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Russische Rekrutierung in AfrikaVon Nairobi an die Front in der Ukraine

Laut ukrainischem Außenministerium sterben viele Afrikaner im Kriegsdienst für Russland. Kenia ermittelt wegen betrügerischer Rekrutierungsmethoden.

Ein weiter Weg von Nairobi über Russland an die Front in der Ukraine Foto: Reuters/Thomas Mukoya
Simone Schlindwein

Aus Kampala

Simone Schlindwein

Der ukrainische Außenminister Andrii Sybiha warnt die Regierungen in Afrika, dass ihre jungen Rekruten in Massen an der Front in der Ukraine sterben. „Mindestens 1436 Staatsbürger aus 36 afrikanischen Ländern kämpfen derzeit in den Reihen der russischen Invasionsarmee in der Ukraine“, erklärte er auf der Onlineplattform X. „Einen Vertrag zu unterzeichnen, ist gleichbedeutend mit der Unterzeichnung eines Todesurteils.“ Die meisten Afrikaner würden den Krieg in den russischen Reihen nicht einen Monat lang überleben.

Einige afrikanische Regierungen versuchen nun, die Rekrutierungsmethoden zu unterbinden. In Kenia und Südafrika wurden bereits Ermittlungen eingeleitet. Laut offiziellen Angaben seien in den vergangenen Jahren mehrere hundert Kenianer an der Front in der Ukraine gefallen. 26 befinden sich derzeit in russischen Militärkrankenhäusern, wo ihre Wunden versorgt werden. Kenias Regierung versicherte Ende Oktober, dass sie auf diplomatischem Wege versuche, die Kenianer nach Hause zu holen.

Zahlreiche Familien von jungen Männern, die nach Russland gereist sind, berichten gegenüber kenianischen Medien, dass sie den Kontakt via Whatsapp zu ihren Angehörigen verloren hätten. Dies erhöht jetzt den Druck auf Kenias Regierung, der Sache nachzugehen.

Kenias für grenzüberschreitende Verbrechen zuständige Polizeieinheit bemüht sich, den Rekrutierungsring in Kenia aufzudecken und zu zerschlagen. In der Hauptstadt Nairobi stehen seit Anfang Oktober zwei Personen vor Gericht. Edward Kamau Gituku war Ende September festgenommen worden. In seinem Haus in Nairobi fanden Ermittler 21 junge Männer, die Verträge mit einer Rekrutierungsfirma unterzeichnet hatten und deren Reise nach Moskau bevorstand.

Ohne Militärausbildung an die Front

Mit ihm festgenommen wurde laut Angaben des kenianischen Tageszeitung The Standard auch ein Russe unter dem Namen Mike Lyapin, der angegeben haben soll, für die russische Botschaft in Nairobi zu arbeiten. Als die Reporter letztlich bei der Polizei nach dem Verbleib des Russen fragten, gab diese an, der mutmaßliche Lyapin habe eine Kaution bezahlt und sei dann nach Russland zurückgeflogen.

Die zweite Angeklagte, Ednah Kendi, war den Ermittlern im September ins Netz gegangen. In ihrer Wohnung wurden Dokumente und Geld von Männern gefunden, die bereits nach Russland ausgereist waren. Zwei von ihnen konnten sich dort aus einem Militärtrainingslager befreien. Mithilfe der kenianischen Botschaft in Moskau wurden sie nach Hause geholt und sind nun wichtige Zeugen im Prozess.

Erstmals bestätigen jetzt Zeugenaussagen, wie dieses Rekrutierungsschema funktioniert: „Ich kam mit einem Touristenvisum nach Moskau“, so der Kenianer Evans, dessen Nachname nicht veröffentlicht wurde. Als Leistungssportler sei ihm ein Trainer-Job in Russland angeboten worden. „Gegen Ende meiner Reise legte man mir einen Vertrag auf Russisch vor und versprach mir einen Job“, so Evans.

„Ich wusste nicht, dass es sich dabei um eine militärische Anstellung handelt.“ Ihm sei sein Handy und sein Pass abgenommen worden. Wenige Tage später habe er sich ohne jegliche Militärausbildung an der Front in der Ukraine wiedergefunden. Nach zwei Tagen ergab er sich ukrainischen Soldaten. „Diese Unterschrift war der größte Fehler meines Lebens“, kommt er zum Schluss.

Ukraine: Rekruten sollen sich ergeben

Weitere Zeugen berichten, sie hätten sich für Jobs als Fahrer oder Reinigungskraft beworben. Ihnen sei ein Monatsgehalt von rund 1500 Euro umgerechnet zugesagt worden. Mehr als 5000 Euro sei ihnen als Bonus für den Kriegsdienst versprochen worden. Ein junger Rekrut, dessen rechte Hand im Gefecht nahe Charkiw im August schwer verletzt wurde, gibt an, die Russen hätten ihm dafür 20.000 Euro Entschädigung zugesagt.

Diese Summen sind für afrikanische Verhältnisse enorm. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit von mitunter 30 Prozent macht junge Leute anfällig, sich auf dubiose Angebote im Ausland einzulassen. Überall sind Rekrutierungsfirmen unterwegs, die Fahrer oder Kindermädchen für reiche Scheichs in den Golfstaaten suchen. Dass einige mit Jobangeboten in Russland locken, ist nichts Ungewöhnliches.

Auch Südafrikas Regierung hat nun eine Untersuchung angekündigt. Südafrikas Botschaft in Moskau habe Anrufe von 17 Südafrikanern erhalten, die sich derzeit in Russland befinden, so Südafrikas Präsidentensprecher Vincent Magwenya: „Präsident Cyrill Ramaphosa und die südafrikanische Regierung verurteilen aufs Schärfste die Ausbeutung junger, schutzbedürftiger Menschen durch Personen, die mit ausländischen Militärorganisationen zusammenarbeiten“, so Magwenya.

Die Ukraine bietet Hilfe an. Sie sollen sich der ukrainischen Armee ergeben, so Außenminister Sybiha auf X. Er betont: „Die Gefangenschaft in der Ukraine bietet Ihnen die Chance auf ein neues Leben und die Möglichkeit der Rückkehr in Ihr Heimatland.“

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