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Unruhen in SyrienMehr und mehr Angriffe durch IS-Kämpfer

Im Nordwesten und Süden des Landes nehmen Anschläge der dschihadistischen Miliz zu. Wird Syrien bald Teil der von den USA angeführten Anti-IS-Koalition?

Syrien, 28. Mai: Die Syrischen Demokratischen Kräfte jagen Schläferzellen des Islamischen Staats Foto: Laurent Perpignaiban/Hans Lucas/afp
Julia Neumann

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Julia Neumann aus Beirut

In Nordwesten und Süden Syriens nehmen Anschläge der selbstgenannten Miliz „Islamischer Staat“ (IS), auch Daesh genannt, zu. Die dschihatistisch-islamistische Gruppe soll unter anderem Kontrollposten, ein Fahrzeug der kurdischen inneren Sicherheit und den Wohnsitz eines Beamten angegriffen haben.

In diesem Jahr hat die Gruppe bislang 209 Angriffe in den kurdischen selbstverwalteten Gebieten durchgeführt, dokumentiert die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR). Laut SOHR wurden dabei 97 Menschen getötet: 15 Zivilist*innen, 68 Mitglieder der kurdischen Streitkräfte (SDF) und kurdischen Sicherheitskräfte (genannt Asayish) sowie 13 Daesh-Mitglieder. Besonders massiv waren die Angriffe in Deir ez-Zor, an der Grenze zum Irak.

Daesh-Mitglieder hätten eine RPG-Granate auf einen Kontrollpunkt geschmissen, berichtete SOHR am Sonntag. Am selben Tag berichtete das US-amerikanische Institut für Kriegsforschung, Daesh habe einen Granaten- und Sprengstoffanschlag auf ein Hauptquartier des syrischen Verteidigungsministeriums in Deir ez-Zor verübt. Am Montag schossen Daesh-Kämpfer von einem Motorrad aus auf das Haus des Verkehrsdirektors in Jadida Okaidat, einer Stadt im Osten von Deir ez-Zor, so SOHR. Es wurden keine Opfer gemeldet.

Die Streitkräfte der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien (SDF) gehen gegen Daesh vor: Im Oktober hätten sie bereits sechs Operationen gegen Zellen der IS-Miliz durchgeführt und dabei 79 Verdächtige festgenommen. Am Samstag schrieb die SDF-Presseabteilung, sie habe das Versteck einer Terrorzelle nördlich von Raqqa gestürmt und dabei fünf Männer festgenommen, drei davon „hochrangige Anführer“. Die SDF-nahe Nachrichtenagentur Hawar meldete am Dienstag, große Mengen an Waffen, Munition und Sprengstoff seien beschlagnahmt worden.

Weniger Unterstützung für SDF

Die USA und manche EU-Länder hatten die SDF im Kampf gegen Daesh finanziell und teilweise mit Waffen unterstützt. Sie gelten als linksliberal, Frauen beteiligten sich an den Kämpfen. Die SDF stehen aber auch in der Kritik: Das unabhängige syrische Medium Enab Baladi wirft ihnen vor, „bei Razzien gezielt Zi­vi­lis­t*in­nen anzugreifen und zu töten“.

Auch dass die kurdische SDF Gebiete in Ostsyrien mit einer mehrheitlich arabischen Bevölkerung kontrolliert, sorgt für Unmut. Bewohnende der Stadt Maskanah im Gouvernement Aleppo erzählten der taz im April von willkürlichen Festnahmen der SDF. Die lokale arabische Bevölkerung protestiert gegen diskriminierende Behandlung, mangelnde Rechte und fürchtet den Einfluss der USA.

Daesh hatte ab dem Jahr 2013 in Teilen des Iraks und Syriens die Kontrolle übernommen, unter anderem über die ostsyrischen Städte Raqqah, das ihre inoffizielle Hauptstadt wurde, und Deir-ez-Zor. Sie rief ein Kalifat aus, versetzte mit ihren strengen Regeln und deren brutalen Durchsetzung große Teile der Bevölkerung in Angst.

Erst vier Jahre später wurden die Städte von ihrer Herrschaft wieder befreit, durch eine Militäroffensive der SDF mit US-Unterstützung. Der IS galt schließlich als zurückgedrängt. Nach Analystenmeinung blieben aber vor allem in den ländlichen Gebieten Ostsyriens Zellen der Terrogruppe zurück.

Trump hatte in seiner ersten Amtszeit die Unterstützung der SDF weitestgehend gekappt. Nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 wendet sich die kurdische Führung wieder dem syrischen Staat zu. Im März unterzeichnete SDF-Anführer Mazlum Abdi ein Abkommen mit al-Scharaa, in dem die Kurden der Integration in die staatlichen Institutionen Syriens zugestimmt hatten – inklusive der staatlichen syrischen Armee.

Doch der Deal ist nicht umgesetzt. Die vollständige Eingliederung der Kämpfer in die Armee steht noch aus. Und die Gebiete Raqqa und Hassakeh im Nordwesten waren bei den vergangenen Auswahlverfahren zum syrischen Parlament nicht beteiligt. Das sorgte auch innerhalb der Bevölkerung für Unmut.

Treffen zwischen al-Scharaa und Trump

Syriens Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa wird in der kommenden Woche US-Präsident Donald Trump in Washington treffen. Im Gespräch soll es auch um eine Strategie im Kampf gegen Daesh gehen. Der US-Sondergesandte für Syrien, Tom Barrack, sagte am Samstag: Syrien werde sich bald der von den USA geführten globalen Koalition gegen Daesh anschließen.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters bereiten die USA im Vorfeld eine Aufhebung der Sanktionen der Vereinten Nationen gegen den syrischen Präsidenten Ahmed Al-Scharaa vor. Dafür legten sie laut Reuters den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates einen Resolutionsentwurf vor. Wann darüber abgestimmt werden könnte, ist aber derzeit unklar.

Auch ohne die Beteiligung des „Islamischen Staates“ gibt es immer wieder gewaltvolle Unruhen in Syrien: Teile der syrischen Armee waren an Massakern gegen Ala­wi­t*in­nen und Drus*­in­nen beteiligt. SOHR berichtete im Oktober, seit dem Sturz des Assad-Regimes im vergangenen Dezember seien 11.000 Menschen, darunter über 1.000 Frauen und Kinder, getötet worden.

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