Digitale Abhängigkeit von den USA: Wie Europa sich auf den Kill Switch vorbereitet
Hätte Trump die Macht, unsere digitale Versorgung zu kappen wie Putin die Gasleitungen? Europa will unabhängiger von Google, Microsoft und Co. werden.
Wenn man kurz nach dem Aufwachen das erste Pling des Tages aus dem Smartphone hört, geht es schon los. Das Telefon läuft mit den Betriebssystemen Android oder iOS, der Messenger, der sich meldet, ist bei den meisten Whatsapp – alles Dienste mit Sitz aus den USA.
Auf dem Arbeitsweg hilft die App des Nahverkehrsunternehmens. Wirkt erst mal wie ein lokales Angebot, aber darin stecken Kartendienste und Marketingtools von Google. Schnell in der App eine Fahrkarte kaufen?
Auch hinter den gängigsten Zahlungsdiensten von Visa bis Paypal stehen US-Anbieter. Wer, angekommen im Büro, bei seinem Job einen Computer verwendet, wird wahrscheinlich vom Windows-Logo begrüßt. Office, Teams, Azure-Cloud – alles Microsoft-Produkte. Auch in den meisten Verwaltungen werden sie benutzt.
Und selbst wer krank ist und nur zum Arzt will, ist nicht davor gefeit: 16 gesetzliche Krankenkassen haben für die technische Infrastruktur, auf der die Daten aus den elektronischen Patientenakten liegen, IBM unter Vertrag genommen, darunter die TK, Barmer und mehrere AOKs.
In Frankreich müsste man leben. Nicht nur wegen einer Million Käsesorten, sondern auch, weil Internet-Nutzer:innen dort seit August auf eine Suchmaschine zugreifen können, deren Ergebnisse zum Teil auf einem eigenen Index beruhen – und nicht auf dem, was Google oder Microsofts Bing vorgeben. Der Index ist quasi ein Katalog der Inhalte im Internet. Klingt trivial? Ist es nicht. Denn Suchmaschinen sind in vielen Bereichen immer noch die Basis der Internetnutzung. Ihre Betreiber entscheiden, was im Index landet und was welchen Nutzer:innen in welcher Reihenfolge nach der Eingabe welcher Schlagwörter angezeigt wird. „Die Internetsuche ist eine absolut kritische Infrastruktur für Wirtschaft und Demokratie“, sagt Wolfgang Oels. Er ist Manager bei der deutschen Suchmaschine Ecosia, die den neuen Index gemeinsam mit dem französischen Anbieter Qwant entwickelt. Das französische Web haben sich die beiden Partner als Erstes vorgenommen, daher wird bei Qwant schon ein Teil der Ergebnisse aus dem eigenen Index ausgeliefert. Bei Ecosia soll es Anfang 2026 so weit sein. Spätestens dann, findet Oels, brauche es auch hierzulande ein Umdenken in der Verwaltung. In Frankreich nutze die bereits Qwant. „Ein Wechsel kostet die öffentliche Hand keinen Euro und dauert kürzer als eine Stunde.“
Ein Tag, an dem alle Dienste von IT-Konzernen aus den USA ausfallen würden? Das wäre in Europa momentan ein echtes Problem. Seit dem erneuten Amtsantritt Trumps wächst immer mehr die Sorge vor der Abhängigkeit von den USA bei digitalen Diensten und Infrastruktur.
Am 18. November hatten Deutschland und Frankreich daher zu einem europäischen Gipfel zu digitaler Souveränität geladen. Das Ergebnis: Digitale Souveränität finden zwar alle gut und wichtig. Aber dass die vorgestellten Vorhaben wie Deregulierung und Unternehmenskooperationen wirklich dorthin führen, ist nicht ausgemacht.
Dabei ist das Schreckensszenario durchaus ernstzunehmen: der Kill Switch. Der Begriff aus der IT beschreibt eigentlich, dass sich ein System mit einem Knopfdruck ausschalten lässt. In Bezug auf die digitale Abhängigkeit von den USA heißt das: Trump könnte zum Beispiel als Druckmittel im Handelsstreit US-Konzerne anweisen, keine Geschäfte mehr mit Europa zu machen.
Software würde zwar nicht unbedingt auf einen Schlag unbrauchbar werden, wohl aber innerhalb kurzer Zeit: Durch ungestopfte Sicherheitslücken würde die Gefahr eines Angriffs derart hoch, dass eine Verwendung unverantwortlich wäre. Und wer direkt auf die Cloud-Infrastruktur etwa von Amazon oder Google setzt, müsste mit akuten Verlusten von Daten und Funktionsfähigkeit rechnen.
Schleswig-Holstein hat ein Ziel: als erstes Bundesland seine Verwaltung umzustellen auf Open-Source-Software. Das ist Software, deren Code einseh- und anpassbar ist. Meist nutzen die Behörden momentan Microsoft-Produkte, die Beschäftigten bekommen nun Anwendungen wie Libre Office für Dokumente, Nextcloud als Speicher und Thunderbird für E-Mails. „Öffentliche IT-Systeme sind längst kritische Infrastrukturen geworden“, sagt Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister Dirk Schrödter. Eine Kleinigkeit sei die Umstellung aber nicht. Eine der vielen Herausforderungen: sich mit anderen Behörden auf einen Dateistandard einigen, damit Dokumente ohne Probleme ausgetauscht werden können. „Der Weg zur digitalen Souveränität ist weder kurz noch einfach – aber er ist notwendig und machbar“, sagt Schrödter. Jüngster Schritt: Seit Anfang Oktober laufen alle 40.000 E-Mail-Postfächer der Landesverwaltung auf Open-Xchange und Thunderbird. Ein Datum, zu dem die komplette Verwaltung des Bundeslands auf Open Source umgestellt ist, gibt es aber noch nicht.
„Trump hätte die Macht dazu mittels verschiedener Rechtsgrundlagen“, sagt Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen und Gründer des Cyberintelligence-Institutes. Zum Beispiel durch den International Emergency Economic Powers Act, übersetzt in etwa „Internationales Gesetz über wirtschaftliche Notstandsbefugnisse“.
Trump könne auf dieser Basis mit einer präsidentiellen Anweisung US-Unternehmen auferlegen, die Bereitstellung kritischer Dienste für einzelne Kunden, Regionen oder ganze Länder einzustellen. Das könnten zum Beispiel Cloud-Dienste sein oder Routing, also die Weiterleitung von Daten im Internet. „Das ist eine Art Kill Switch“, sagt Kipker.
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Eine andere mögliche Basis biete das Exportkontrollrecht: Trump könne etwa den Export einer bestimmten Soft- oder Hardware beschränken. Dann würden zum Beispiel keine Updates oder Ersatzteile mehr geliefert oder kein technischer Support mehr geleistet. „Das sorgt mittelfristig für Erpressbarkeit.“
Dazu kommt, dass Daten, die auf Servern von US-Dienstleistern liegen, nicht vor dem Zugriff durch dortige Strafverfolger:innen oder Geheimdienste geschützt sind. Das gilt auch, wenn die Server in der EU stehen und vielleicht sogar von einem europäischen Tochterunternehmen des US-Konzerns betrieben werden.
Apertus heißt „offen“ auf Latein. Und offen soll es sein, das neue KI-Modell aus der Schweiz. Entwicklungsprozess, Architektur, Trainingsdaten und -methoden, also quasi der gesamte Bauplan des Modells, das Forscher:innen mehrerer Einrichtungen gemeinsam entwickelt haben, ist frei zugänglich. Apertus ist ein großes Sprachmodell, ein LLM (Large Language Model). Solche Modelle stecken auch hinter Diensten wie ChatGPT oder Gemini, die nicht gerade mit Offenheit glänzen. LLMs beruhen darauf, dass ein Algorithmus mit riesigen Datenmengen trainiert wird, Muster lernt und nach statistischen Wahrscheinlichkeiten zum Beispiel vorhersagen kann, welche Wörter oder Satzteile auf die Frage oder Anweisung einer Nutzerin folgen sollten. So kann das Modell Texte generieren und übersetzen. Entwickler:innen sollen auf der Basis von Apertus zum Beispiel Chatbots, Übersetzungssysteme oder digitale Lernwerkzeuge bauen können. In das Training sind nach Angaben der Forscher:innen Texte auf über 1.000 Sprachen eingeflossen – darunter auch Rätoromanisch. In dieser Sprache heißt „offen“ laut Apertus übrigens „aperì“.
Das Bewusstsein für die Probleme scheint auch in der Wirtschaft zu wachsen. In einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom vom Juni gaben knapp zwei Drittel der Unternehmen an, bei ihnen würde der Betrieb ohne Cloud-Dienste stillstehen. Und drei Viertel hielten Deutschland für zu abhängig von den US-Cloud-Diensten.
Andererseits: Abstriche, und seien es auch nur kleine, wollen die meisten Firmen nicht vornehmen. Nur 12 Prozent würden eine hiesige Alternative nutzen, wenn man länger als bei den IT-Riesen auf neue Funktionen warten muss.
Kipker kritisiert, dass das Thema zu lange verschlafen wurde – in Wirtschaft und Politik. Unternehmenssparten wurden ins Ausland verlagert, kurzfristiger Gewinn sei wichtiger gewesen als eine nachhaltige Technologieinfrastruktur in der EU.
Dabei gibt es die Office-Suite, das Videokonferenztool und den Cloud-Dienst auch von alternativen Anbietern. Nicht unbedingt im gleichen Funktionsumfang, ohne die vertraute Bedienoberfläche und mitunter mit Schwierigkeiten bei der Umstellung. Aber ohne transatlantischen Kill Switch.
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