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Parteitag der SPD BerlinBerliner SPD will wieder artig sein

Die Sozialdemokraten wählen Steffen Krach zum Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl 2026. Er gilt als Hoffnungsträger der zerstrittenen Partei.

Krönungsmesse: Berlins SPD-Spitzenkandidat Steffen Krach am Samstag beim Landesparteitag Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Rainer Rutz

Aus Berlin

Rainer Rutz

Der Landesparteitag der Berliner SPD an diesem Samstag sollte eine Krönungsmesse werden für Steffen Krach, den Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September 2026. Ein Zeichen des optimistischen Aufbruchs der eigentlich notorisch zerstrittenen Hauptstadt-Sozis. Wann wir schreiten Seit' an Seit'. Und die Rechnung ging auf.

„Aufbruchsvibe“, „Riesenglücksfall“, „Gewinnertyp“: Die Delegierten in dem Tagungshotel am Friedrichshainer Spreeufer überschlugen sich förmlich in Lobpreisungen des Kandidaten, am Rednerpult, aber auch am Rand des Parteitags, ob vom linken oder vom rechten Parteiflügel. Am Ende wurde der selbst erklärte „Pragmatiker“ Steffen Krach per Handzeichen mit realsozialistischen 100 Prozent zum Spitzenkandidaten bestimmt, gefolgt von minutenlangem Applaus und Johlen.

Der sozialdemokratische Herausforderer von CDU-Senatschef Kai Wegner hatte zuvor in seiner fast eineinhalb Stunden dauernden Bewerbungsrede auch alles gegeben. Eloquent und kurzweilig pflügte Krach einmal quer durchs landes- und bundespolitische Gemüsebeet: Mieten und Mobilität, Wirtschafts- und Familienpolitik, Sauberkeit und Stadtbild-Debatte, soziale Gerechtigkeit und Klimaresilienz, Kampf gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt.

Selbstlob für die Berliner SPD, die zuletzt zwei Jahrzehnte die Regierenden Bür­ger­meis­te­r:in­nen stellte, seit der Wiederholungswahl 2023 aber nur noch als Juniorpartnerin einer schwarz-roten Koalition an Wegners Kabinettstisch sitzt, durfte dabei nicht fehlen. „Natürlich ist nicht alles gut“, erklärte Krach. Aber: „Wir haben auch richtig viel hinbekommen und darauf können wir auch stolz sein.“ So sei es ausschließlich die SPD gewesen, die „in den vergangenen Jahren für soziale Gerechtigkeit gesorgt“ habe.

Attacken auf den Koalitionspartner CDU

Doch da gehe mehr für Berlin, und das gehe nur mit ihm im Roten Rathaus, sagte Krach, derzeit noch Regionspräsident in Hannover: „Es macht eben einen Unterschied, wer an der Spitze steht.“ Nur folgerichtig schoss sich der 46-Jährige vor allem auf den eigenen Koalitionspartner und den, wie er ihn nannte, „Noch-Regierenden Bürgermeister“ Kai Wegner ein.

Der CDU-Mann, so Steffen Krach, könne nicht viel mehr, als permanent Bändchen durchschneiden. „Er läuft durch die Stadt, aber er regiert nicht, er besichtigt die Stadt.“ Das sei Wegner nach der Wahl am 20. September 2026 auch weiter gegönnt, aber dann eben nicht mehr als Regierungschef.

Selbst die Ex-Regierende und jetzige Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, die die SPD vor zweieinhalb Jahren zusammen mit Fraktionschef Raed Saleh in die inzwischen hochgradig unbeliebte schwarz-rote Koalition gedrängt hatte, stimmte in den Chor der Wegner-Kritiker:innen ein. Steffen Krach habe es einfach drauf. „Er kann es auch besser, als Kai Wegner es gerade macht, davon bin ich überzeugt“, sagte Giffey. Um dann gut gelaunt auf die ihr eigene Art hinzuzufügen: „We can do it. Und dit wird jut, lieber Steffen.“

Das kleine Problem der Berliner SPD auf dem verkündeten Weg zurück ins Rote Rathaus: In aktuellen Umfragen kommen die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen auf lediglich 14 bis 16 Prozent. Sie liegen damit hinter der in Berlin überaus starken Linken, erst recht aber hinter Wegners CDU, die auf 23 bis 25 Prozent taxiert wird.

Krach sagte, ihm sei bewusst, dass der SPD derzeit nur bedingt gute Chancen auf einen Wahlsieg eingeräumt werden. Ihn persönlich motiviere das noch mehr. Das wünsche er sich auch von der SPD. „Lasst uns starten als Underdog und wir beißen uns durch. Was das heißt, wird Kai Wegner in den nächsten zehn Monaten erleben“, rief er den rund 250 Delegierten zu. Wieder Jubel, wieder Applaus.

Aufruf zur Geschlossenheit

Der als neuer, parteiflügelübergreifender Hoffnungsträger gefeierte Spitzenkandidat nutzte die Gelegenheit zugleich, um die Ge­nos­s:in­nen zur Geschlossenheit zu mahnen. „Wenn wir von der Gesellschaft Zusammenhalt fordern, müssen wir als Vorbild vorangehen“, sagte Krach. Das bedeute nicht, dass auf kontroverse Diskussionen verzichtet werden soll. „Es wäre schade, wenn wir das nicht täten. Aber am Ende müssen wir mit einem positiven Gefühl herausgehen.“

Nun hatten die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen in den vergangenen Tagen mit vielem von sich reden gemacht, nur nicht mit Zusammenhalt und positiven Gefühlen. „Hinter uns liegt keine leichte Woche“, sagte der SPD-Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand. Die Bundestagsabgeordnete Annika Klose sprach vom „Elefanten im Raum“.

Der Elefant – das war das aus dem Ruder gelaufene Parteitreffen des SPD-Kreisverbands Neukölln vor einer Woche. Die hier dominierende Parteilinke hatte Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel vom rechten Parteiflügel zwar mit 68,5 Prozent der Stimmen für eine erneute Kandidatur nominiert. Hikel waren diese 68,5 Prozent indes zu wenig. Er warf das Handtuch und verkündete, bei der Wahl im September 2026 nicht mehr für das Amt des Bürgermeisters kandidieren zu wollen. Die Delegiertenversammlung wurde abgebrochen.

Seither zeigte sich die Partei von ihrer altbewährten Seite, und das heißt: wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Parteirechte wie Parteilinke suchten hektisch nach Erklärungen und der Deutungshoheit über das Neukölln-Debakel. Schließlich ist Martin Hikel nicht nur Neuköllns Bezirksbürgermeister, sondern seit Frühjahr 2024 zudem Landesvorsitzender der Berliner SPD. Beim Parteitag tauchte er erst Stunden nach Beginn der Veranstaltung auf. „Ist wohl auch gut so“, sagte ein Delegierter zur taz.

Auch wenn es auf taz-Nachfrage vorab aus der SPD-Parteizentrale hieß, dass es sich bei der Hikel-Geschichte um ein reines Neukölln-Problem handele, entstanden in einer speziellen Situation, die sich während der Versammlung hochgeschaukelt habe. Nicht auszuschließen war, dass die Chaostage beim Landesparteitag an diesem Samstag in die nächste Runde gehen.

Das Gegenteil war der Fall. „Ich habe euch lange nicht mehr so geschlossen und begeistert erlebt“, fasste Co-Parteichefin Nicola Böcker-Giannini das Treffen der Ge­nos­s:in­nen am Spreeufer zusammen. Später musste sie die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen gleichwohl noch einmal beschwören, dass das auch so bleibt. „Wir müssen jetzt alle hinter dir stehen.“

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