Drohsel über SPD-Mitgliederbegehren: „Die Stimmung erinnert an die Agenda 2010“
Die ehemalige Juso-Chefin Franziska Drohsel sammelt in der SPD Unterschriften gegen schwarz-roten Sozialabbau. Für sie weckt das böse Erinnerungen.
taz: Frau Drohsel, laut Koalitionsvertrag soll beim Bürgergeld gespart werden, die Karenzzeit für das Schonvermögen soll abgeschafft, die Sanktionen sollen verschärft werden. Die SPD hat diesen Vertrag unterschrieben. Warum wollen Sie das jetzt kippen?
Franziska Drohsel: An diesen Zielen ist einiges falsch. Warum muss bei arbeitslosen Menschen Geld gekürzt werden? Sozialverbände kritisieren zu Recht, dass der Regelsatz zu niedrig ist. Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, ist in meinen Augen falsch und schädlich.
Franziska Drohsel, Jahrgang 1980, ist SPD-Politikerin und Rechtsanwältin. Sie war von 2007 bis 2010 Vorsitzende der Jusos. Sie sitzt im Vorstand des Institus Solidarische Moderne und arbeitet als juristische Referentin bei der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend.
taz: Die SPD-Basis hat dem Koalitionsvertrag mit 80 Prozent zugestimmt. Warum jetzt die Initiative, um das zurückzudrehen?
Drohsel: Ich habe auch den Koalitionsvertrag kritisch gesehen. Aber die konkreten Vereinbarungen, wie die Kürzungen bei den Kosten für die Unterkunft und Heizung und beim Zuschuss für die Krankenkasse, gehen weit über den Koalitionsvertrag hinaus.
taz: Sie haben 4.000 Unterschriften von SPD-Mitgliedern gesammelt. Für ein Mitgliederbegehen brauchen Sie im zweiten Schritt rund 70.000. Wer unterstützt Sie in der SPD?
Drohsel: Die Unterstützung ist in der Partei recht breit. Sie reicht von einfachen Ortsvereinsmitgliedern über Bürgermeister bis zu Landtagsabgeordneten. Wir sind erst am Anfang und kämpfen darum, mehr zu werden.
taz: SPD-WählerInnen sind laut Umfragen aber auch mehrheitlich für die Abschaffung des Bürgergelds. Die Medien, die Stimmung, die Mehrheit der SPD-Klientel sind gegen ihre Initiative. Ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen?
Drohsel: Die gegenwärtige Stimmung erinnert an die Agenda 2010. Auch damals gab es die neoliberale Erzählung, dass die Arbeitslosen selber schuld sind und es sich in der sozialen Hängematte bequem machen. Die Ursachen für Arbeitslosigkeit sind aber vielfältig, und die Einzelnen sind nicht daran schuld. Unser Grundgesetz gewährt einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Laut Bundesagentur für Arbeit gab es im Jahre 2024 bei 0,8 Prozent der Leistungsbezieher Kürzungen. Ich erkenne keinen Grund, warum Bürgergeldbezieher unter Generalverdacht zu stellen und die Sanktionen derart zu verschärfen sind.
taz: Die SPD-Spitze hat schon seit zwei Jahren den Kampf für das Bürgergeld aufgegeben. Denn der Eindruck sei, dass die SPD sich nur für Ärmere, nicht aber für die arbeitende Mitte interessiere. Verstehen Sie das Problem?
Drohsel: Die Behauptung, dass die SPD mehr die arbeitende Mitte im Blick haben muss, kenne ich, seit ich in der SPD bin. Aber die SPD war immer dann erfolgreich, wenn sie verschiedene gesellschaftliche Gruppen im Blick hatte. Die arbeitende Mitte gegen arbeitslose Menschen ausspielen, führt nicht weiter. Dass es keine Karenzzeit für Schonvermögen geben soll, kann künftig auch Facharbeiter treffen, die arbeitslos werden.
taz: Wenn Sie Erfolg haben, ist die Regierung am Ende. Können Sie das verantworten?
Drohsel: Wir wehren uns gegen die Verschärfung beim Bürgergeld. Das wäre doch nicht das Ende der Koalition.
taz: Wissen das Carsten Linnemann und Friedrich Merz auch schon?
Drohsel: Wir finden einen Punkt der SPD-Regierungspolitik nicht richtig. Es gibt auch in der Union manche, so hoffe ich, die diese Verschärfungen unchristlich finden. Ich glaube nicht, dass unser Erfolg das Ende der Koalition wäre.
taz: Es gibt in Union manche, die eine Annäherung an die AfD wollen.
Drohsel: Wenn wir Erfolg haben, wäre das eine Herausforderung für die Regierung. Das leugne ich nicht. Deren Ende wäre es nicht. Wir wollen, dass die SPD sozialdemokratische Politik in der Regierung macht. Das muss möglich sein.
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