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Forscher über die deutsche Luftfahrt„Der Staat muss nicht jede Reise subventionieren“

Die deutsche Flugbranche klagt über hohe Kosten – und die Bundesregierung gibt nach. Physiker Jakob Graichen erklärt, was das fürs Klima bedeutet.

Am Himmel über NRW ist viel Flugverkehr, am 3.3.2025 Foto: D. Kerlekin/Snowfield Photography/imago
Nanja Boenisch

Interview von

Nanja Boenisch

taz: Herr Graichen, in Deutschland gibt es weniger Inlandsflüge – im ersten Halbjahr 2025 nur etwa halb so viele wie 2019 im gleichen Zeitraum. Ist das eine gute Nachricht?

Jakob Graichen: Ja – wenn das Ziel ist, das Klima zu schützen. Dann müssen die Emissionen des Flugverkehrs sinken. Und kurz- bis mittelfristig schaffen wir das nur, wenn weniger geflogen wird. Gerade Inlandsflüge und grenzüberschreitende Kurzstreckenflüge sind Reisen, die sich ziemlich gut mit der Bahn ersetzen lassen. Insofern ist der Rückgang der nationalen Flüge in Deutschland kein schlechtes Zeichen.

Im Interview: Jakob Graichen

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Öko-Institut in Berlin im Bereich Energie und Klimaschutz. Er forscht seit über 20 Jahren zur Klimawirkung des Luftverkehrs und berät öffentliche und private Institutionen dazu, wie die Emissionen des Sektors gesenkt werden können.

taz: Wie kommt es zu diesem Rückgang?

Graichen: Da gibt es keinen eindeutigen Grund. 2019 war weltweit ein Rekordjahr bei den Fluggastzahlen, mit der Coronapandemie sind die Zahlen dann eingebrochen. Seitdem sind Dienstreisen massiv zurückgegangen, weil im beruflichen Kontext mehr per Videokonferenz erledigt wird. Die Luftverkehrsindustrie sagt, der Rückgang liege an den Abgaben und Gebühren, die es in Deutschland gibt. Das ist aber nur eine Behauptung. Studien zeigen, dass es höchstens einen sehr schwachen Zusammenhang zwischen Gebühren und Nachfrage gibt. Individuelles Reiseverhalten und die Strategien der Fluggesellschaften spielen demnach eine viel größere Rolle.

taz: Fluggesellschaften fliegen einige deutsche Standorte für Kurzstreckenflüge nicht mehr an. Die Lufthansa will bis 2030 rund 4.000 Jobs abbauen. Die Mitteldeutsche Flughafen AG entlässt in Halle/Leipzig und Dresden noch in diesem Jahr 172 Mitarbeitende. Ist das nicht problematisch?

Graichen: Es ist natürlich ein Problem für jede Person, die ihren Arbeitsplatz verliert. Es ist auch ein Problem, wenn große Firmen wirtschaftliche Schwierigkeiten haben. Aber es ist genauso ein Problem, wenn wir auf die Klimakatastrophe zusteuern. Die Antwort kann nicht sein: Wir subventionieren den klimaschädlichen Luftverkehr, um Arbeitsplätze zu erhalten. Fliegen verursacht auf den Kilometer gerechnet mehr Treibhausgase als alle anderen Verkehrsträger. Wir müssen andere Strukturen für Arbeitsplätze und wirtschaftliche Bedingungen schaffen.

taz: Den Lan­des­ver­kehrs­mi­nis­te­r:in­nen und der Bundesregierung sind die Standortkosten für den Luftverkehr in Deutschland dennoch zu hoch – laut ihnen zum Beispiel wegen der Luftverkehrsteuer und der sogenannten PtL-Quote, der Beimischquote für fossilfreies E-Kerosin.

Graichen: Der Luftverkehr ist gegenüber allen anderen Verkehrsträgern weiterhin hoch subventioniert. Für Inlandsflüge gilt die Mehrwertsteuer. Aber alles, was Deutschland verlässt, etwa ein kurzer Flug nach Paris, ist von der Mehrwertsteuer befreit. Außerdem zahlen Fluggesellschaften keine Steuer auf den Flugkraftstoff Kerosin. Im deutschen Energiesteuergesetz stehen 65 Cent pro Liter – das ist der Satz, der für Pkws gilt. Wenn der Staat die erheben würde, wäre ein Flugticket sofort rund 50 Prozent teurer als heute.

Verglichen damit ist die Luftverkehrsabgabe mit 15,53 Euro für kurze, 39,34 Euro für mittlere und 70,83 Euro für lange Strecken wirklich überschaubar. 2019 war die Luftverkehrsteuer ungefähr halb so hoch wie jetzt, und auch damals hat die Luftverkehrsindustrie gejammert, dass der Verkehr wegen der Steuer nicht wachse. Das stimmte aber auch damals nicht.

taz: Trotzdem will die Bundesregierung die PtL-Quote abschaffen.

Graichen: Die nationale PtL-Quote stand schon seit einer Weile unter Beschuss. Weil es auch die europäischen Beimischvorgaben gibt, die das Niveau der deutschen Quote bald erreicht haben, wird die Abschaffung akut wahrscheinlich gar nicht so viel ändern. Solche politischen Rückzieher sind aber natürlich sehr gefährlich für Investitionsentscheidungen. Sie machen es noch schwieriger, das Angebot an klimafreundlicherem E-Kerosin zu vergrößern. Wenn ich in PtL investieren möchte, will ich mich darauf verlassen können, dass mein PtL tatsächlich auch gekauft wird.

Eigentlich sichert die EU-Vorgabe die Nachfrage – aber die Bundesregierung schafft Unsicherheit. So oder so werden alternative Kraftstoffe auf absehbare Zeit nur sehr begrenzt verfügbar sein. Deshalb ist es absurd, wenn diese Po­li­ti­ke­r:in­nen gleichzeitig fordern, solche Treibstoffe auch im Straßenverkehr zu verwenden – obwohl es da mit der Elektromobilität eine viel günstigere und effizientere Alternative gibt.

Die Bundesregierung hat sich am Mittwoch auf eine Abschaffung der nationalen PtL-Quote verständigt. Die sah vor, wie viel erneuerbarer, nicht biogener Flugzeugkraftstoff dem in Deutschland verkauften, herkömmlichen Kerosin beigemischt werden muss. Die Quote sollte ab 2026 gelten und war bisher im sogenannten Bundes-Immissionsschutzgesetz verankert, das Menschen vor schädlichen Umwelteinflüssen bewahren soll.

PtL steht für Power-to-Liquid, die Umwandlung von Strom in flüssige Energieträger. Strombasiertes Kerosin, das auch E-Kerosin genannt wird, gilt als klimafreundlichere Alternative zu herkömmlichem, fossilem Kerosin: Aus Wasser wird mit Strom (aus erneuerbaren Quellen) Wasserstoff gewonnen; der wird mit Kohlendioxid (aus der Atmosphäre) zu Kohlenwasserstoffen synthetisiert. Die wiederum werden zu einem Kraftstoff raffiniert, der genau wie fossile Kraftstoffe in Verbrennermotoren eingesetzt werden kann. Wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen und das CO2 aus der Atmosphäre kommt, ist das E-Kerosin CO2-neutral. Allerdings ist die Herstellung energieaufwendig und teuer, PtL-Kraftstoffe deshalb bisher knapp. Beim Einsatz in Flugzeugen reduziert E-Kerosin die Nicht-CO2-Effekte leicht, aber es

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Laut der bisherigen deutschen Regelung hätten ab dem kommenden Jahr 0,5 Prozent des verkauften Kerosins aus PtL bestehen, 2028 sollte es 1 Prozent sein, ab 2030 dann 2 Prozent. In der Europäischen Union liegen die Quoten laut der ReFuelEU-Verordnung für den Luftverkehr bei 1,2 Prozent E-Fuels ab 2030, 5 Prozent ab 2035 und 10 Prozent ab 2040.

Europa und insbesondere Deutschland haben gute Voraussetzungen, weltweit führend bei der Herstellung von E-Kerosin zu bleiben – drohen aber, ihren Vorsprung zu verlieren. Das ergab im Juni eine Studie des Umweltverbands Transport & Environment. Der Grund: Öffentliche Institutionen scheuten bisher vor dringend nötigen Investitionen in E-Kerosin zurück, genau wie große Ölkonzerne. Unter anderem, weil die Kraftstoffindustrie auch die EU-weiten Ziele für E-Kerosin ins Wanken gebracht haben. Für 2027 ist eine Überprüfung der EU-Gesetzgebung geplant. (nbn)

taz: Auch die Luftverkehrsteuer will der Bund zum 1. Juli 2026 wieder senken. Was ändert sich dadurch?

Graichen: Im vergangenen Jahr hat der Staat 1,9 Milliarden Euro Luftverkehrsteuer eingenommen, davon werden dann rund 350 Millionen Euro fehlen. Nicht die Fluggesellschaften zahlen die Abgabe, sondern sie wird auf den Ticketpreis aufgeschlagen. Die Person, die ein Ticket kauft, würde also entsprechend billiger fliegen. Wenn ich dann bei einer Reise die Wahl zwischen Bahn und Flugzeug habe und der Flug 40 Euro billiger geworden ist, kann das meine Entscheidung natürlich beeinflussen.

taz: Wie viel Geld könnte der Staat mit einer Kerosinsteuer einnehmen?

Graichen: In Deutschland sind es rund 8 Milliarden Euro pro Jahr. Und bei der Mehrwertsteuer wären es 19 Prozent auf jedes Ticket: Ein innereuropäischer Flug für etwa 300 Euro würde dann rund 60 Euro mehr kosten, ein Langstreckenflug für 1.000 Euro schon knapp 200 Euro mehr. Insgesamt entgehen dem Staat weitere 4 Milliarden Euro aus der Mehrwertsteuer.

taz: Eine Möglichkeit ist auch, andere Verkehrsträger von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Graichen: Bei der Bahn hat die Ampelkoalition die Mehrwertsteuer im Fernverkehr 2021 von 19 auf 7 Prozent gesenkt. Das war ein Schritt für mehr Gleichberechtigung. Allerdings ist ein Verkehrssystem, das nur von Subventionen leben kann, schwierig. Das kann der Staat nur machen, wenn er gute Gründe hat. Der öffentliche Nahverkehr zum Beispiel wird subventioniert, weil Städten sonst der Verkehrskollaps droht und alle Menschen Zugang zu Mobilität haben sollen. Bei der Bahn könnte der Grund der Klimaschutz sein. Gleichzeitig glaube ich, aus sozialer Sicht ist es wichtiger, dass der lokale Verkehr günstig ist. Es ist nicht Aufgabe des Staates, jede Reise zu subventionieren.

taz: Soziale Argumente werden auch in der Luftfahrt gerne herangezogen. Oft heißt es, eine Familie könne sich den Flug in den Urlaub nicht mehr leisten, wenn Tickets teurer werden.

Graichen: Es gibt einen sehr starken Zusammenhang zwischen Einkommen und Flugkilometern. Wer wenig Geld hat, fliegt nie oder ganz selten. Wenn ich das Urlaubsbudget für eine vierköpfige Familie berechne, ist der Flug nur ein kleiner Teil der Gesamtkosten. Deshalb halte ich das Argument, sie könne keinen Urlaub mehr machen, wenn Fliegen teurer wäre, für vorgeschoben. Aktuell subventioniert der Staat wohlhabende Menschen, weil sie am meisten fliegen. Würde er eine Kerosin- und Mehrwertsteuer erheben, hätte er viele Milliarden Euro für gezieltere soziale Förderung.

taz: Bei der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém haben sich zehn Staaten, darunter Benin, Somalia, Frankreich und Spanien für eine Abgabe auf Luxusflüge starkgemacht. Was halten Sie davon?

Graichen: Eine Besteuerung von Privatjets sowie Business- und Erste-Klasse-Tickets wäre eine sehr gezielte Maßnahme ohne Gefahr einer sozialen Schieflage. Auch ist die Klimabilanz dieser Klassen und Flüge sehr viel schlechter, es werden pro Fläche viel weniger Personen transportiert.

taz: Wie lässt sich Fliegen noch reduzieren?

Graichen: Ich finde die Idee der Vielfliegersteuer sympathisch. Die ist administrativ nicht so einfach umzusetzen, aber sinnvoll: Je öfter eine Person fliegt, desto teurer wird jedes weitere Ticket. Das würde die treffen, die viel fliegen – und nicht die, die sich einmal in fünf Jahren einen Urlaub leisten können. Ein anderer Ansatz ist, die Nachtflugzeiten und die Startplätze an Flughäfen einzuschränken. Dadurch würden auch die Preise weiter steigen.

taz: Welche technischen Möglichkeiten gibt es, um verbleibende Flüge klimafreundlicher zu machen?

Graichen: Alternative Treibstoffe wie E-Kerosin oder in sehr begrenztem Ausmaß Biokraftstoffe, zum Beispiel. Elektroflugzeuge können vielleicht irgendwann kurze bis mittlere Strecken versorgen. Aber noch mal, wenn Deutschland klimaneutral werden und die Erderhitzung unter 2 Grad Celsius bleiben soll, dann ist die heutige Menge des Fliegens nicht möglich.

Die CO₂-Emissionen der Luftfahrt verursachen ungefähr 2 Prozent der globalen Erwärmung. Doch es gibt auch noch die Nicht-CO₂-Effekte – also Wolkenbildungen auf Flughöhe, die die Klimafolgen des Fliegens deutlich erhöhen. Mit Nicht-CO₂-Effekten sorgt der Luftverkehr für ungefähr 5 Prozent der globalen Emissionen. Die Nicht-CO₂-Effekte lassen sich auch mit alternativen Treibstoffen nur etwas reduzieren.

taz: Was müssen andere Verkehrsträger bieten, um Menschen vom Fliegen wegzukriegen?

Graichen: Bei allen Strecken, die innerhalb von vier Stunden mit der Bahn zurückgelegt werden können, gibt es eine echte Verlagerung vom Flugzeug auf die Schiene. Der Ausbau der Schiene oder eine verlässliche, pünktliche Bahn würden also helfen. Bei Langstreckenflügen gibt es diese Alternative nicht. Wenn die Welt den Klimaschutz ernst nimmt, müssen wir einfach gucken, wie viele Langstreckenflüge wir uns leisten wollen.

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1 Kommentar

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  • Wer geschäftlich fliegt, wird für 200 Euro Unterschied in der Regel keine längere Anreise in Anspruch nehmen. Insofern sollte der Staat mutig die Preise erhöhen und die höheren Einnahmen als Mitnahmeeffekt verbuchen. Wichtiger ist, dass das „Weiter so weit weg“ seinen Statussymbolcharakter bei Privatreisen verliert. Dann reisen vielleicht wirklich wieder mehr Menschen bewusst und vorbereitet in eine andere Kultur, statt nur die überlaufene Strandbar in „exotischen“ Ländern fürs nächste Selfie zu suchen. Fürs Saufen, Sonnen und Selbstdarstellen braucht man sowenig einen Flieger, wie für den Einkauf von Alkoholika und Kosmetik. Vielleicht könnte ja zur Auswahl alle fünf Jahre eine Flugreise, oder jedes Jahr eine Bahnreise im Gegenzug günstiger angeboten werden. Dann würden sich vielleicht mehr Menschen ganz anders auf den Weg machen. Aber ich vermute, das regelt sich in Zukunft sowieso alles ganz einfach nur über den zwangsweise steigenden Preis, ohne großartige Möglichkeiten zum sozialen Ausgleich. Darauf warten doch alle hin, oder?