Frühere UN-Klimachefin im Interview: „Das Pariser Klimaabkommen funktioniert“
Der Klimavertrag wird 10 Jahre alt. Christiana Figueres gilt als eine seiner Architekt*innen. Der Klimawandel eskaliert. Ist sie gescheitert?
taz: Das Pariser Klimaabkommen wird in diesem Jahr 10 Jahre alt, aber die Emissionen steigen weiterhin und wir sind immer noch nicht auf einem Pfad, der mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist. Warum funktioniert das Abkommen nicht so, wie es sollte?
Christiana Figueres: Das Pariser Klimaabkommen funktioniert. Schauen wir uns einmal die Zahlen an: Ja, die Emissionen steigen noch, aber deutlich geringer als vor dem Pariser Klimaabkommen. In den 10 Jahren vor Paris sind die Emissionen um 18 Prozent gestiegen, in den 10 Jahren seit dem Abkommen um 1 Prozent.
Christiana Figueres übernahm 2010 die Leitung des UN-Klimabüros – ein Jahr, nachdem in Kopenhagen die Verabschiedung eines internationalen Klimavertrags scheiterte – und führte die zähen Klimaverhandlungen aus der Frustration in den Jubel: 2015 wurde das Paris-Abkommen beschlossen. Im Jahr darauf gab sie ihr Amt ab und gründete mit ihrem vormaligen UN-Mitarbeiter Tom Rivett-Carnac das Beratungsunternehmen Global Optimism (englisch für „Globaler Optimismus“). Ihr Podcast heißt Outrage + Optimism (englisch für „Wut + Optimismus“).
taz: Aber das 1,5 Grad-Ziel verfehlen wir trotzdem.
Figueres: Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir vor dem Pariser Klimaabkommen auf eine Erderwärmung zwischen 4 und 6 Grad Celsius zugesteuert sind, was einer Katastrophe gleichgekommen wäre. Jetzt befinden wir uns auf dem Pfad für 2,3 bis 2,6 Grad Celsius Erderwärmung. Wir sehen also definitiv Fortschritte.
taz: Ihr entscheidender Kniff beim Pariser Klimaabkommen war es, auf Strafen für die teilnehmenden Länder zu verzichten. Denken Sie, dass das der richtige Ansatz war?
Figueres: Absolut! Im Kyoto-Protokoll wurden Strafen für Industrieländer festgelegt, die ihre Emissionsminderungsziele verfehlen. Als Kanada seine Ziele nicht erreicht hat und eine große Strafe hätte zahlen müssen, ist es aus dem Abkommen ausgestiegen. Jede Nation ist souverän, das ist ein Grundprinzip der Vereinten Nationen. Das Pariser Klimaabkommen setzt deshalb darauf, dass die Länder ein Eigeninteresse daran haben, ihre Emissionen zu senken.
taz: Worin besteht das Eigeninteresse?
Figueres: Drei Viertel der Weltpopulation leben in Ländern, die aktuell vom Import fossiler Energieträger abhängig sind. Mit Erneuerbaren müssen die Länder nur einmalig die Technologie importieren und können dann ihre eigene Energie erzeugen. Vor allem die Länder des Globalen Südens, die über 70 Prozent des Potenzials für Solar- und Windenergie verfügen, können dadurch endlich energetisch unabhängig werden.
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taz: Die USA sind im Januar trotz allem wieder aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Figueres: Die USA sind nicht nur aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten, sondern auch aus der elektrotechnischen Revolution. Das heißt aber nicht, dass die Revolution zum Stillstand kommt oder sich gar abschwächt. Denn während sich die USA zurückziehen, hat China darin eine große Chance erkannt und nutzt diese noch aggressiver als zuvor. Unter einer neuen Regierung werden sich die USA jedoch in einer sehr schwierigen Lage befinden. Sie werden dann sehen müssen, inwiefern sie mit dem Rest der Welt mithalten können.
taz: Sie haben auch einige Jahre in Deutschland gelebt. Verfolgen Sie die Diskussionen zum Klimaschutz in Deutschland?
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Figueres: Ich verfolge die Diskussionen nicht im Detail, sondern eher aus der Ferne. Aber ich denke, dass die aktuelle Regierung mit dem Sondervermögen, das ihr zur Verfügung steht, eine unglaubliche Chance hat.
taz: Die deutsche Regierung fährt in Sachen Klima aber einen eher unambitionierten Kurs: Kanzler Merz setzt sich zum Beispiel dafür ein, das Verbrenner-Aus in der EU zu kippen.
Figueres: Ja, das ist in der Tat kurzsichtig, denn die Welt bewegt sich ganz eindeutig in Richtung E-Mobilität. Vor 10 Jahren war noch 1 von 100 verkauften Autos weltweit elektrisch, heute ist es 1 von 5. Deutschland sollte lieber versuchen, führend in dieser Technologie zu werden.
taz: Der Global Tipping Points Report legt nahe, dass die Eisschilde ihren Kipppunkt bei rund 1,5 Grad Erderwärmung erreichen werden, 2024 lag die Erderwärmung bei 1,55 Grad. Und Sie sind immer noch optimistisch?
Figueres: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen mit unserer Fähigkeit, immer mehr Lösungen zu entwickeln, durchaus in der Lage sind, den globalen Temperaturdurchschnitt wieder auf 1,5 Grad oder vielleicht sogar darunter zu senken. Der menschliche Erfindungsgeist wurde kaum auf die Probe gestellt. Wir befinden uns erst seit 10 Jahren in einem Prozess, der sich über Jahrzehnte erstrecken wird. Sie und ich können unmöglich heute wissen, was in 5 oder 10 Jahren möglich sein wird.
taz: Gerade viele junge Menschen und ihre Eltern machen sich Sorgen um die Zukunft. Was sagen Sie denen?
Figueres: Ich werde meinem Enkel erzählen, dass wir in beängstigenden Zeiten leben. Ich werde ihm beibringen, dass es Herausforderungen gibt, wie es sie schon immer gab. Es ist eine große Herausforderung, aber wir haben fortschrittlichere Technologien und uns stehen bessere Werkzeuge zur Verfügung. Deshalb lehren wir unsere Kinder, sich zu wehren. taz: Wenn Sie heute ein neues Pariser Abkommen verhandeln müssten, gibt es irgendwas, was Sie anders machen würden?
Figueres: Ja, ich würde den Kohlenstoffmarkt miteinbeziehen.
taz: Obwohl er in vielen Fällen weniger Klimaschutz liefert als versprochen?
Figueres: Ich habe in meinem Leben so viele Investitionen in Entwicklungsländern erlebt, die zumindest teilweise dem Handel mit CO2-Berechtigungen zu verdanken waren, dass ich ihn für einen effektiven Weg halte, um Finanzströme aus den Industrieländern in die Entwicklungsländer zu lenken.
taz: Artikel 6 des Paris-Abkommens schafft schon die Grundlagen dafür, die Details wurden aber erst im vergangenen Jahr ausgehandelt.
Figueres: Ich würde bei einer neuen Verhandlung die Einigung über Artikel 6 beschleunigen, sodass wir einen universellen, hochregulierten und hocheffizienten Kohlenstoffmarkt bekommen.
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