Klage gegen Polizeipräsidenten: Polizei darf nicht vor AfD warnen
Oldenburgs Ex-Polizeipräsident Johann Kühme hatte in einem Interview vor der AfD gewarnt. Mit mancher Aussage verletzte er seine Neutralitätspflicht.
Die niedersächsische AfD hat am Montag vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg einen Sieg errungen: Der Klage gegen die Polizeidirektion Oldenburg hat das Gericht in Teilen stattgegeben. Es erklärte Äußerungen des früheren Oldenburger Polizeipräsidenten Johann Kühme über die AfD als in Teilen rechtswidrig. Kühme hatte in einem Interview mit der Nordwest-Zeitung (NWZ) im August 2023 vor der Partei gewarnt und aus Sicht des Gerichts damit seine Neutralitätspflicht verletzt.
Kühme hatte die AfD im Interview als „Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“ bezeichnet; sie täusche „die Bürger bewusst und perfide mit ihrem Lügenkonstrukt“, um „Unsicherheiten und Ängste in der Bevölkerung zu schüren“. Damit, so Kühme, stelle sich die AfD gegen die Arbeit der Polizei, weil diese die Verpflichtung habe, dass sich die Bürger sicher fühlen können.
Der AfD ist Kühme schon länger ein Dorn im Auge, weil er häufiger rassistische Aussagen von AfD-Politiker:innen kritisch kommentierte. So erklärte er etwa, er würde sich dafür schämen, ein Deutscher zu sein, wenn AfD-Politiker:innen Muslima als „Kopftuchmädchen“ titulieren oder die NS-Zeit als „Vogelschiss“ in der 1000-jährigen deutschen Geschichte bezeichnen. Den Kampf gegen Rechts bezeichnete Kühme schon einmal als sein „Lebensthema“.
Auf mehreren Wegen versuchte die AfD seither, gegen Kühmes Aussagen in der NWZ vorzugehen: Die Landtagsfraktion legte gegen den langjährigen Polizisten eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein, die Landespartei verklagte die Oldenburger Polizeidirektion, der Kühme bis zu seiner Pensionierung im Frühjahr 2024 vorstand. Sowohl Landespolitiker:innen der rot-grünen Koalition als auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen stellten sich anschließend hinter Kühme und seine Aussagen.
Polizeidirektion muss Aussagen öffentlich zurücknehmen
Das Verwaltungsgericht entschied zwar nach der mündlichen Verhandlung am Montagvormittag, dass ein Polizeipräsident „grundsätzlich berechtigt ist, im Rahmen seiner Aufgaben öffentliche Äußerungen sowohl zur inneren Sicherheit und zur Ermittlungstätigkeit der Polizei als auch zu Angriffen auf die freiheitliche demokratische Grundordnung abzugeben“ – allerdings gebe es dafür „vor allem bei Amtsträgern rechtliche Grenzen“.
Das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot habe Kühme im Interview mit der NWZ „nicht immer eingehalten“, so das Gericht. Die Polizeidirektion wurde deshalb vom Gericht dazu verpflichtet, innerhalb eines Monats die beanstandeten Aussagen von Kühme öffentlich zurückzunehmen.
Johann Kühme, früherer Oldenburger Polizeipräsident Oldenburg
Erwartungsgemäß ist der Jubel bei der zunehmend rechtsextrem auftretenden Niedersachsen-AfD nun groß – und die Reaktion auf das Urteil bewusst staatstragend. Stephan Bothe, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und innenpolitischer Sprecher der AfD, nannte Kühmes Äußerungen seinerzeit „unverschämt“. Nun zeigte er sich laut NDR mit dem Urteil „sehr zufrieden“. Es sei ein großer Erfolg, „weil die Neutralität der staatlichen Institutionen gestärkt wurde“.
Demgegenüber betont die beklagte Polizeidirektion Oldenburg, dass ja nur einige Passagen des Interviews beanstandet wurden. „Als Polizeidirektion Oldenburg fühlen wir uns durch das Urteil bestätigt, soweit wir obsiegt haben“, erklärte nach dem Urteil der jetzige Oldenburger Polizeipräsident Andreas Sagehorn. „Im Übrigen nehmen wir das Urteil zur Kenntnis und respektieren natürlich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts.“
Gewerkschaft der Polizei stellt sich hinter Kühme
Weil die beklagte Polizeidirektion aber die mündliche Begründung des Gerichts nicht in jedem Punkt nachvollziehen könne, wolle sie jetzt die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, mit der auch erst klar werde, welche konkreten Aussageteile beanstandet wurden. Die werde die Polizei, so Sagehorn, „gewissenhaft prüfen und danach entscheiden, ob wir Berufung gegen das Urteil einlegen werden“. Dann müsste das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entscheiden.
Auch die GdP Niedersachsen stellte am Montag heraus, dass das Urteil „keinen Freifahrtschein für die AfD bedeutet“, so der GdP-Landesvorsitzende Kevin Komolka. „Teilaspekte einer einzelnen Entscheidung relativieren nicht die dringende Notwendigkeit, dass sich die Polizei gegen extremistische Bestrebungen positionieren muss und belegen auch nicht, dass die AfD sicherheitspolitisch harmlos ist.“
Der Deutschen Presse-Agentur sagte Kühme am Montag nach dem Urteil: „Ich stehe zu meinen Äußerungen.“
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