EU-Parlament schwächt Lieferkettengesetz: In Brüssel bricht die Brandmauer
Union und AfD stimmen im EU-Parlament zusammen ab, um das Lieferkettengesetz zu schwächen. Das könnte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.
Christdemokraten und Konservative haben am Donnerstag im Europaparlament gemeinsam mit rechten Parteien und AfD-Abgeordneten gestimmt, um das europäische Lieferkettengesetz abzuschwächen. Damit ist der Weg für eine Aufweichung der Nachhaltigkeitsregeln für Unternehmen frei. Für die Lockerung hatte sich unter anderem Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ausgesprochen.
Umgesetzt wurde der Rückbau der Regeln nun vom CSU-Politiker Manfred Weber. Er leitet die konservative EVP-Fraktion im Europaparlament und schlug mehrere Kompromissangebote von Liberalen und Sozialdemokraten aus. Um die unternehmensfreundlichen Lockerungen durchzupauken, setzte er schließlich auch auf Stimmen der rechtskonservativen EKR, der rechten Patrioten und der deutschen AfD.
Sozialdemokraten und Grüne reagierten empört. Sie sprachen von einem Bruch der „Brandmauer“ gegen rechts und drohten mit Konsequenzen für die Arbeit im EU-Parlament. „Weber hat sich für den Tabubruch und den Schulterschluss mit den Rechtsextremen entschieden. Der Präzedenzfall soll die Zusammenarbeit mit Rechtsaußen zur Normalität machen“, kritisierte Terry Reintke von den Grünen.
Von einem „schwarzen Tag für die europäische Demokratie“ sprach der Verhandlungsführer der Sozialdemokraten, SPD-Politiker René Repasi. Weber habe mit einer „Erpressungstaktik“ versucht, die Koalition aus Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten im EU-Parlament zu sprengen. Dies werde Folgen haben, so Repasi. Die SPD wolle den Vorfall auch im Koalitionsausschuss in Berlin ansprechen.
Bis zur Unkenntlichkeit entkernt
Sozialdemokraten und Grüne hatten in den Verhandlungen vor der Abstimmung weitgehende Zugeständnisse gemacht und eigene „rote Linien“ aufgegeben. Auch die Liberalen waren auf Weber und seine EVP zugegangen. Am Ende scheiterte jedoch auch ihr Kompromissvorschlag zur Haftung von Unternehmen an der neuen rechten Mehrheit im Parlament. Die EVP habe auf Maximalforderungen bestanden, so Repasi.
Der nun gefasste Parlamentsbeschluss sieht vor, dass nur noch Firmen mit mindestens 5.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro der Lieferkettenrichtlinie unterliegen sollen. Bislang gilt sie für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro. Zudem wurde die Verpflichtung gestrichen, Pläne zur Umsetzung von Klimazielen vorzulegen.
Den neuen Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit sollen nur noch Unternehmen mit mehr als 1.750 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro unterliegen. Zudem wurden die Strafen für Verstöße auf symbolische Beträge abgesenkt. Die Wirkung des Lieferkettengesetzes wird so deutlich geschwächt. Ob es noch helfen kann, Umwelt- und Menschenrechtsprobleme zu beheben, ist fraglich.
„Die Gesetze, die ein grünes Wachstum und eine nachhaltige und resiliente Wirtschaft gefördert hätten, wurden heute bis zur Unkenntlichkeit entkernt“, kritisiert Laura Niederdrenk vom WWF Deutschland. „Während Klima- und Biodiversitätskrisen voranschreiten, beschneidet die EU einige der wichtigsten Instrumente, um diese Krisen einzudämmen.“
Merz will Lieferkettengesetz lockern
Allerdings hat das EU-Parlament nicht das letzte Wort. Die Abstimmung war lediglich nötig, um den Weg für Verhandlungen mit den 27 EU-Staaten freizumachen. Sie sollen am 18. November beginnen und könnten dazu führen, dass das Lieferkettengesetz noch mehr aufgeweicht und letztlich aufgebrochen wird. Einige Mitgliedsstaaten wollen die neue Richtlinie am liebsten ganz streichen.
Schon beim letzten EU-Gipfel Ende Oktober war es deshalb zu Streit gekommen. Kanzler Merz forderte das Europaparlament damals öffentlich auf, einen Beschluss zurückzunehmen, der die nun beschlossenen Lockerungen begrenzt hätte. „Das ist eine fatale Fehlentscheidung und die muss korrigiert werden“, forderte der Kanzler.
Das Parlament hat ihm nun Folge geleistet – mit weit reichenden Konsequenzen für die Nachhaltigkeitsgesetzgebung, aber auch für die europäische Demokratie.
Auch das deutsche Lieferkettengesetz, das seit 2023 gilt, will Merz abschwächen. Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung angekündigt, das Gesetz abzuschaffen und durch das europäische zu ersetzen. Würde die europäische Richtlinie nach dem heutigen Entwurf umgesetzt, würden die Pflichten für deutlich weniger Unternehmen gelten. Statt wie bislang 2.900 Unternehmen wären dann nur etwa 150 betroffen.
Doch in der EU-Richtlinie ist das sogenannte Verschlechterungsverbot festgelegt. Eine Absenkung der bestehenden Regeln durch die Umsetzung von EU-Vorgaben könnte deshalb laut einem Gutachten im Auftrag von Germanwatch und Oxfam rechtswidrig sein.
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