piwik no script img

Liberalismus in der KriseLetzter Ausweg Kettensäge?

Der rechtsgrüne Thinktank LibMod und die rechtskonservative Denkfabrik R21 debattieren über Liberalismus. Die Positionen sind ähnlicher als vermutet.

Hier spricht die liberale Moderne, aka Ralf Fücks, in diesem Fall allerdings bei der bekanntermaßen liberalen CDU Foto: Stefan Boness/IPON
Stefan Reinecke

Aus Berlin

Stefan Reinecke

Die Zeit, als der Neoliberalismus ein funkelndes Versprechen für Egoisten war, ist seit dem Debakel der Finanzkrise 2009 eher vorbei. Die Ideologie der segensreichen Deregulierung ist zwar nicht im Museum gelandet, aber sie strahlt nicht mehr.

Die FDP ist, weil erwiesen regierungsuntauglich, hochkant aus dem Bundestag geflogen. Wenn man die Durchhalteparolen des flatterig wirkenden FDP-Parteichefs Christian Dürr hört, dann ist eine ruhmreiche Rückkehr in das Parlament wie 2017 nicht in Sicht. Die Liberalen sind unter Druck, auch von Rechtspopulisten, die neoliberale Slogans mit autoritärer Praxis fusionieren. Global gesehen ist die Gleichung von liberaler Demokratie und Wohlstand mit dem Aufstieg Chinas, dem Trumpismus und dem Abstieg Europas auch perdu.

Ralf Fücks steht am Dienstag vergangener Woche in der verwaist wirkenden FDP-Parteizentrale in Berlin-Mitte. Fücks, früher grüner Realo, ist jetzt Chef des staatlich alimentierten Thinktanks Liberale Moderne (LibMod). „Rethinking liberalism“ heißt die Tagung, offenbar weil Englisch polyglott wirkt. Man will, so Fücks, zentrale Fragen umkreisen: Wie antwortet der Liberalismus auf das Bedürfnis nach Zugehörigkeit? Sind Liberale selbst schuld am Erstarken des Antiliberalen, weil sie es mit Diversity, Deregulierung und Globalisierung übertrieben haben? Das sind kluge Fragen.

Die soll Lars Feld beantworten, neoliberaler Rammbock unter den deutschen Ökonomen und Ex-Berater von Christian Lindner. Feld hält den rechten und linken Rand für eine Gefahr. Und den übergriffigen Regulierungsstaat. Wirtschaftsprofessor Jan Schnellenbach assistiert mit der These, dass in Deutschland die Marktwirtschaft trotz Strangulierung durch Regeln und Steuern noch stark sei, der Staat aber das bleischwere Problem.

Etwas aus Zeit gefallen

Das ist das bekannte Mantra des Neoliberalismus. Es wirkt etwas aus Zeit gefallen. Von dem omnipotenten Staat ist in Deutschland 2025 mit rumpeligen Straßen, kaputten Schulen und unpünktlicher Bahn nicht wirklich viel zu spüren. Feld fragt immerhin, ob der Ordoliberalismus mit Preiskontrollen noch über brauchbare Mittel gegen Monopole im Plattformkapitalismus wie Google und Co verfügt. Ansonsten ist Selbstkritik Fehlanzeige. Wenn Selbstreflexion die Stärke des Liberalismus ist, dann steht es wirklich schlecht um ihn. Der globale antiliberale Backlash erscheint wie ein Rätsel.

Dass der Liberalismus, dessen Triumph vor 30 Jahren gefeiert wurde, selbst der Grund seiner Niederlage ist, deutet der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher an. Während das Versprechen des sozialen Aufstiegs und der Meritokratie verblasste, habe die FDP eine wirtschaftsliberale Schlagseite gehabt. Eine ungünstige Mischung.

Biebricher attestiert dem deutschen Liberalismus zudem eine Wagenburg-Mentalität. Die Kritik zielt auf Leute wie Lars Feld, doch der ist nach seinem knappen Vortrag schon abgereist.

Routiniertes Genörgel über zu viel Staat

Grünen-Chefin Franziska Brantner wirft zu Recht ein, dass der Slogan Entbürokratisierung, das letzte Halteseil für weltanschaulich verunsicherte Liberale, unpolitisch ist. „Wenn man beim Hausbau den Brandschutz reduziert, muss man auch sagen, welche Gefahren steigen und wer das Risiko trägt“, so Brantner.

Das routinierte Genörgel über zu viel Staat verdeckt kaum, dass der politische Liberalismus in einer Sackgasse steckt. Eine Rückkehr zum Sozialliberalen ist wishful thinking. Der letzte Ausweg ist womöglich das Libertäre, der Griff zur Kettensäge, mit der nicht nur der Brandschutz, sondern der halbe Staat weggefegt werden soll. Die Libertären haben, so Biebricher, immerhin, was Sozial- und Neoliberalen fehlt: ein Zukunftsversprechen.

Szenenwechsel. Ein Tagungsraum in einem Hotel in Berlin-Mitte, Dienstagnachmittag dieser Woche. Elena Dewitt, eine junge Frau, sagt: „Der Kapitalismus ist die einzige moralische Art zusammenzuleben.“ Sie spricht für die Initiative „jung.liberal.kapitalistisch“ und hat einen originellen Rat an die FDP: Die solle aufhören, den Markt zu loben, weil er effektiv ist. Der Markt sei die Verkörperung der Moral, der Staat hingegen ein Angriff „auf das Leben selbst“. Dewitt dekoriert diesen Appell mit einem Zitat der US-Autorin Ayn Rand, Säulenheilige der Techbros, und rückt en passant die Bundesrepublik in die Nähe der DDR. So etwas hört man sonst eher von der AfD.

Libertäre Appelle verhallen

„Freiheit in der Krise“ heißt die Tagung. Geladen hat die von dem CDU-Mann Andreas Rödder gegründete „Denkfabrik R21“. R21 wird neuerdings mit 250.000 Euro Staatsgeld subventioniert – was angesichts der im R21-Umfeld üblichen Verachtung für staatlich unterstützte NGOs ein paar krumme Rechtfertigungen erforderlich macht. R21 gilt manchen Linken als Speerspitze der Reaktion, weil Rödder mal über eine Annäherung der Union an die AfD nachgedacht hat. Es ist etwas komplizierter.

Dewitt und Frauke Petry, einst AfD-Mitbegründerin, sollen das Libertäre vertreten. Petry plädiert auf einem Podium für weniger Staat und mehr Freiheit, was wenig originell ist. Ein echtes Alleinstellungsmerkmal ist ihre Kritik an der AfD. Die sei, weil sie Mindestlohn und höhere Renten verspreche, dem Etatismus anheimgefallen.

Petry hat vor ein paar Monate das „Team Freiheit“ gegründet, nach der AfD und der Partei Die Blauen die dritte Organisation, die sie aus dem Boden gestampft hat. Die ausgeprägte Neigung, Organisationen zu gründen, vertreibt den Zweifel, ob Petry mehr als sich selbst repräsentiert, nicht gänzlich.

Dewitts und Petrys libertäre Appelle verhallen weitgehend ungehört. Auch (Neo-)Liberale scheuen solche Schlachtrufen. Das ist kein schlechtes Zeichen.

Onkelhafte Gesinnungssätze

Martin Hagen, früher Fraktionschef der FDP in Bayern und seit einem Jahr Geschäftsführer von R21, gab zu Beginn den Ton in Sachen Libertäre vor. Man findet den argentinischen Präsidenten Javier Milei interessant, zuckt angesichts von dessen „anarchokapitalistischer Staatsverachtung“ (Hagen) aber zurück. Wenn man die Kettensäge-Fraktion in der Bundesrepublik sucht, landet man bei Petrys Sektierertum und „jung.liberal.kapitalistisch“, laut website 192 Mitglieder.

Bei R21 werden Grüne wie Franziska Brantner natürlich nicht eingeladen – die Grünen gelten hier als Bösewichte. Karl-Heinz Paqué, Chef der Naumann-Stiftung und Nationalliberaler, erklärt froh das „Zeitalter der Grünen und des linksintellektuellen Ballasts“ für beendet. Für solche onkelhaften Gesinnungssätze bekommt man bei R21 immer Applaus.

Ansonsten aber ist die Debatte bei R21 sogar kontroverser als bei LibMod. Damian Boeselager, Europaabgeordneter von Volt, erklärt: „Für Freiheit und gegen den Staat zu sein, ist völlig unterkomplex.“ Der Atomausstieg sei wie die Coronapolitik eine Abwägung zwischen verschiedenen Zielen wie Gesundheitsschutz, Wirtschaft und Grundrechten. Mit Antietatismus komme man da nicht weiter.

Sven Gerst, seines Zeichens Philosoph, sieht den Liberalismus tief gespalten in Kosmopoliten, die offen für Globalisierung, freie Märkte und Bürgerrechte sind, und Nationalliberale, die genau das Gegenteil vertreten – nämlich Nation, Abschottung vor Globalisierung und antiwoken Kulturkampf. Politisch sei der Liberalismus gelähmt, intellektuell müde. Die liberale Fortschrittsidee hat sich offenbar in eine Art Verfallsgeschichte verwandelt.

Fücks omnipräsent

Ralf Fücks tritt auch bei R21 in den Ring, sogar mit den gleichen Boxhandschuhen. Wie bei LibMod streitet er mit Neoliberalen, ob Deutschland auf den Aufstieg Chinas mit Industriepolitik antworten muss. Industriepolitik, ein staatlicher Eingriff in den sakrosanten Markt, klingt für Neoliberale wie den Ökonom Schellenbach und FAZ-Mann Rainer Hank attraktiv wie Lepra.

Fücks, auch überzeugter Marktwirtschaftler, plädiert aus geostrategischen Gründen für eine europäische Industriepolitik. Der liberale Westen müsse China, das bei Schlüsseltechnologien Weltspitze ist, etwas entgegensetzen. „Wirtschaft ist für China ein Mittel, um hegemoniale Machtpolitik durchzusetzen“, so Fücks.

Damit hat er recht. Allerdings hat der liberale Westen genau so – mit wirtschaftlicher Macht, rüder Hegemonialpolitik und Schlimmerem – die Welt erobert. Das zu erkennen, ist der blinde Fleck von Libertären, Neo-, und Ordoliberalen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare