Lagebericht des Verfassungsschutzes: Nazis im Staatsdienst besser vernetzt
Immer mehr Beschäftigte bei Polizei und Bundeswehr haben Verbindungen zum Rechtsextremismus, zeigt der neue Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz.
T errorverdächtiger, Querdenkeraktivist und Polizeihauptkommissar: Seit Mai vergangenen Jahres muss sich der ehemalige Kriminalbeamte Michael Fritsch aus Hannover vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verantworten. Der Generalbundesanwalt wirft Fritsch vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Er soll zum Führungskreis der Reichsbürger-Gruppe Prinz Reuß gehören, die einen Putsch am „Tag X“ vorbereiteten.
Damit ist Fritsch in guter Gesellschaft: Von den über 60 Beschuldigten sollen mehr als 20 Verdächtige Polizei- und Bundeswehrerfahrung haben.
Jetzt zeigt ein neuer Lagebericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zu „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“, wie umfassend das Phänomen ist: Sie werden mehr und sind besser vernetzt. Die Ergebnisse sind alarmierend – auch für den Norden.
In dem Bericht erfasst das BfV „Beschäftigte der Sicherheitsbehörden vom Bund und den Ländern mit Bezügen zum Rechtsextremismus“ sowie zu „Verbindungen zu ‚Reichsbürger‘- und ‚Selbstverwalter‘-Szene“ und zur „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“. Vor fünf Jahren, 2020, wurden erstmals solche Fälle in Polizei- und Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und Landesebene, in Bundesnachrichtendienst, Zollverwaltung sowie Bundeswehr „dokumentiert und statistisch ausgewertet“.
Nicht alle Fälle werden erfasst
Der aktuelle Bericht aus dem November dieses Jahres registrierte für den Zeitraum vom 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2024 411 Beschäftigte, die „tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht“ lieferten, „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ zu verfolgen. Das sind fast 50 Fälle mehr als zuvor erfasst.
Im Norden führt Mecklenburg-Vorpommern mit 16 Fällen die Landesstatistik an, gefolgt von Schleswig-Holstein mit 11 Fällen, Hamburg mit 10 und Niedersachsen mit einem Fall. In Bremen fielen „keine Verdachts- und erwiesenen Fälle“ auf. Der Stadtstaat Bremen ist das einzige Bundesland, in dem die Vorfälle zurückgingen. Mecklenburg-Vorpommern liegt im Verhältnis zur Beschäftigungszahl von 6.100 Mitarbeitenden mit 0,26 Prozent auf Platz zwei der Bundesstatistik.
Dass alle Vorfälle in der Statistik erfasst werden, darf bezweifelt werden. Das berufliche Umfeld könnte zu oft schweigen, deutete Professor Rafael Behr schon mehrfach an, der bis 2024 an der Akademie der Polizei Hamburg lehrte.
Deutlich wird in der neuen Statistik jedenfalls ein Gender-Unterschied: Die potenziell verfassungsfeindlichen „männlichen Beschäftigten“ liegen mit 92,5 und 92,4 Prozent weit vor den „weiblichen Beschäftigten“ mit 7,5 und 7,6 Prozent. Der hohe männliche Anteil liege allerdings an der Personalstruktur, führt das BfV aus. Das mittlere Alter der Auffälligen ist „47,4 Jahre“.
Mehr Kontakte zu Rechtsextremist*innen
Fast 700 Aktivitäten wurden für den Bericht erfasst. Alleine 123 Beschäftigte waren aktive und/oder passive Mitglieder in auffälligen Chatgruppen und 109 Beschäftige hatten Kontakt, waren Mitglieder und/oder unterstützten „extremistische“ Gruppen.
Der Kontakt zu Netzwerkerakteur*innen ist gestiegen, das BfV geht von 1.046 Verbindungen aus. Das Gleiche gilt für den Kontakt zwischen Beschäftigten der staatlichen „Sicherheitsbehörden“ zu Personen. Er wuchs von 425 auf 533 Personen an. Die meisten Beziehungen bestehen mit 84,8 Prozent zum Rechtsextremismus – zu Parteien und zur „Musik-, Hooligan- oder Kampfsportszene“. In weitem Abstand dazu bestehen zudem Kontakte zu den Delegitimierer*innen des Staates (9,4 Prozent) und zu den Reichsbewegten (5,8 Prozent).
Den Zuwachs der Zahlen erklärt das BfV unter anderem mit einer gestiegenen Sensibilität. Das Amt räumt aber auch ein, dass „Beschäftigte, die einen Eid darauf abgelegt haben, die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv zu verteidigen, gegen diese aktiv-kämpferisch agitieren“, weil „die geopolitischen Ereignisse und wirtschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre, die in der Gesamtgesellschaft Unsicherheiten und Ängste bewirkt haben“, ebenso „bei Beschäftigten in den Sicherheitsbehörden Verunsicherungen auslösen“. Diese Erklärung hinterfragt allerdings nicht, inwieweit Strukturen und der Corpsgeist in Polizei, Bundeswehr und anderen staatlichen Behörden rechte Einstellungen begünstigen.
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