Fortführung der Irini-Mission der EU: Das dysfunktionale Embargo
Die Mission soll das Waffenembargo gegen Libyen überwachen und Marinesoldaten zur Unterbindung der Migration ausbilden. Die Erfolge sind bescheiden.
Schon der Name der Mission, deren Fortführung der Bundestag am vergangenen Freitag beschlossen hat, ist beeindruckend: Irini, das griechische Wort für Frieden. So nennt die Europäische Union ihre Überwachungsmission auf dem Mittelmeer, die seit März 2020 die Einhaltung des seit 2011 geltenden Waffenembargos gegen Libyen sicherstellen soll.
Libyen ist seit etwa 2014 politisch gespalten, nachdem mit dem Sturz Muammar al-Gaddafis 2011 ein Machtvakuum entstanden war und mehrere rivalisierende Milizen und Regierungen um die Kontrolle rangen. Die beiden Hauptfraktionen sind einerseits die von der UN anerkannte Regierung im Westen mit Unterstützung vor allem von der Türkei und Qatar. Auf der anderen Seite steht die östliche Libyan National Army unter General Khalifa Haftar, gestützt von Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten.
Die EU-Irini-Mission, an der auch deutsche Soldaten beteiligt sind, ist ein Resultat eines der größten deutschen außenpolitischen Projekte der vergangenen Jahre. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am 19. Januar 2020 zur Berliner Libyen-Konferenz geladen. Ziel war die Beendigung des Bürgerkriegs und die Stabilisierung des Landes, aus dem bis heute Waffen in die Konfliktländer Sudan, Mali und Niger fließen, wo dschihadistische Gruppen immer größere Gebiete erobern.
Russlands Präsident Putin, der türkische Präsident Erdoğan, Regierungsvertreter zehn weiterer Länder und beide Kriegsparteien Libyens waren geladen. Man versprach einhellig, den Friedensprozess in dem öl-und gasreichen Libyen zu unterstützen – ergo keine Waffen und Gelder mehr an lokale Milizen zu liefern, die ihnen dafür Zugang zu Gold, Öl und anderen Bodenschätzen sicherten.
Irini-Neuauflage beginnt am 1. Dezember
Im Rahmen der nun am 1. Dezember beginnenden Neuauflage der Mission sollen nicht nur Waffenlieferungen an die verfeindeten Machthaber in Ost-und Westlibyen verhindert, sondern auch wieder libysche Marinesoldaten ausgebildet werden. Deren Patrouillenboote waren in den vergangenen Jahren aus Italien geliefert worden.
Die täglichen Einsätze der libyschen Küstenwachen zeigen, wofür Irini ebenfalls geschaffen wurde: um die Migration über das Mittelmeer zu begrenzen. Entlang der 2.000 Kilometer langen libyschen Küste stoppen Marinesoldaten mittlerweile fast alle Migrantenboote, die aus den Städten Zuwara, Tripolis oder bei Bengasi in Richtung Italien ablegen.
Die Irini-Mission schien wie die logische Ergänzung des in Berlin neu gestarteten Demokratisierungsprozesses, der 2014 mit Haftars Angriff die libysche Hauptstadt brutal gestoppt worden war. Doch kaum waren die Staatsoberhäupter 2020 aus Berlin abgereist und die ersten Irini-Patrouillenboote auf dem Mittelmeer im Einsatz, stieg die Zahl der Waffenlieferungen nach Libyen zur Verwunderung vieler Beobachter dramatisch an.
Zwar zählen deutsche Marinesoldaten im Mittelmeer seit Beginn der Mission die über ihre Köpfe hinwegfliegenden Transportflugzeuge, die zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und den ostlibyschen Luftwaffenbasen Al Kadim und al Kufra pendeln. Trotzdem berichten Journalisten aus al Kufra von regelmäßigen Nachschubkonvois, die vom Flughafen der Stadt in das Herrschaftsgebiet der mit Haftar verbündeten RSF-Miliz im Sudan aufbrechen.
Waffen gegen Gold
Über 600 Militärmaschinen mit Waffen und Ausrüstung haben die Machthaber in Abu Dhabi laut Menschenrechtsorganisationen in diesem und dem vorigen Jahr nach Südlibyen geschickt. Der Anführer der sudanesischen RSF-Miliz Hemedti und General Haftar profitieren beide von der Allianz mit dem Golfemirat. Durch sein Engagement in Libyen und dem Sudan ist Abu Dhabi zu einem der weltweit wichtigsten Umschlagplätze für Gold geworden ist, das aus Sudan stammt.
Per Schiff gelieferte russische Waffen haben außerdem aus der von ausländischen Söldnern abhängigen Milizenallianz Haftars innerhalb von weniger Jahre eine schlagkräftige Truppe gemacht. Die nun wierderum für die EU die Migration über das Mittelmeer begrenzt. Haftars aufgerüstete Armee kontrolliert die östliche Cyrenaika-Provinz und den gesamten Süden Libyens. Regelmäßig empfängt der 82-Jährige Diplomaten aus der EU, die ihn als Partner im Kampf gegen die Schmuggler gewinnen wollen.
Auch auf westlybischer Seite kommen nach wie vor Waffen und Ausrüstung an. Viele der Toyota-Pick-ups und gepanzerten Mannschaftstransporter der Milizen in Misrata, Tripolis und anderen westlibyschen Städten sind brandneu.
„Libyen ist eine Drehscheibe für Waffen, Drogen und Bodenschätze der Region“, sagt Jamal Alaweeb der taz. Er ist Kommandeur einer regierungsnahen westlibyschen Armeeeinheit aus der Hafenstadt Misrata. „Irini-Schiffe haben keine Waffenlieferungen an uns verhindert, weil wir strategische Partner europäischer Länder im Kampf gegen den Islamischen Staat waren.“
Waffenlieferungen nach Libyen tatsächlich zu entdecken und stoppen ist für die Irini-Patroullien schon durch die Zahl der Schiffe, die auf dem Abschnitt der Handelsroute zwischen dem Suez-Kanal und Gibraltar verkehren, schwierig.
Im August wurde ein Frachtschiff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit für Haftars Armee bestimmten Mannschaftstransportern von einem griechischen Marineschiff nach Misrata umgeleitet. Zuvor hatte Haftar offenbar Dutzende Boote mit Migranten nach Kreta durchfahren lassen – als Druckmittel, um libysch-türkische Offshore-Bohrungen in einem umstrittenen Seegebiet bei Kreta durchzusetzen.
„Daraufhin haben die Griechen das Schiff mit Waffen zu uns, den Gegnern Haftars umgeleitet“, lacht Jamal Alaweeb. Diese Aktion war einer der wenigen Momente, in denen Irini-Soldaten nicht weggeschaut haben.
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