestag über Wahleinsprüche selbst entscheidet. So steht immer der Vorwurf im Raum, dass die Abgeordneten befangen sind, weil sie über ihr eigenes Mandat entscheiden. Falsch ist auch, dass Wahlen nicht längst transparenter und digitaler sind. Warum wird das vorläufige Ergebnis nicht im Detail veröffentlicht, warum werden nicht alle Wahlzettel nach dem Auszählen digitalisiert? Die Hürde, punktuell neu auszuzählen, sollte niedriger werden, um das Vertrauen in Wahlen zu stärken.
Schon aus Eigennutz sollte alle Parteien und ihre Wähler das Schicksal des BSW nicht kalt lassen: Wer sagt denn, dass es beim nächsten Mal nicht eine andere Partei trifft, die knapp an der Fünfprozenthürde scheitert? Man stelle sich vor, es beträfe die eigene Stimme.
Politisch stellt sich nun die Frage, was mit den Wählern passiert, die das BSW gewählt haben. Der Erfolg der Partei hat gezeigt, dass sich viele Menschen nicht von den etablierten Parteien vertreten fühlen, aber auch nicht die AfD wählen wollten. Wem wenden sich diese Wähler zu, wenn das BSW tatsächlich untergehen sollte? Schaffen es die demokratischen Parteien, sie zu gewinnen? Oder wählen sie nun doch die AfD – und verschaffen der Partei bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern die absolute Mehrheit? Die Antworten auf diese Fragen könnten für die Bundesrepublik entscheidend sein.
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