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WeltklimakonferenzCOP der Halbwahrheiten

Viele Player inszenieren die COP als „COP der Wahrheit“. Aber sie enthält genauso viele aufgehübschte Aussagen wie jede Klimakonferenz davor.

COP der Wahrheit? So sieht es zumindest Brasiliens Präsident Lula da Silva Foto: Adriano Machado/reuters

COP30 werde die COP der Wahrheit, sagte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in seiner Eröffnungsrede. Später sagte selbiges der Präsident der COP, André Corrêa do Lago. Dann auch die EU. Konkret geht es in dieser Ansage darum, Falsch- und Desinformationen zum Klimawandel zu bekämpfen, die insbesondere in der letzten Zeit rasant zugenommen haben. Um das zu untermauern, stellte die Globale Initiative für Informationsintegrität beim Klimawandel – eine Partnerschaft zwischen der brasilianischen Regierung, den Vereinten Nationen und der UNESCO – am Mittwoch der ersten Verhandlungswoche in Belém ihre Erklärung zur Informationsintegrität beim Klimawandel vor.

Aber nehmen wir sie doch mal beim Wort: Welche Wahrheit meinen sie? Kann das hier wirklich die COP der Wahrheit sein?

Eine Wahrheit ist, dass 900 Indigene für die Konferenz akkreditiert sind, wenn man der CEO der Konferenz Ana Toni glaubt – so viele wie nie zuvor. Durch ihre unermüdlichen Proteste insbesondere am Samstag in Belém und auf dem Konferenzgelände haben sie sogar am Dienstag eine bahnbrechende Zusage zu zehn neuen indigenen Schutzgebieten bei der brasilianischen Regierung erreicht. Diese sollen sich über sieben Staaten erstrecken und Menschen von zahlreichen indigenen Gemeinschaften zugute kommen.

Eine andere Wahrheit ist aber auch, dass 1.600 Lob­by­is­t:in­nen an der COP30 teilnehmen. Damit ist auch die Dichte an fossilen Lob­by­is­t:in­nen so hoch wie nie zuvor. Einer von 25 Konferenzteilnehmenden lobbyiert auf der COP für ein fossiles Unternehmen. Ein erheblicher Anteil unter ihnen hat über Party Overflow Pässe, sprich über Delegationen, Zugang zu den Verhandlungen.

Fast 40 Prozent der Pläne fehlen

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Toni ist Nationalsekretärin für Klimawandel im brasilianischen Umweltministerium. Auf Social Media feierte sie zum Auftakt der COP die 106 nationalen Klimapläne (NDCs), die zu dem Zeitpunkt von Ländern eingereicht wurden. An Tag neun der COP ist die Zahl der eingereichten NDCs auf 118 geklettert, aber damit fehlen weiterhin 79, also fast 40 Prozent der insgesamt 197 erwarteten Pläne.

Um dem im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziel gerecht zu werden, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten globale Emissionen 2025 ihren Höchststand erreichen und bis 2030 um 42 Prozent reduziert werden. Die aktuell eingereichten NDCs ermöglichen eine Reduktion der zu erwartenden Emissionen um gerade mal 3,4 Gigatonnen. Um eine Erwärmung von 2 Grad zu erreichen, müssten die Länder auf der COP also eine Lücke von 16,8 Gigatonnen CO2-Äquivalenten schließen. Für das Einhalten von 1,5 Grad wären es 27,8 Gigatonnen.

Dass das unrealistisch ist, sagte Brasiliens Präsident Lula selbst in seiner Eröffnungsrede der COP letzten Montag. Mit dem aktuellen Tempo der globalen Klimaschutzanstrengungen steuere man weiterhin auf einen globalen Temperaturanstieg jenseits der 1,5 Grad zu.

Als die führenden Gesichter dieses Events – Ana Toni, André Corrêa do Lago und Lula da Silva – der COP den Beinamen COP der Wahrheit gaben, war das überambitioniert. Diese COP enthält genauso viele Halbwahrheiten und rhetorisch aufgehübschte Aussagen wie vermutlich jede davor. Toni, do Lago und Lula also nun zu unterstellen, besonders unehrlich zu sein, wäre sicher falsch. Aber sie hätten vermutlich wissen müssen, dass man sich mit diesen Worten angreifbar machen würde.

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