piwik no script img

Klima-Diplomat über Vorgehen der USA„Das war brutal“

Jochen Flasbarth leitet die deutsche Delegation zum UN-Klimagipfel. Mit der taz spricht er über Zuversicht, das 1,5-Grad-Ziel und die USA.

Jochen Flasbarth ist beim UN-Klimagipfel in Belém dabei Foto: M. Popow/imago
Jonas Waack

Interview von

Jonas Waack

taz: Herr Flasbarth, UN-Generalsekretär António Guterres hat das 1,5-Grad-Ziel für tot erklärt, das vor zehn Jahren im Pariser Klima-Abkommen vereinbart wurde. Stimmen Sie zu?

Jochen Flasbarth: Wir haben tatsächlich die 1,5 Grad erstmals überschritten. Viele Klimawissenschaftler sagen, dass sie das antizipiert haben und dass es jetzt darum geht, die 1,5 Grad im Mittel beizubehalten. Es wird „Overshoot-Jahre“ geben, in denen die globale Durchschnittstemperatur über 1,5 Grad steigt, und es wird hoffentlich viele geben – daran müssen wir jetzt arbeiten –, die darunter liegen. Anders als der UN-Generalsekretär erkläre ich das 1,5-Grad-Ziel nicht für tot. Ich kämpfe weiter.

Bild: BMUKN/Sascha Hilgers
Im Interview: Jochen Flasbarth

Jochen Flasbarth kämpft seit Jahren auf internationaler und nationaler Bühne, vor allem aber hinter den Kulissen für mehr Klimaschutz. Er ist seit Mai Staatssekretär im Umweltministerium, eine Stelle, die er schon von 2013 bis 2021 innehatte, bevor er von 2021 bis 2025 im Entwicklungsministerium arbeitete. Er war maßgeblich am Pariser Klimaabkommen 2015 beteiligt.

taz: Seit 2015 im Pariser Klimaabkommen dieses 1,5-Grad-Ziel vereinbart wurde, ist viel passiert: Donald Trump wurde zweimal zum US-Präsidenten gewählt. Großbritannien hat die EU verlassen. Es gab eine Pandemie. Aber zwei Dinge sind so wie damals: Sie sind Staatssekretär im Umweltministerium, und die CO2-Emissionen steigen.

Flasbarth: Ja, das ist so. Es wäre wünschenswert, wir hätten den Gipfel der Emissionen schon erreicht. Aber es ist auch nicht überraschend. Das Pariser Abkommen ist ja so gebaut, dass die Staaten selbst ihre Klimaziele setzen. Weil absehbar war, dass das nicht reicht, müssen sie alle fünf Jahre ihre Anstrengungen verstärken. Dass die Emissionen noch ziemlich lange danach gestiegen sind, liegt daran, dass die Entwicklungsländer für sich in Anspruch nehmen, weiter wachsen zu können, ohne die gleichen Klimaverpflichtungen zu haben wie die Industriestaaten.

taz: Sind Sie heute zuversichtlicher als 2015, dass wir das hinbekommen mit dem Stopp der Erderhitzung?

Flasbarth: Das Pariser Abkommen sagt: Die Erwärmung soll unter 2 Grad bleiben und nach Möglichkeit ist 1,5 Grad als Deckel zu erreichen. Ich war damals dabei. Und ich weiß sehr genau, dass selbst die Vertreter kleiner Inselstaaten das damals nicht als ernsthaftes Ziel verstanden hatten, sondern das war eine Art politische Versicherung, dass wir die Staaten nicht alleinlassen, die am anfälligsten für den Klimawandel sind. Der Special Report des Weltklimarats zu 1,5 Grad hat dann 2018 gezeigt, dass niemand, der bei Sinnen ist, sich eine 2-Grad-Welt anstelle einer 1,5-Grad-Welt wünschen kann. Inzwischen redet eigentlich keiner mehr über 2 Grad, sondern nur noch über 1,5 Grad. Und das ist richtig so.

taz: Also hat Paris nationale Klimaziele und 1,5 Grad als Orientierung gebracht. Was noch?

Flasbarth: Vor Paris waren wir auf dem Weg zu einer 4- bis 5-Grad-Welt. Jetzt liegt die Schätzung bei knapp 3 Grad. Das ist nicht toll, aber es zeigt eine Richtung an – und das in einer Zeit, wo, anders als vor zehn Jahren, die Ökonomie auf unserer Seite ist. 2015 hatten die Erneuerbaren schon eine wahnsinnige Kostensenkung hingelegt. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass das so weitergeht, aber es geht immer noch weiter. Währenddessen bekommen all diejenigen, die wie in den USA wieder in Fossile investieren wollen oder immer noch an Atomkraft glauben, diese Träume nur mit sehr viel Subventionierung hin. Deshalb bin ich da ganz guter Dinge.

taz: Während der ersten Trump-Regierung haben die USA Klimaschutz eher ignoriert. Jetzt gehen sie gegen ihn in die Offensive: Sie haben ein Abkommen verhindert, das erstmals die internationale Schifffahrt mit einem CO2-Preis belegt hätte. Und zusammen mit dem katarischen Außenminister üben sie gerade Druck auf die EU aus, das Lieferkettengesetz abzuschwächen, damit Flüssiggas einfacher importiert werden kann. Muss man Klimaschutz jetzt gegen die USA machen?

Flasbarth: Ja. Es ist ganz klar und bizarr und bitter, dass ein Land, dem wir uns historisch freundschaftlich verbunden fühlen, in diesen Bereichen nicht mehr unsere Werte teilt. In der Weltschifffahrtsorganisation hatten wir im Frühjahr eine Mehrheit. Dann ist ein unsäglicher Druck ausgeübt worden, auch auf einzelne Staaten und sogar auf einzelne Menschen in diesen Staaten, mit der Androhung von Visaentzug und solcherlei Dingen. Das war brutal. Wir müssen uns alle zusammenreißen und zeigen, dass wir uns eine Anti-Klimapolitik von den USA nicht gefallen lassen.

taz: Funktioniert ein System wie Paris noch, wenn einige Länder so brutal dagegen vorgehen?

Flasbarth: Ich glaube schon. Ich war gerade in Riad, in Saudi-Arabien. Auch Staaten, die nicht zu den „Frontrunnern“ im Klimaschutz zählen, wollen, dass das System erhalten bleibt.

taz: Warum?

Flasbarth: Die sind überhaupt keine Klimaleugner. Ich versuche das mal ganz neutral zu beschreiben: Sie haben ein volkswirtschaftliches Modell, das fossilbasiert ist. Das umzubauen ist nicht trivial. Gleichzeitig haben sie eine Zukunftsperspektive, weil sie gesegnet sind mit enormem Potenzial für Erneuerbare. Und sie sind nicht an disruptiven Entwicklungen interessiert. Sie sehen, dass überall auf der Welt – die erfolgreiche Volksabstimmung in Hamburg hat gezeigt, dass es Ausnahmen gibt – die öffentliche Unterstützung für den Klimaschutz auf einer Durststrecke ist. Aber sie glauben nicht, dass das so bleibt. Die nächsten großen Klimakatastrophen können das sofort wieder umdrehen. Und sie sind nicht daran interessiert, dass daraus disruptive Prozesse entstehen. Deshalb sind sie jetzt zwar nicht die engsten Verbündeten. Aber sie sind verlässlich und man kann damit umgehen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob Sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

taz: Die USA teilen unsere Werte nicht mehr, China in vielen Bereichen auch nicht. Aber die Chi­ne­s*in­nen sind immerhin beim Klimaschutz dabei: mit gigantischen Solar-Kapazitäten, fortschrittlichen Batterien und E-Autos. Müssten Brüssel und Peking künftig viel enger zusammenarbeiten? Stattdessen streiten sie sich um E-Auto-Zölle.

Flasbarth: Dass der deutsche Außenminister seine China-Reise absagen musste, zeigt, dass wir über sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Welt und der Gesellschaft reden. Das sage ich, um nicht missverstanden zu werden, bevor ich dann sage: Ja, wir müssen mit China unbedingt mehr zusammenarbeiten. Was die globalen öffentlichen Güter, also Klima, Artenvielfalt, Weltmeere angeht – ohne China wird es nicht gehen. Und sie haben auch eine verdammt große Lösungskompetenz.

taz: Jetzt fällt in diese ganze Dynamik die Klimakonferenz in Brasilien. Was soll die dieses Jahr bringen?

Flasbarth: Was in diesem Jahr in Belém auf der Tagesordnung steht, ist eigentlich nicht besonders kompliziert. Einmal: Wie verhalten wir uns zu den nationalen Klimazielen? Und dann gibt es eine offene Stelle bei Anpassung an den Klimawandel. Da ist bei der vorletzten Klimakonferenz ein weltweites Anpassungsziel formuliert worden. Das ist aber noch zu grobkörnig. Klimaanpassung ist für sehr viele Entwicklungsländer eines der kompliziertesten Themen überhaupt, und es ist nicht ernst genug genommen worden in der Vergangenheit. Da müssen wir gute Ergebnisse erzielen.

taz: Wie sähen die aus?

Flasbarth: Ein solches Ziel muss man natürlich herunterbrechen, sodass man daraus Politik ableiten kann. Bei den Vorverhandlungen hat es einen Riesenstreit gegeben, weil die klassischen Industrieländer nicht wollten, dass es einen Indikator gibt, der „Mittel zur Umsetzung“ heißt, weil das nach Geld riecht. Das sind ehrlich gesagt Dinge, die wir uns nicht mehr erlauben können.

taz: Obwohl die Entwicklungsetats in Deutschland und den meisten westlichen Ländern gekürzt werden?

Flasbarth: Das ist keine komfortable Situation. Aber ich habe eine Antwort darauf, wie das gehen kann. Wenn wir alles richtig machen, darf künftig das klimaschädliche Investment nicht mehr stattfinden. Und das grüne Investment muss das neue Normal werden. Da haben wir gar keine schlechten Voraussetzungen. Ich habe eben schon über die Kostendegression bei den Erneuerbaren gesprochen. Das Gleiche findet bei Batterien und grünem Wasserstoff statt. Wir haben gute Chancen, Klimaschutz zum subventionsfreien Business zu machen. Aber das wird bei Klimaanpassung nur in begrenztem Umfang gelingen.

taz: Wann wird die Klimakonferenz in Brasilien ein Erfolg?

Flasbarth: Wir müssen einen Beschluss zur Anpassung fassen. Und ich freue mich sehr, dass wir beim brasilianischen Vorschlag vorankommen, einen dauerhaften Finanzierungsmechanismus für die stehenden Regenwälder zu schaffen. Viele Länder unterstützen das. Und der Bundeskanzler hat in Belém erklärt, dass Deutschland auch dabei ist. Vor allem ist die Konferenz aber ein Erfolg, wenn von ihr das Gefühl ausgeht, dass der Rest der Welt außer den USA zusammenhält und sich zum UN-Prozess bekennt. Der Wille zu zeigen, „wir können es auch ohne die Amerikaner“, der ist riesengroß.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare