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Auktion von Nazi-Dokumenten350 Euro für ein Hinrichtungspapier

Kommentar von

Klaus Hillenbrand

Ein Auktionshaus in NRW wollte Nazi-Dokumente über Häftlinge von Konzentrationslagern versteigern. Das ist verwerflich und gehört schlicht verboten.

Einen „Judenstern“ wie diesen wollte das Auktionshaus verkaufen, „mit Gebrauchsspuren“ aus dem KZ Buchenwald Foto: akg

A m Sonntagmorgen war die Seite noch abrufbar. Da konnte man sich Briefe von KZ-Insassen aus fast allen Konzentrationslagern der Nazis anschauen, mit Name und Adresse, ja sogar Dokumente zur Sterilisation eines Menschen, dessen „Erbgesundheit“ nach Ansicht der regierenden Rassisten und Antisemiten zu wünschen übrig ließ. Zu kaufen gab es eine Gestapo-Karteikarte über die Hinrichtung eines Juden in Ostpreußen und einen „Judenstern“ aus dem KZ Buchenwald „mit Gebrauchsspuren“. Oder wie wäre es mit einem Papier über den Tod einer 1944 im Rahmen der sogenannten Euthanasie ermordeten Patientin? Dokumente aus dem Schlachthaus der Menschheitsgeschichte also, dazu noch höchst privater Natur.

Am Sonntagmittag war die Seite im Internet nicht mehr vorhanden. Die für den Montag geplante Versteigerung eines Neusser Auktionshauses von 623 Objekten unter dem Titel „Das System des Terrors“ wurde abgesagt – offenbar auf erheblichen politischen und publizistischen Druck. Das Aktionshaus Felzmann selbst mochte sich am Totensonntag nicht äußern. Die Bestätigung der Absage erfolgte durch einen Sprecher der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei.

Was NS-Devotionalien angeht, hat sich die Öffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten an so einiges gewöhnen müssen. Da werden Bilder des gescheiterten Kunstmalers Adolf Hitler versteigert. Auch Hitlers Bartbürste und eine seidene Unterhose von Hermann Göring gerieten schon unter den Hammer. Es gibt Leute, die so etwas sammeln.

Mit dem Leid von Menschen Kasse machen

Die Verherrlichung des Nazi-Regimes ist in Deutschland aus gutem Grund strafbar, ebenso die Verwendung verfassungswidriger Zeichen und Symbole, worunter fast alle Kennzeichen von SS, SA, Hitlerjugend und NSDAP fallen. Aber ins eigene Kämmerlein darf man sich die Vitrine mit geschnitzten Hakenkreuzen gerne stellen.

Die Papiere sind Teil des bösesten Kapitels der Menschheitsgeschichte und müssen deshalb allen Menschen zugänglich bleiben

Die nun auf den letzten Metern abgesagte Versteigerung in Neuss stellte freilich eine weit verwerflichere Aktion darf. Hier wollte ein Unbekannter – wir wissen nicht, wer der Einlieferer ist – und ein Aktionshaus mit dem Leid von Menschen Kasse machen. Was ist eine KZ-Einweisung wert, was gar eine Entlassung? Wie viel bezahlt man für das Dokument über eine vorgesehene Sterilisation? Die geforderten Schätzpreise bewegten sich meist im Bereich zwischen 100 und 500 Euro. Das Papier über die „Euthanasie“ einer Frau in Hademar wurde mit 350 Euro bewertet, ebenso viel wie die Hinrichtung des Juden aus Ostpreußen.

Von einem „zynischen und schamlosen Unterfangen“ sprach Christoph Heubner, der Vizechef des Auschwitz-Komitees. Das Leid aller Menschen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden, werde aus kommerziellem Interesse missbraucht.

Mosaiksteinchen für die Forschung

Der Kapitalismus neigt bekanntlich dazu, aus allem und jedem eine Ware zu machen, die es zu verticken gilt. Ist der Verkauf von NS-Dokumenten über gefangene und gequälte Opfer die höchste Stufe dieser Gesellschaftsordnung? Zählt diese etwa zur viel gelobten sozialen Marktwirtschaft?

Das dann doch nicht, entschied die Bundesregierung. Nach Protesten des Auschwitz-Komitees und des Fritz-Bauer-Instituts ergriff Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Wochenende das Wort. „So etwas gehört sich schlicht und ergreifend nicht, und es muss klar sein, dass wir eine ethische Verpflichtung haben gegenüber den Opfern, derartige Dinge zu unterbinden“, sagte Wadephul zu Beginn einer Auslandsreise. Er habe mit seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski über den „ungeheuerlichen Vorgang“ gesprochen, sagte Wadephul. Er sei sich mit ihm „völlig einig, dass ein solcher Versuch, ein Geschäft mit dem Verbrechen der Schoah zu machen, abscheulich ist und unterbunden werden muss“.

Ganz anders hatte sich am Wochenende der Geschäftsführer des Auktionshauses geäußert. Auch private Sammler betrieben „intensive Forschung“ und leisteten einen „Beitrag zur historischen Aufarbeitung“, berichtete die Frankfurter Allgemeine am Samstag aus einer Erklärung. Das mag so sein. Genauso gut können Sammler ihre ersteigerten NS-Dokumente aber auch hinter Glas in ihrem Arbeitszimmer aufhängen.

Dass die seidene Unterhose Görings (Bundweite 114 Zentimer) zur Akkumulation von Kapital dienlich ist, ist schon schwer genug erträglich. Aber Deutschland ist ein liberales Land, und es sollte niemandem verboten sein, mit welcher Unterhose auch immer er oder sie im eigenen Schlafgemach unterwegs. Dass der Unterhosen-Verkäufer damit Geld verdient, tja, das ist die Marktwirtschaft, bei der in diesem Fall die Anwendung des Adjektivs „beschissene“ erlaubt ist.

Das Verhökern von NS-Dokumente über deren Opfer dagegen gehört schlicht und einfach verboten. Dort werden Namen von Menschen genannt, die gelitten haben, vielfach ermordet wurden. Diese Papiere gehören, wie das Auschwitz-Komitee verlangte, entweder den Familien der Opfer oder sie sollten – besser – in entsprechenden Archiven und Gedenkstätten gehütet werden. Sie sind Mosaiksteinchen für die Forschung über den Nationalsozialismus. Sie sind Teil des bösesten Kapitels der Menschheitsgeschichte und müssen deshalb auch allen Menschen zugänglich bleiben.

Das Aktionshaus Felzmann ist eigentlich auf die Versteigerung von Briefmarken spezialisiert. Es sollte schleunigst zu seinem Kerngeschäft zurückkehren.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Text wurde am 16.11.2025 um 19.52 Uhr aktualisiert und um zusätzliche Textpassagen ergänzt.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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