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Wohnstatistik 2024Über eine Million Menschen sind mittlerweile wohnungslos

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ermittelt einen Anstieg von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Zu den häufigsten Auslösern von Wohnungslosigkeit zählen neben Trennung und Konflikten besonders Miet- und Energieschulden Foto: Fabian Bimmer/reuters

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) veröffentlichte am Montag neue Hochrechnungszahlen zu Wohnungslosigkeit von 2024 in Deutschland. Die Ergebnisse seien „durchaus alarmierend“, so Fachreferent Paul Neupert. Laut der Arbeitsgemeinschaft waren im Verlauf des letzten Jahres 1.029.000 Menschen von Wohnungslosigkeit betroffen. Damit überschritt die Zahl erstmals die Millionenmarke. Sie bedeutet außerdem einen Anstieg von 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wo es noch 928.000 Betroffene gewesen waren.

Als „wohnungslos“ gelten all diejenigen Menschen, die keinen mietrechtlich abgesicherten Wohnraum finden können. Das umfasst neben explizit Obdachlosen beispielsweise auch Geflüchtete mit anerkanntem Aufenthaltsstatus in Notunterkünften, Menschen auf Campingplätzen oder in psychiatrischen Einrichtungen ohne eigenen Wohnraum.

Vorgestellt wurden die Zahlen in der zentralen Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot in Berlin-Moabit. Das Stadtbild verändere sich zunehmend, so Leiterin Elfriede Brüning über die Situation in der Hauptstadt. „Auch in Gegenden, in denen noch nie ein Obdachloser zu sehen war, gibt es jetzt Schlafplätze“, sagt sie. Das System sei so überbelegt, dass es neue Menschen häufig nicht mehr aufnehmen könne und diese somit direkt auf der Straße landeten. Etwa vierzig Prozent ihrer Klientel bestehe aus sogenannten „Couchsurfern“: Menschen, die in Wohnungen von Freunden und Bekannten unterkämen. Laut BAG waren im letzten Jahr 26 Prozent der Wohnungslosen minderjährig, allerdings oftmals in Begleitung von Angehörigen.

Problematisch sei, dass besonders niedrigschwellige Angebote am stärksten von Kürzungen betroffen seien, Orte, „wo man mal einen Kaffee trinken und sich austauschen kann“, so die Leiterin der Beratungsstelle. Bundesweit sind laut BAG W bereits 17 Prozent der im Feld tätigen Dienste und Einrichtungen von finanziellen Kürzungen betroffen oder bedroht.

Wohnungslosigkeit ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck einer unsozialen Politik

Sahra Mirow, Die Linke

Wie hoch der Anteil an von Wohnungslosigkeit betroffenen Geflüchteten ist, belegen auch die neuen Zahlen: Rund 80 Prozent besaßen 2024 keine deutsche Staatsbürgerschaft, 20 Prozent waren deutsche Staatsbürger.

BAG-W-Vorsitzende Susanne Hahmann warnte davor, Geflüchtete und Wohnungslose gegeneinander auszuspielen. Armut und der Mangel an bezahlbarem und bedarfsgerechtem Wohnraum seien die zentralen Gründe für Wohnungslosigkeit. Als besonders problematisch hob sie den Rückgang von Sozialwohnungen hervor. Die Sozialbindung vieler Wohnungen laufe jährlich aus, außerdem werde zu wenig gebaut. „Fallen sie aus der Sozialbindung, sehen sich Mie­te­r*in­nen häufig mit steigenden Mieten und in vielen Fällen sogar mit drohendem Wohnungsverlust konfrontiert“, so Hahmann.

Zu den häufigsten Auslösern von Wohnungslosigkeit zählten laut BAG W neben Trennung, Ortswechsel und Konflikten besonders Miet- und Energieschulden. Geschäftsführerin Susanne Bösing kritisierte die geplante Verschärfung der Sanktionspraxis für Sozialleistungen. „Wir kennen es in der Praxis, dass Menschen Termine beim Arbeitsamt nicht wahrnehmen können“, so Bösing.

Sahra Mirow, Linken-Abgeordnete und Mitglied des Ausschusses für Wohnen, sagte der taz, Wohnungslosigkeit sei kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck einer unsozialen Politik: Dass in Deutschland inzwischen über eine Million Menschen wohnungslos seien, sei ein „politischer Skandal“. Sie forderte von Bundeswohnministerin Verena Hubertz (SPD), den Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit endlich mit konkreten Maßnahmen zu untermauern. Laut dem 2024 beschlossenen nationalen Aktionsplan soll Wohnungslosigkeit in Deutschland bis 2030 überwunden werden.

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