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Zivilgesellschaft in SyrienZusammenkommen beim „Tag des Dialogs“

Die EU lädt im syrische Damaskus zu einer Konferenz mit Zivilgesellschaft und Übergangsregierung: Es geht um Vertrauen – und einen Mangel davon.

Der syrische Präsident Ahmed al-Schaara (r) und der syrische Außenminister Asaad al-Schibani, am 8. November 2025 Foto: Syrian Presidency Press Office/ap/picture alliance

Hätte man auf dem „Tag des Dialoges“ in Damaskus am vergangenen Wochenende eine Strichliste der am häufigsten genannten Begriffen geführt – das Wort „Vertrauen“ wäre sicherlich in der Top Five gelandet. Dabei deutete zunächst wenig auf eine vertrauensvolle Atmosphäre hin: Medienschaffende erfuhren den genauen Veranstaltungsort des von der Europäischen Union (EU) initiierten Großevents mit Ver­tre­te­r:in­nen der syrischen Zivilgesellschaft, Mitgliedern der Übergangsregierung und internationalen Gästen erst zwei Tage vor Beginn.

Und auch die Spalier stehenden, schwarzgekleideten Sicherheitskräfte vor weißen Fassaden erinnerte beim Betreten des weitläufigen Konferenzgeländes eher an eine dystopische Filmkulisse.

Die anwesenden EU-Verteter:innen unterstrichen mehrfach, dass der syrische Übergangsprozess inklusiv gestaltet werden müsse.

Der Einladung der EU waren rund 500 Ver­tre­te­r:in­nen der Zivilgesellschaft aus der syrischen Diaspora und aus nahezu allen Landesteilen gefolgt. Bislang hatte dieser „Tag des Dialoges“ im Rahmen der seit 2017 jährlich durchgeführten Brüssel-Konferenz in Europa stattgefunden. Nun wurde er zum ersten Mal in Syrien ausgetragen.

Schon vor Beginn zeigte sich abermals die komplizierte Lage im Land: Eingeladene aus der südlichen Provinz Suweida sagten im Vorfeld geschlossen ihre Teilnahme ab. In einem gemeinsamen Statement erklärten mehrere Zivilorganisationen, dass ein echter Dialog nicht mit Ak­teu­r:in­nen stattfinden könne, die sich jüngst an „Tötungen, Vertreibungen und Verstößen“ beteiligt hätten. Gemeint war die Übergangsregierung, deren Sicherheitskräften laut Au­gen­zeu­g:­in­nen­be­rich­ten Gräueltaten an Zi­vi­lis­t:in­nen während der Gewalteskalation in Suweida im Juli verübt haben sollen.

In seiner Eröffnungsrede ging Außenminister Asaad al-Shaibani nicht auf diese Vorwürfe ein. Er lobte hingegen die Sanktionsaufhebungen der EU und erklärte, dass die Zivilgesellschaft eine „Brücke zwischen Staat und Gesellschaft“ bauen könne. Auch Sozial- und Arbeitsministerin Hind Kabawat beteuerte, dass der Wiederaufbau Syriens nur durch „eine enge Partnerschaft basierend auf gegenseitigen Respekt zwischen Staat und Gesellschaft“ erfolgen könne. Sie ist gegenwärtig die einzige Ministerin im Kabinett von Präsident Ahmad al-Scharaa.

Seitens der Regierung war der Ton des Tages damit gesetzt. Die anwesenden EU-Verteter:innen unterstrichen mehrfach, dass der syrische Übergangsprozess mit Blick auf die vielen religiösen und ethnischen Gruppen im Land inklusiv gestaltet werden müsse.

Teils hitzige Diskussionen

Die ersten kritischen Nachfragen aus dem Publikum folgten promt: Wann die Regierung selbst wieder den Dialog mit der Zivilgesellschaft suche, ohne Beteiligung Dritter, wollte ein Teilnehmer von Kabawat wissen. Im Februar hatte die Regierung zwar eine nationale Dialog-Konferenz einberufen. Viele Ak­ti­vis­t:in­nen und NGOs beklagten jedoch ihre kurze Dauer von einem Tag und fehlende Ergebnisse. Kabawat gab sich selbstkritisch, „bereits gestern“ hätte man daran anknüpfen müssen. Sie verwies entschuldigend auf die vielen Herausforderungen im Land.

Auch im weiteren Verlauf verliefen die Gespräche zu Themen wie politischer Partizipation, humanitärer Hilfe und dem Empowerment der syrischen Jugend teils hitzig. Vor allem beim Panel zu „Transitional Justice“ – also Maßnahmen zur Aufarbeitung der jahrzehntelangen Diktatur – war die Stimmung im Raum spürbar aufgeladen. Bis heute fehlt von vielen, die unter dem Regime des seit bald einem Jahr gestürzten Diktators Baschar al-Assad eingekerkert und verschleppt wurden, jede Spur. Je nach Schätzung sollen es mehrere Zehntausende bis mehr als 100.000 Menschen sein.

Im Mai hatte die Übergangsregierung eine nationale Kommission ins Leben gerufen, die das Schicksal der Vermissten aufklären soll. Eine zweite soll sich um die Aufarbeitung der Verbrechen während der Assad-Zeit kümmern.

Syrien

Die über 50-jährige Gewaltherrschaft der Assad-Familie ist seit 2024 Geschichte. Baschar al-Assad ist nach Russland geflüchtet, nachdem Rebellen das Regime gestürzt haben. Derzeit amtiert die Übergangsregierung von HTS-Führer al-Scharaa.

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Auf dem Panel anwesenden Ver­tre­te­r:in­nen dieser Kommission – Mohammed Reda Jalkhi und Yasmin Almashan, die zuletzt in Deutschland gelebt hatte – kamen angesichts vieler Nachfragen in Erklärungsnot: Wie weit zurück wolle man Verbrechen verfolgen – bis ins Jahr 1970, als der Vater des gestürzten Baschar al-Assad, Hafiz al-Assad, die Macht übernahm? Oder noch früher, mit Beginn der Baath-Diktatur in den 1960er Jahren? Welche Verbrechen gehörten dazu – etwa auch das Programm zur Arabisierung des Nordostens, mit dem ab den 1970er Jahren viele Kur­d:in­nen vertrieben wurden? Und welche Konfliktparteien stehen im Fokus – nur Assads-Schergen oder auch der selbsterklärte „Islamischen Staat“?

Almashan, die während des fast 14-jährigen Syrienkrieges selbst fünf ihrer sechs Brüder auf gewaltsame Weise verloren hat, versprach: Alle potenziellen Tä­te­r:in­nen seien gemeint. Jalkih kündigte zudem eine Onlineplattform im kommenden Jahr und die Errichtung von mehreren forensischen Zentren im Land an.

Simultanübersetzung auf Englisch, Kurdisch und Arabisch

Für emotionale Momente auf der Konferenz sorgten auch Wortbeiträge einiger kurdischen Teilnehmenden – auf Kurdisch mitten in Damaskus, was unter der Assad-Diktatur unmöglich gewesen wäre. Jeder Konferenzteil wurde simultan ins Englische, Arabische und Kurdische übersetzt.

Momentan stocken die Verhandlungen zwischen der Regierung in Damaskus und der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien. „Die Zivilgesellschaft ist in diesen Prozess nicht eingezogen, kann aber eine wichtige Rolle spielen, auf sozialer Ebene den Ausgang dieser Gespräche vorzubereiten“, sagte der kurdische Teilnehmende Bilind Mella der taz. Nach allem, was dem Land in den vergangenen Jahren widerfahren ist, sei es für Sy­re­r:in­nen nicht leicht, wieder zusammenzukommen, so Mella weiter. Begangenes Unrecht anzuerkennen, liege aber vor allem in der Verantwortung der Übergangsregierung.

Dass derartige Forderungen heute in Syrien überhaupt öffentlich formuliert werden können, ist bereits ein Fortschritt. Doch das auf der Konferenz vielfach geforderte Vertrauen zwischen Zivilgesellschaft und Staat muss sich in vielen Bereichen erst noch verdient werden. Das wurde bei der Konferenz abermals deutlich.

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