Sabotageakte in Polen: Sprengsätze und Stahlklemme
An einer Bahnstrecke, die für Transporte in die Ukraine wichtig ist, explodieren Bomben. Laut Warschau hätten russische Geheimdienste die Taten beauftragt.
In Polen sollte es zu zwei Zugkatastrophen kommen. Mögliche Todesopfer nahmen die Täter in Kauf. An der Bahnstrecke zwischen Warschau und der südpolnischen Stadt Lublin explodierte vor wenigen Tagen eine Sprengladung. Weitere Bomben scheinen nicht gezündet zu haben.
Mehrere Züge konnten sogar noch über die beschädigten Gleise fahren, bis einem Lokführer auffiel, dass das Fahrgeräusch an dieser Stelle ein anderes war, und er die Bahnzentrale informierte. Auf dieser Strecke fahren oft Transportzüge mit Militär- und Hilfsgütern aus den USA und Europa in die Ukraine.
An derselben Strecke steckte bei Pulawy, ebenfalls in der Nähe der südpolnischen Stadt Lublin gelegen, eine Stahlklemme zwischen den Gleisen. Sie sollte den nächsten Zug zum Entgleisen bringen, wie Premier Donald Tusk am Dienstag das Parlament in Warschau informierte. Doch der Lokführer konnte den Zug rechtzeitig zum Stehen bringen. Neben dem Gleis mit der Stahlklemme war ein Smartphone mit Powerbank angebracht, das das Geschehen aufzeichnen sollte.
Polens Geheimdienst konnte bereits zwei Verdächtige identifizieren. Es handelt sich um ukrainische Staatsbürger, die – so Tusk – „seit langem mit russischen Diensten zusammenarbeiten“. Die beiden mutmaßlichen Täter konnten sich direkt nach dem Anbringen der Bomben und der Stahlsperre nach Belarus absetzen.
Viele Unklarheiten
Der eine Mann sei im Mai dieses Jahres von einem Gericht im westukrainischen Lwiw wegen „Sabotageakten“ verurteilt worden, erklärte Tusk nach der Sondersitzung der Regierung im Sejm. Der zweite Verdächtige sei ein Bewohner des russisch kontrollierten Donbass im Osten der Ukraine. Wie es ihnen gelingen konnte, zunächst über die ukrainisch-belarussische Grenze und dann über die belarussisch-polnische Grenze nach Polen einzureisen, ist bislang nicht geklärt.
Ebenso unklar ist, warum der bereits wegen Sabotage Verurteilte auf freiem Fuß war. Den polnischen Behörden seien die Namen der mutmaßlichen Täter bekannt, informierte Tusk. Um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden, sollen sie der Öffentlichkeit aber erst zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt werden.
Der Kreml reagierte sofort auf die Rede von Tusk. „Russland wird für alle Formen hybrider oder direkter Kriegsführung verantwortlich gemacht“, klagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. In Polen, wo die „Russenfeindlichkeit in ihrer ganzen Pracht“ gedeihe, sei dies ganz besonders ausgeprägt. „Es wäre seltsam, wenn nicht direkt Russland beschuldigt werden würde“, sagte er, wies die Anschuldigungen aber nicht ausdrücklich zurück.
Viele Polen sorgen sich inzwischen, dass Zugfahrten nicht mehr sicher sind. General Marek Dukaczewski, der ehemalige Chef des polnischen Militärabwehrdienstes, erklärte am Dienstagabend im öffentlich-rechtlichen Sender TVP-Info, dass genau dieses Schüren von Angst zu den Zielen der russischen Sabotageakte gehöre. Allein im Oktober seien acht Verdächtige festgenommen worden.
Brände als Sabotageakte
Die Anschläge der letzten Tage seien keineswegs die ersten, so General Dukaczewski. Vielmehr werde Polen seit vielen Jahren von Katastrophen heimgesucht, die sich später oft als Sabotageakte erwiesen hätten, die der Kreml in Auftrag gegeben habe.
Zunächst waren dies vor allem Brände. Im Mai 2024 brannte das Handelszentrum Marywilska in Warschau mit 1.400 Verkaufsstellen zu 90 Prozent aus. Die Ermittlungen dauerten ein ganzes Jahr. Danach war sicher, dass es sich auch hier um einen Sabotageakt im Auftrag Moskaus gehandelt hatte.
Auch dass unter den Verdächtigen häufig Ukrainer seien, gehöre zur Strategie des Kremls, so Dulaszewski. Meist seien das Gelegenheitstäter, die für wenig Geld angeheuert würden und – ganz im Sinne des Kremls – auffliegen sollen, um in Polen für eine antiukrainische Stimmung zu sorgen.
Für die Bahn-Versorgungsstrecken in die Ukraine hat Polens Regierung nun die Terror-Gefahrenstufe „Charlie“ bis zum 28. Februar 2026 ausgerufen. Doch wie sicher die anderen Strecken im Lande sind, kann zurzeit niemand sagen. Zwar werden alle Strecken rund um die Uhr überwacht, aber anscheinend konnten die Täter in den letzten Tagen sowohl die Bomben als auch die Stahlklemme unbemerkt anbringen.
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