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Rassismus in KitasWarum eine „gute Mischung“ eine schlechte Idee ist

Das Kitasystem ist geprägt von institutionellem Rassismus. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie. Selbst Vorzeigekitas stoßen hier an ihre Grenzen.

Von wegen heile Welt: In vielen Kitas gelten Kinder aus nichtdeutschen Familien vor allem als „Belastung“ Foto: Kai Kitschenberg/imago

Aus Berlin

David Hinzmann

Die Suche nach einem Kitaplatz ist vielerorts hart. Manche Eltern sollen in den entsprechenden Wunschkitas schon Kuchen vorbeigebracht oder freiwillige Gärtnerdienste angeboten haben, um die Chancen ihres Nachwuchses auf einen Platz zu erhöhen. Das mag funktionieren. Wenn ein Kind einen nichtdeutsch klingenden Nachnamen trägt oder es als nichtweiß wahrgenommen wird, hilft auch das häufig nicht weiter.

Denn institutioneller Rassismus fängt bei den Kleinsten an: in der Kita. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin. Titel: „Und raus bist du!“ Die So­zio­lo­g:in­nen Seyran Bostancı und Benedikt Wirth haben dafür mit 40 Ak­teu­r:in­nen in der frühkindlichen Bildung aus verschiedenen Berliner Bezirken Interviews geführt – mit Kitaleitungen, Eltern, Er­zie­he­r:in­nen und Fachpersonal aus der Antidiskriminierungsarbeit. Sie konstatieren, dass „das Kita-System im postmigrantischen Berlin von tiefgreifenden strukturellen Barrieren geprägt ist, die rassistische Ungleichheiten fortlaufend reproduzieren und verfestigen“.

Die Erkenntnisse der Studie sind nicht repräsentativ. Aber sie veranschaulichen, wie Diskriminierung funktioniert und wie Vorurteile zu diskriminierenden Handlungen werden können.

Bei der Auswahl der Kinder verbindet sich guter Wille mit Willkür. Staatliche Stellen haben keinen Einfluss

Das geht beim Zugang zu den Kitaplätzen los. In Deutschland entscheiden ausschließlich die Kitaleitungen oder die übergeordneten Träger einer Kita über die Vergabe von Plätzen. Sie besitzen das sogenannte Belegrecht. Staatliche Stellen haben auf den Auswahlprozess keinen Einfluss. Wenn es mehr Be­wer­be­r:in­nen als Plätze gibt, ist die Warteliste ein beliebtes Instrument, um den Zugang zu regeln.

Wobei der Ausdruck „Warteliste“ trügerisch ist. Denn die Interviews der Forschenden legen nahe, dass Kitaleitungen Kinder oftmals einfach so auswählen, unabhängig von ihrer Position auf der Warteliste. Es verbindet sich dabei guter Wille mit Willkür. Die Leitungen beteuern, sie würden bei der Auswahl auf eine „gute Mischung“ achten. Der Begriff soll so etwas wie das „ideale“ Verhältnis von Kindern mit zu Kindern ohne Migrationshintergrund beschreiben.

Kinder als Belastungsfaktor

Aber warum spielt der Migrationshintergrund von Kindern bei der Aufnahme in eine Kita überhaupt eine Rolle? Laut der Studie ist der Grund dafür oft, dass Kinder mit Migrationshintergrund von der Anwesenheit von Kindern ohne Migrationshintergrund „profitieren“ sollen. Viele Kitaleitungen befürchteten, dass fehlende Deutschkenntnisse sonst den pädagogischen Alltag behinderten. Ihr Ziel: nicht mehr als 50 Prozent migrantische Kinder in einer Gruppe. Letztlich, so die Studienautor:innen, würden Kinder mit Migrationshintergrund „als ‚Belastung‘ markiert“.

Dabei haben laut Statistischem Bundesamt weit über 40 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren in Deutschland einen Migrationshintergrund, in Berlin sogar 57. Umso auffälliger ist das Ungleichgewicht zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund bei der Betreuungsquote, dies wiederum gerade bei den unter Dreijährigen. So hatten 2023 deutschlandweit nur 22,3 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund einen Kitaplatz, während die Quote bei Kindern ohne Migrationshintergrund bei 44,5 Prozent lag.

Die vom DeZIM-Team ausgewerteten Interviews mit den Kitaleitungen legen dabei nahe, dass vor allem Nachname, Aussehen und Sprache eine Rolle dabei spielen, ob Kinder als migrantisch gelesen werden oder nicht – unabhängig davon, ob ihre Familie tatsächlich eine Migrationsgeschichte hat.

Eine Kita, die anders sein will

Aber geht es überall so zu? Die taz hat nachgefragt bei einer Kita in der Berliner Innenstadt, die sich explizit der Vielfalt verschrieben hat. Sie ist Teil eines großen Trägers mit über 20 Einrichtungen. Den Namen des Trägers möchte die Kitaleiterin ebenso wenig veröffentlicht wissen wie ihren eigenen, damit sie offen über ihr Aufnahmeverfahren und den Alltag in der Kita sprechen kann.

In ihrer Kita, so die Leiterin, sei das Beherrschen einer Fremdsprache ein wichtiges Kriterium bei der Einstellung der Pädagog:innen. Die Kinder sollten die Möglichkeit haben, sowohl in der Familiensprache als auch auf Deutsch sprechen zu können. Aktuell würden unter den Er­zie­he­r:in­nen insgesamt sieben weitere Sprachen gesprochen: Arabisch, Kurdisch, Vietnamesisch, Türkisch, zwei regionale Sprachen aus Togo und Polnisch.

Auch die Kommunikation mit Eltern, die weder Deutsch noch eine der anderen Sprachen beherrschen, sei kein Problem. „Alltägliche Dinge kann man auch so regeln, bei komplizierteren Sachen oder Konflikten gibt es die Möglichkeit, einen Dolmetscher über das öffentlich geförderte Programm Dolpäp zu bekommen“, sagt die Kitaleiterin zur taz. Fehlende Deutschkenntnisse würden nicht als Defizit oder Belastung gesehen.

Die Mitarbeitenden der Kita legten besonderen Wert auf die korrekte Aussprache der Namen von Kindern und Eltern: „Die Eltern finden das gut, weil sie sich ernst genommen fühlen“, sagt die Leiterin. Nationalflaggen sind zugleich tabu, religiöse Feiertage werden kaum noch gefeiert – oder umgewandelt. Das Laternenfest etwa ist zum Herbstfest geworden. Nur Weihnachten hat noch einen festen Platz.

Gemeinsam Feste feiern

Mit Blick auf alle anderen Feste wie das muslimische Zuckerfest oder das kurdische Neujahrsfest Newroz führt die Kita einen Vielfaltskalender, in den Familien ihre Feiertage eintragen können. „Wir freuen uns sehr, wenn Eltern uns die Feiertage zeigen und etwas mitbringen“, sagt die Kitaleiterin.

Auch in der Studie von Seyran Bostancı und Benedikt Wirth spielen kulturelle und religiöse Feste eine wichtige Rolle. Sie beobachten, dass das Feiern christlicher Feste wie Sankt Martin, Weihnachten und Ostern in Kitas noch immer die Norm darstellt. Offenheit für Feste aus anderen Kulturen würde zwar suggeriert, aber oft nicht in die Praxis umgesetzt. Wie in der Berliner Kita, die vieles besser machen möchte, hängt es häufig am Engagement der Familien, die entsprechenden Feiern zu organisieren.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen kritisieren, die Verantwortung werde auf die Familien abgewälzt, verbunden mit einer Erwartungshaltung: Wenn migrantische Familien sich nicht darum kümmern, könne man auch nicht erwarten, dass die Kita das übernimmt. Bostancı und Wirth fordern hingegen, dass ein ernsthafter Diversitätsanspruch, der nicht zum Symbol verkommt, alle Kinder gleichberechtigt mit ihren Familienkulturen einbeziehen und deshalb von der Kita ausgehen muss.

Auch der institutionelle Rahmen spiele bei Diskriminierung in Kitas eine Rolle. Denn dass überhaupt zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund unterschieden wird, hängt von gesetzlichen Rahmenbedingungen ab. In Berlin gab es bisher eine Regelung, die ab einer Quote von 40 Prozent Kindern mit „nichtdeutscher Herkunftssprache“ eine zusätzliche Fachkraft vorsah, die finanziell von der Landesregierung unterstützt wird.

Bewusstes Unterschreiten von Quoten

In manchen Kitas führt dies laut Bostancı und Wirth in der Praxis aber dazu, dass die Quote von 40 Prozent bewusst unterschritten wird. „In Zeiten des Personalmangels werde ich einen Teufel tun und jetzt noch mehr Personal aufgrund der Aufnahme von Kindern brauchen müssen, was gar nicht da ist“, heißt es zur Begründung von einer in der Studie zitierten Kitaleitung.

Bei der Berliner Kita, die sich selbst Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, ist der Anteil zwar höher. Aber auch hier spricht die Leiterin von einer „guten Mischung“, die sie in den Gruppen herzustellen versucht. Eine Lösung nach dem Prinzip „First come, first serve“ hält sie ohnehin für ungerecht.

Sie achte nicht nur darauf, dass sich die Anzahl von Mädchen und Jungen in etwa die Waage hält. Auch hätten Kinder Priorität, die schon älter als drei Jahre alt sind, aber noch keine Betreuung hatten. Ein wichtiges Kriterium sei zudem der unmittelbare Bedarf bei Alleinerziehenden. Sie sagt: „Wenn beide Eltern flexible Arbeitszeiten oder andere Betreuungsmöglichkeiten, wie eine Tagesmutter, haben, dann hat das Kind eine geringere Priorität.“

Doch auch das ist nur eine Kita. An strukturellen Problemen ändert das nichts. Deshalb fordern die beiden Forscher:innen: „Eine nachhaltige Veränderung erfordert einen umfassenden transformativen Ansatz, der rassismuskritische Perspektiven als konstitutiven Bestandteil institutioneller Praxis verankert. Nur so kann frühkindliche Bildung ihrem gesellschaftlichen Anspruch auf Gerechtigkeit und Teilhabe gerecht werden.“

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2 Kommentare

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  • Das klingt jetzt aber nach einem ziemlichen Jammer-Artikel um des Jammerns Willen.



    Es wird nach "gelesener Herkunft" ausgewählt? Bei uns wird teilweise nach Geschlecht eingestellt und es gibt sogar eine Gleichstellungsbeauftragte!



    Die Kita feiert die verschiedene Feste, je nach Herfunkt der Kinder, die Eltern müssen die Kita nur informieren? Was eine entsetzliche Anspruchshaltung gegeüber den Eltern!



    Generell finde ich, dass die Regelungen notwendig sind, um den Erfokg einer Kita zu ermöglichen und die Kitas der Diversität sehr entgegnkommen. Aber mann kann natürlich immer maulend in der Ecke sitzen und sagen, "das reicht nicht..."

  • Die Reform, welche den Kitas verbietet, nach eigenen Kriterien zu entscheiden, welches Kind Priorität hat, muss dann aber auch beinhalten, dass der Kita das notwendige Personal bei Bedarf auch zur Verfügung gestellt wird.



    Denn auch wenn es rassistisch ist, anhand der Migrationsgeschichte Kinder auszuschließen, muss man doch auch anerkennen, dass ein für die Kinder wertvoller Kita-Alltag nicht möglich ist, wenn mehr als drei Viertel der Kinder die Sprachen der Erzieher nicht verstehen.



    Die Forderung nach einer zusätzliche Stelle bei entsprechender Quote hat ja pädagogische Gründe.



    Diese jetzt aufgrund der diskriminierenden Auswirkungen selbst als rassistisch abzutun, hilft den Kindern nicht.