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Neugründung der AfD-Jugend in GießenWeidels neue Scheitelarmee

Die AfD-Jugend will sich neu gründen, die Partei will mehr Kontrolle über den Nachwuchs. Die neue Führung ist gut vernetzt in der extremen Rechten.

Trägt auch mal Anzüge und Scheitel: Jean-Pascal Hohm, designierter Chef der AfD-Jugend auf einer Demo von Zukunft Heimat Cottbus Foto: Andreas Franke/imago

Vor nicht einmal einem Jahr stand der designierte Chef der AfD-Jugend, Jean-Pascal Hohm, mit einem Megafon vor einer rechtsextremen Demo. Der heute 28-Jährige hat sie selbst angemeldet. An diesem kalten Abend zwischen den Jahren bestehen die beiden ersten Demo-Reihen überwiegend aus jungen, sportlich aussehenden Männern. Sie sind in Schwarz gekleidet, viele verstecken ihr Gesicht hinter Sturmmasken. Sie tragen zwei Banner: Auf einem steht „Abschieben“ und auf dem anderen – es ist von der mittlerweile aufgelösten Jungen Alternative – „Wehrt Euch Endlich“. Trotz der Kälte haben sich rund 400 Teilnehmer versammelt. Bei der Demo gibt vor, den Opfern des Anschlags von Magdeburg zu gedenken.

Trauer bedeutet an diesem Abend in Cottbus: Dauertrommeln unter dem Motto „Es reicht“. Hohm wird hier von allen nur „Kalli“ genannt. Er läuft wie schon bei verschwörungsideologischen Coronaprotesten, die er reihenweise anmeldete, ganz vorn und gibt den Einpeitscher. Hohm ruft: „Wir zeigen jetzt denen da oben mal, wer das Volk ist!“ Dann schreit er aus voller Kehle: „Wir sind das Volk!“ – woraufhin Dutzende junge Männer die Parole immer wieder über Cottbus’ Straßen brüllen.

Die Spitze des Zugs grölt ausgelassen die Nazi-Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zur Melodie des Kirmes-Techno-Hits von Gigi D’Agostino. Party-Rassismus auf den Rücken der Opfer einer Amokfahrt, und die Polizei schaut zu – ein vorbeigehender Passant fasst die Szenerie so zusammen: „Fick die AfD.“

Der „Kalli“ sitzt für die AfD im Brandenburger Landtag, hat sein Studium abgebrochen und kaum Berufserfahrung. Hohm ist fester Bestandteil der rechtsextremen Szene in Cottbus. Südbrandenburg gilt als rechter Hotspot, wo Neonazi-, Rocker-, Ultra- und Hooligan-Szene sowie rechtsextreme Vereine mit bürgerlichem Anstrich wie „Zukunft Heimat“ des Brandenburger AfD-Vorsitzenden Christoph Berndt zusammenwirken. Sie versuchen – teils erfolgreich -, rechte Hegemonie herzustellen, die immer wieder auch in Gewalt äußert.

Distanz und Protest

Normalisierung Während die AfD einen offen Rechtsextremen zum Chef ihrer neuen Jugendorganisation machen will, kippt der sogenannte „Verband der Familienunternehmer“ die Brandmauer. Er machte bekannt, dass er sich auch mit AfD-Politikern treffe, woraufhin zahlreiche „Familienunternehmen“ aus dem Verband austraten. Zeitgleich steht die AfD in Umfragen so gut da wie nie zuvor.

Widerstand Das Bündnis „Widersetzen“ organisiert am Samstag, den 29. November, in Gießen Demonstrationen gegen die Gründung der AfD-Jugend. Geplant sind friedliche Proteste, aber auch Blockadeversuche. Es werden über 50.000 Teil­neh­me­r*in­nen erwartet, bundesweit sollen über 200 Busse aus allen Ecken der Republik anreisen. Die Polizei will mit 5.000 Polizisten und schwerem Gerät die Gründungsversammlung der neuen AfD-Jugend vor Blockaden bewahren. In der Nähe der Messe Gießen gilt deshalb ein Versammlungsverbot.

Mit Weidels Segen

Hohm hat es von Cottbus’ Straßen bei der letzten Brandenburg-Wahl 2024 als Abgeordneter in den Potsdamer Landtag geschafft. Und trotz guter Kontakte in die rechtsextreme Szene soll er am Samstag auch mit dem Segen der Parteispitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla zum Chef der neuen AfD-Jugend gewählt werden, nachdem die Partei die alte Jugendorganisation Anfang des Jahres aufgelöst hatte.

Die Personalie Hohm zeigt, wie wenig es der AfD um inhaltliche Mäßigung geht

Die neue Organisation soll „Generation Deutschland“ heißen. Für eine Mitgliedschaft angemeldet haben sich bislang rund 1.700 Personen von insgesamt 6.000 Mitgliedern der AfD unter 35 Jahren. Zur Gründungsversammlung in Gießen werden bis zu 1.000 Nachwuchs-AfDler*innen erwartet – und 50.000 Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen vom Bündnis „Widersetzen“, welche die Neuaufstellung blockieren wollen.

Liveticker zu den Protesten in Gießen

Die taz berichtet am Samstag ab dem frühen Morgen mit einem ausführlichen Liveticker von den Protesten in Gießen gegen die Gründungsveranstaltung der neuen AfD-Jugendorganisation. Sie finden ihn dann unter taz.de/liveticker

Anlässe für die Neugründung der Parteijugend gibt es mehrere: Zum einen wollte die AfD die zuvor gerichtsfest als gesichert rechtsextrem eingestufte Jugendorganisation Junge Alternative (JA) vor einem Verbot schützen. Weil die JA als Verein organisiert war, griff das Parteienprivileg für sie nur eingeschränkt. Zum anderen wollte die Parteispitze besser durchgreifen können, wenn mal wieder JA-Mitglieder über die Stränge schlugen, also etwa KI-generierte Abschiebesongs auf Wahlpartys grölten oder sich in mutmaßlichen Rechtsterrorkomplexen organisierten, wie mehrere JA-Mitglieder bei den Sächsischen Separatisten im Herbst 2024, die Waffen gehortet und ethnische Säuberungen geplant haben sollen und für ein Bild mit Höcke posten.

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Die neue Jugendorganisation soll untergeordneter Teil der Mutterpartei werden, wie bei den Jusos und der SPD. Dort kann nur Mitglied sein, wer auch in der Partei ist. Und so hätte man gegen Querulanten Ordnungsmaßnahmen in der Hand, wenn sie unabgesprochen aus der Reihe tanzen oder wie die JA mit allzu offenem Rassismus der Gesamtpartei weitere Verbotspunkte bescheren. Über die genaue Satzung, Namen und Logo (gehandelt werden auch Adler in NS-Optik) wird ab Samstag abgestimmt.

Die Personalie Hohm macht dabei deutlich, wie wenig es der AfD um inhaltliche Mäßigung geht: Hohm ist berüchtigt für Kontakte zu militanten Rechtsextremen, raunt gern und viel vom „Bevölkerungsaustausch“, forderte offen „millionenfache Remigration“ oder dass die Jugend sich in Gruppen zusammenschließen und Kampfsport üben solle. Er postete Musik von der Neonazi-Band Hassgesang und hat langjährige Kontakte zum Identitären-Umfeld.

Besuch bei italienischen Neofaschisten

2018 besuchte er mit dem Regionalchef der Identitären Bewegung ein Auswärtsspiel in Potsdam-Babelsberg, bei dem extrem rechte Fans von Energie Cottbus für einen Eklat sorgten. Sie zeigten im Gästeblock den Hitlergruß und skandierten rassistische sowie antisemitische Sprechchöre wie „Arbeit macht frei – Babelsberg 03“.

Wenig später machte Hohm ein Praktikum bei der extrem rechten Kampagnen-Plattform „Einprozent“ und besuchte 2018 Aktivisten der italienischen Neofaschisten von Casa Pound. Seine früheren rechtsextremen Eskapaden sowie zahlreiche Erwähnungen im Brandenburger Verfassungsschutzbericht kosteten Hohm damals noch zeitweise AfD-Jobs im Landtag.

Wenig später wurde er allerdings vom heutigen Landesvorsitzenden René Springer wieder eingestellt und mittlerweile ist Hohm trotz oder gerade wegen seiner Aktivisten-Vita sogar Chef des Kreisverbands in Cottbus und selbst Abgeordneter.

Glaubhaft distanziert hat Hohm sich bis heute nicht von extrem rechten Kreisen. Und wenn doch, dann klingt seine Distanzierung so wie kürzlich beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. Dort betonte er inhaltliche Differenzen zu den italienischen Faschisten von Casa Pound, denn: „Der italienische Neofaschismus richtet sich in der Südtirol-Frage auch gegen Angehörige meines Volkes.“

Scharnier der „Mosaik-Rechten“

Allerdings gibt es auch eine andere Seite von Jean-Pascal Hohm und die sichert ihm wiederum den Rückhalt im Bundesvorstand: Er kann auch bürgerlich, trägt ordentliche Anzüge und neben dem strammen Scheitel auch ein Schwiegersohn-Lächeln zur Schau.

Außerdem kann er mehr als drei Sätze geradeaus reden und wirkt dabei recht bodenständig – eben wie jemand, der Funktionär einer rechtsextremen Partei ist, aber dennoch ganz normal mit den Kumpels im Verein Fußball spielt. Rechtsextrem, aber normalisiert. Für die Partei soll er so zum Bindeglied zwischen aktivistischem Parteivorfeld, Jugendorganisation und Mutterpartei werden.

wochentaz

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Ins Bild passt, dass er als vernetzt gilt mit zentralen Schaltstellen innerhalb der Partei, etwa zum Netzwerk der professionellen Nachwuchsradikalen im Umfeld von Sebastian Münzenmaier, die nicht viel weniger radikal sind, allerdings disziplinierter auftreten und offene Grabenkämpfe und dadurch entstehende Schäden für die Partei unbedingt vermeiden wollen.

Zum Schrecken radikalerer Parteikreise sagte Hohm in seiner neuen Rolle kürzlich, dass die AfD-Jugend „anschlussfähiger“ werden müsse. Sie solle weniger stumpfe Provokation und Aktivismus praktizieren, müsse dafür mehr Kaderschmiede sein. Die neue Jugendorganisation soll aus Sicht von Hohm professioneller und disziplinierter im Umgang mit Mutterpartei und Medien werden. Auf mehrere Anfragen der taz reagierte Hohm trotzdem nicht.

Viel Kontinuität zur extrem rechten JA

Wie professionell die Gründung tatsächlich ablaufen wird, ist offen. Immerhin aber gibt es für die neue Jugend eine auch unter Mitwirkung des Bundesvorstands zusammengestellte Liste mit einem guten Dutzend Namen für den neuen Vorstand der Jugend – ganz wie bei den verhassten „Altparteien“. Die meisten Namen sollen nach taz-Informationen abgestimmt sein – nur für die Plätze der zerstrittenen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Bayern wird es wohl Kampfkandidaturen geben.

Der Großteil der wahrscheinlichen Vorstandsmitglieder ähnelt Hohm: Hauptsächlich männliche JA-Kader mit extrem rechten Verbindungen, die Mitglieder extrem rechter Burschenschaften sind und einen engen Draht zu neurechten Kreisen haben.

Angesichts der zur Schau gestellten Professionalität versuchte Hohm in den Wochen und Monaten vor der Gründung das radikale Parteivorfeld zu beschwichtigen und einzubinden. Tief blicken ließen dabei vor allem Auftritte in Szene-Podcasts. Dort versuchte er Sorgen ideologischer Hardliner wegzuwischen, die befürchten, aus der neuen AfD-Jugend würde ein „Schoßhund der Partei“.

Hohm betonte, er mache sich keine Sorgen, dass rechte Aktivisten nicht in die Partei aufgenommen würden – jedenfalls „wenn man nicht gerade mit Name und Gesicht und vorherigen Mitgliedschaften bekannt ist“.

„Volle Power rein da“

Im Podcast sagte Hohm: „Das, was die neue Jugendorganisation wird, hängt davon ab, wer sich da engagiert. Du kennst meine Arbeit in Cottbus“, sagte Hohm, „wenn man das Feld natürlich Leuten überlässt, die man in ihrer Weltanschauung oder Habitus nicht so gern hat, dann ist man am Ende selber Schuld.“

Hohms Gesprächspartner, der rechtsextreme Aktivist und Verleger Philipp Stein, ruft folgerichtig gleich mehrfach radikale JA-Mitglieder dazu auf, die Jugendorganisation zu unterwandern – auch wenn man dafür „teilweise das dreckige Spiel mitspielen“ und sich Parteihierarchien unterwerfen müsse. Er habe ansonsten die Befürchtung, dass sich die AfD liberalisiere, wie Stein sagt. Sein Plädoyer: „Volle Power rein da und versuchen, das Ding in die Hand zu kriegen.“ Eine Jugendorganisation müsse es schaffen, „grundsätzliche Leute ins Parlament zu kriegen – Leute wie dich“, so Stein zu Hohm. Der antwortet: „Ich kann dem nur beipflichten.“

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