Akzeptanz von Erneuerbaren: Windenergie-Geld kommt nicht bei Gemeinden an
In Brandenburg werden Gemeinden an den Einnahmen umliegender Windparks beteiligt, um die Akzeptanz zu verbessern. Doch bei der Umsetzung hakt es.
Wer einen Brandenburger Bürgermeister erleben will, der sich über neue Windanlagen freut, muss zu Jens Hinze nach Mühlenfließ fahren. Die 950-Einwohner-Gemeinde im Südwesten des Bundeslandes ist einer der Spitzenreiter bei den Einnahmen aus benachbarten Windparks. Insgesamt 250.000 Euro flossen ihr 2024 zu. Grundlage: ein Landes- und ein Bundesgesetz, die Betreiber verpflichten, anliegende Gemeinden zu beteiligen.
53 Windräder drehen sich bei Mühlenfließ. Werden die älteren durch neuere Anlagen der 7MW-Klasse ersetzt, könnten sich die Einnahmen sogar verdrei- oder vierfachen. Hinze ist überzeugt, dass die Energiewende für Dörfer auch eine Chance sein kann. „Jetzt müssten die Strompreise nur noch dort am günstigsten sein, wo sie produziert werden.“
In Vorträgen erklärt er anderen Gemeinden, wie sie profitieren können. In Mühlenfließ haben sie mit dem Geld ihr Gemeindehaus renoviert, Bäume gepflanzt und Spielplätze erneuert. Im Wald gibt es nun einen Löschbrunnen für die Feuerwehr. Die Stimmung habe sich verbessert, sagt Hinze, das Verhältnis zu den Windanlagenbetreibern sei gut.
Das Brandenburger Windenergieanlagenabgabengesetz ist von 2019. Mit 10.000 Euro pro neu errichtetem Windrad und Jahr sollen die Anwohner die erneuerbaren Energien in der Nachbarschaft schätzen lernen. 2023 ergänzte der Bund diese Möglichkeit durch eine Regelung, die auch für Altanlagen gilt, den Paragraf 6 EEG.
Kein Überblick, keine Kontrolle
Einen Überblick darüber, was die Regeln dem Land insgesamt gebracht haben, gibt es nicht. Weder die Landesregierung noch das Amt für Statistik können sagen, wie viel Geld wirklich vor Ort ankommt. Dabei sieht das Landesgesetz für Verstöße Strafen von bis zu 100.000 Euro pro Windrad vor. Das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz erklärt, dass es seit 2019 noch kein Bußgeld verhängt habe. Es habe aber auch keine Kontrollen gegeben, man würde nur aktiv, wenn Gemeinden Probleme meldeten.
Eva Eichenauer, Politikberaterin
Auf die schriftliche Anfrage bei allen Gemeinden, Städten und Ämtern Brandenburgs nach ihren Einnahmen aus dem Gesetz und der Bundesregelung seit 2020 schicken 160 ihre Datensätze. Andere Verwaltungen wie das Amt Gartz oder das Amt Putzlitz-Berge verweigern die Einsicht, obwohl die Behörden nach §4 Landespressegesetz auskunftspflichtig sind.
Dennoch ergibt sich ein klares Bild: Die Einnahmen nach dem Bundesgesetz sind zwischen 2023 und 2024 von 1,3 auf 4,7 Millionen Euro gestiegen. Aber nur 80 Prozent des Geldes, das den Gemeinden, die auf die Anfrage geantwortet haben, für 2020 bis 2024 zustand, ist bis Oktober 2025 auch angekommen. Hochgerechnet auf alle wäre das ein Schaden im Millionenbereich.
Überforderung von ehrenamtlichen Strukturen
Teilweise ist das vor Ort gar nicht klar. Der Amtsdirektor der Region Seelow-Land, Steffen Lübbe, bestätigt, dass drei Viertel der ihm zustehenden Einnahmen nicht eingegangen sind. „Die Sache mit den Zahlungen ist richtig“, sagt Lübbe. „Das ist uns jetzt auch aufgefallen.“ Er wolle mit den „Betreibern ins Gespräch“ gehen und bedanke sich für die Recherche.
In den Verwaltungsbereich Seelow-Land fällt auch das Dorf Lietzen. Einwohner und Gemeindevertreter zeigen, wo sich die Windräder auf den Feldern drehen. Eigentlich müsste das hier die Haupteinnahmequelle des Dorfes aus dem Windabgabegesetz sein. Doch statt 35.000 Euro kamen nur 2.700 Euro an. Dabei muss die Gemeinde momentan jeden Cent sparen, um nicht in die Haushaltssicherung zu fallen.
Bei der testweisen Konfrontation von vier Windanlagen-Betreibern mit der Recherche geben zwei zu, sie hätten nicht gezahlt – unabsichtlich. Ein Versehen, das die betroffenen Gemeinden 85.000 Euro gekostet hat, die nun nachgezahlt werden. Ein Betreiber antwortet, er zahle.
Unwillige Betreiber
Der Geschäftsführer des vierten sagt nach einigem Hin und Her zu der Aufrechnung, dass er den Gemeinden um seinen Windpark in der Nähe von Lietzen 120.000 Euro hätte zahlen müssen: Er unterstütze bereits Vereine in der Region. Die Verwaltung sei schuld, weil sie noch keine Bescheide verschickt habe. Er habe nicht gezahlt, werde sich seiner Pflicht aber auch nicht verweigern.
Die Lietzener finden das alles hochgradig unanständig. „Was uns zusteht, müssen wir kriegen“, sagt ein Mann bei der Besichtigung der Anlagen. Der Windkraftbetreiber wisse genau, dass die lokalen Strukturen entweder ehrenamtlich oder überlastet seien, ergänzt eine Frau.
Die Expertin Eva Eichenauer von der Fachagentur Wind und Solar berät Politik und Kommunen. „Geld ist nicht alles, aber es kann Teil der Lösung sein“, sagt sie. Leuten, die sehr stark gegen Wind- und Solarprojekte sind, werde auch eine finanzielle Beteiligung nicht weiterhelfen. „Viele Leute haben aber gar keine richtige Haltung. Bei denen kann Geld die Stimmung positiv beeinflussen.“
Die Recherche erstaunt Eichenauer. Für sie liegt die Lösung allerdings nah: Sie argumentiert für mehr Transparenz. Am Mittwoch wollte der Landtag in Potsdam ein neues Erneuerbare-Energien-Sonderabgabegesetz abstimmen. Eine ursprünglich geplante Transparenzpflicht, die für Überblick und bessere Kontrolle sorgen sollte, war allerdings im letzten Entwurf wieder gestrichen worden – „Bürokratieabbau“. Das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der gemeinnützigen Umwelt-Förderorganisation Olin gGmbH.
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