Debatte um Öffnung der CDU zur AfD: Wie man die Brandmauer schleift
Die Feuilletons von „Stern“, „FAZ“ und „SZ“ reden gerade mit frappierender Leichtigkeit einer Öffnung der Union zur AfD das Wort. Das ist gefährlich.
Boris Rhein, der hessische CDU-Ministerpräsident, hat jüngst öffentlich über Minderheitsregierungen nachgedacht. Angesichts der hohen Zustimmungswerte für die AfD würden diese wahrscheinlicher werden, sagte er Politico. Während Rhein eine Zusammenarbeit mit der AfD bislang ausschließt, liebäugeln manche in der CDU mit einer Öffnung zu der extrem rechten Partei. In den vergangenen Wochen bekamen sie publizistische Schützenhilfe – und zwar nicht von den üblichen Verdächtigen von Welt & Co.
„Die Brandmauer nützt nur der AfD“ – unter diesem Titel hat der Politikwissenschaftler Philipp Manow im Stern die Idee einer Minderheitsregierung ausgeführt, die sich wechselnde Mehrheiten sucht – also auch mithilfe der AfD. Jürgen Kaube hat in der FAZ, Claudius Seidl in der Süddeutschen nachgelegt. Die drei meinen, die Brandmauer müsse weg. Kaube nennt sie schlicht „Prinzipienreiterei“, die die Republik ruiniere. Keiner von ihnen aber buchstabiert wirklich durch, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Brandmauer fällt.
Was stimmt: Bislang hat die CDU kein Mittel gefunden, die AfD kleinzukriegen. Ignorieren oder konfrontieren, ihre Themen aufgreifen oder diese eher runterkochen, ein bisschen einbinden, ausgrenzen oder wegregieren, wie Friedrich Merz es eigentlich vorhatte, nichts hat bisher funktioniert.
Allerdings hat es den Versuch, die AfD konsequent auf allen Ebenen auszugrenzen, nie gegeben. Mit der Abgrenzung einerseits ging häufig eine rhetorische Annäherung einher, da zieht sich eine Linie von Horst Seehofers „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“ bis zur aktuellen Stadtbilddebatte von Merz.
Auch mal Sympathiebekundungen
Auch inhaltlich ist die Union nach rechts und damit näher an die AfD gerückt. In Kommunen und Ländern gab es immer wieder gemeinsame Abstimmungen, auch mal Sympathiebekundungen, Konsequenzen hatte das nie. Und dann waren da noch der Migrationsantrag im Bundestag, den die Union entgegen allen Versprechen gemeinsam mit der AfD durchbrachte, und erst kürzlich eine gemeinsame Abstimmung im Europäischen Parlament.
Für ein Verbotsverfahren, das ebenfalls ein mögliches Mittel der Bekämpfung wäre, fehlen bislang die Mehrheiten. Unterdessen ist die AfD weiter gewachsen, in Umfragen hat sie mit der Union gleichgezogen, manchmal liegt sie bereits auf Platz 1. Bei den Landtagswahlen im kommenden Jahr scheint in Sachsen-Anhalt sogar eine absolute Mehrheit möglich zu sein.
Natürlich hat die Brandmauer ihre Nachteile. Als ewige Opposition muss die AfD ihre Politik nicht unter Beweis stellen, keine Verantwortung übernehmen. Sie kann fordern, kritisieren und hetzen und die anderen Parteien vor sich hertreiben. Sie kann sich als Opfer der „Kartellparteien“ stilisieren. Auch dass immer breitere Bündnisse gebraucht werden, um eine Regierung gegen die AfD zu bilden, ist nicht gut. Parteien, die nicht viel eint, müssen sich zusammentun, schwierige Kompromisse bremsen nötige Innovationen, die Profile der Parteien verschwimmen. Das alles ist ein Problem. Aber noch deutlich besser, als die AfD in die Nähe der Macht zu lassen.
Nun negiert Manow, der den analytischsten der drei Texte geschrieben hat, nicht die Gefahr, die von einer Regierungsbeteiligung der AfD ausgeht. Deshalb schlägt er eine Minderheitsregierung als dritten Weg zwischen „einer AfD an der Macht und einer fern der Macht“ vor – ganz so, als könne man damit die Vorteile von beidem nutzen und die Nachteile einfach beiseite lassen. Nur: So ist es ja nicht.
Die AfD würde von der Zwischenlösung profitieren
Die CDU würde ihre ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit durch ein solches Machtspiel vollends verlieren, zahlreiche Mitglieder, auch prominente, verließen die Partei. Auch ist kaum vorstellbar, dass sich SPD und Grüne als Mehrheitsbeschaffer hergeben würden, wenn die Union gleichzeitig mit der AfD paktiert. Es widerspricht dem Selbstverständnis beider Parteien und würde sie noch weiter schwächen. Die AfD dagegen wäre wohl die, die von dieser Zwischenposition am meisten profitiert: Sie könnte Einfluss auf die Politik nehmen, aber sich weiter als Opposition gerieren, Verantwortung übernehmen müsste sie nicht. Die läge allein bei der Regierung. Schuld wäre also immer die CDU.
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat jüngst in einer lesenswerten Studie zum Umgang mit Rechtspopulisten in Europa genau auf dieses Problem hingewiesen, am Beispiel von Schweden: Die rechten Schwedendemokraten, die die konservativ-liberale Regierung tolerieren, zögen aus dieser Konstellation „das Beste aus beiden Rollen für sich heraus“. Schweden ist das Positivbeispiel, das Manow anführt, auch weil die Schwedendemokraten zuletzt ihre neonazistische Geschichte medienwirksam aufgearbeitet und sich zumindest nach außen gemäßigt haben.
Ob das trägt oder sie nicht letztlich doch Wölfe im Schafspelz bleiben, ist schwer zu sagen. Indizien für Letzteres gibt es durchaus: So ließ die Partei von Trollfabriken Desinformation verbreiten und Ängste schüren. Die Kampagnen richteten sich auch gegen die Regierungsparteien – trotz der vereinbarten Zusammenarbeit. An Zustimmung verloren haben die Schwedendemokraten durch die Tolerierung übrigens nicht.
Einer, der sich innerhalb der CDU für eine Öffnung in Richtung AfD ausspricht, ist der Historiker Andreas Rödder, der auch die Denkfabrik R21 betreibt. Regelmäßig wiederholt Rödder seine These, dass man mit jenen in der AfD, die sich klar von rechtsextremen Positionen und Personen abgrenzen, das Gespräch suchen müsse. So könne man den Spaltpilz in die AfD tragen. Das Ziel: Die Partei zu einer Entscheidung zu drängen, ob sie in die demokratische oder die extremistische Richtung will. Die Christdemokraten sollen also versuchen, den Spieß umzudrehen: Schließlich ist es bislang ja die AfD, die erklärtermaßen die CDU spalten und vernichten will.
Auch Seidl bezieht sich auf Rödder und führt über diesen ausgerechnet Alexander Gauland als möglichen Gesprächspartner an. „Mit Gauland könne man zivilisiert streiten, man könne mit ihm sogar zu Abend essen“, schreibt er. Bloß: Was sagt das denn aus? Auch belesene Menschen mit einer Leidenschaft für guten Rosé können Rechtsextremisten sein, selbst wenn sie früher mal in der CDU waren. Gauland hat sich als AfD-Chef schützend vor die besonders Radikalen gestellt und so dafür gesorgt, dass Höcke und Co die Partei schrittweise übernahmen. Die Richtungsentscheidungen, von der Rödder träumt, die gab es ja längst: Jedes Mal wurde die AfD radikaler.
Kein goldener Mittelweg
Die Idee, die Manow hier als goldenen Mittelweg anpreist, ist keiner. Im Gegenteil. Es wäre vor allem die AfD, die von der Unterstützung einer Minderheitsregierung profitiert: Sie würde weiter normalisiert und rückte näher an die Macht. Denn warum soll man mit einer Partei, mit der man temporär zusammenarbeitet, nicht irgendwann auch koalieren?
Silvio Berlusconi und seine Forza Italia sind ein Paradebeispiel dafür, wie man die Brandmauer schleift. Mitte der 1990er ging Berlusconi ein Bündnis sowohl mit Umberto Bossis Lega Nord, damals noch eine separatistische Regionalpartei, sowie mit den vermeintlich geläuterten Neofaschisten von der Alleanza Nationale ein. Seitdem ging es in Italien viel hin und her, die Macht aber hat sich von der Mitte immer stärker an den rechten Rand verschoben: Erst zu Matteo Salvini und der Lega, wie die Partei heute heißt, seit drei Jahren regiert Giorgia Meloni von der „post-faschistischen“ Fratelli d’Italia. „Die zentrale Lehre aus der Geschichte Italiens lautet dementsprechend, dass die Einbindung rechtsautoritärer Kräfte diese tendenziell stärkt und die Konservativen schwächt“, schreibt der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher, der die Entwicklung in Italien und anderswo analysiert hat.
Offensichtlich ist diese Entwicklung auch in Österreich. Dort ging die FPÖ zwar kurzzeitig geschwächt aus den Regierungsbeteiligungen mit der ÖVP hervor, hat sich langfristig aber zur stärksten Kraft im Land entwickelt, in Umfragen liegt sie weit vor der zweitplatzierten ÖVP. Anfang des Jahres hat es mit deren Hilfe der radikale FPÖ-Mann Kickl fast ins Kanzleramt geschafft. Und die Niederlande, wo Wilders’ PVV nach gerade mal elf Monaten die Koalition platzen ließ und bei der Wahl nun deutlich an Stimmen verlor? Noch ist offen, ob das mehr als ein Kurzeitdown für Wilders ist. Andere Rechtsaußenparteien haben bei der Wahl zugelegt und die Parteien des Mitte-rechts-Bündnisses, die mit Wilders koalierten, zum Teil stark verloren.
Was es dagegen nicht gibt: ein Beispiel dafür, dass eine Partei wie die CDU eine Zusammenarbeit mit einer radikal rechten Partei einging und langfristig als Sieger den Platz verließ.
Die KAS-Studie kommt zu dem Schluss, dass in maßgeblichen Fällen „eine ‚Zähmung‘ rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Parteien durch Kooperation nicht gelungen“ sei. Geschwächt wurden eher die Mitgliedsparteien der EVP. Die Studie blickt nicht nur präzise auf die Situation in den europäischen Ländern, sie unterteilt auch die rechten Parteien in verschiedene Kategorien. Bei der radikalsten rät sie von jeder Kooperation dringend ab. Mit dabei: die AfD.
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