Korruption in der Ukraine: Der Skandal weitet sich aus
Im Zusammenhang mit der Korruptionsaffäre in der Ukraine tauchen weitere Namen auf. Auch der Leiter des Präsidialamtes soll mitgemischt haben.
Der Korruptionsskandal in der Ukraine weitet sich aus. Am Dienstag wurde Olexi Tschernyschow, ehemaliger stellvertretender Regierungschef, festgenommen. Ob er wirklich in Untersuchungshaft geht, bleibt abzuwarten. Beobachter gehen davon aus, dass er die auf eine Million Euro angesetzte Kaution bezahlen wird.
Am Mittwoch entließ das ukrainische Parlament Justizminister Herman Haluschtschenko und Energieministerin Switlana Grintschuk. Beide waren von der Regierungschefin Julia Swyrydenko vom Dienst suspendiert worden. Zuvor war bekannt geworden, dass auch sie in die Korruptionsaffäre um den Geschäftsmann Timur Minditsch verwickelt sind.
Neben Haluschtschenko und Grintschuk müssen auch noch weitere hochrangige Personen mit ihrer Entlassung, Hausdurchsuchungen und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Der Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak von der Oppositionspartei „Holos“ fordert die sofortige Entlassung von Andrij Jermak.
Schelesnjak macht den Leiter des Präsidialamtes für mutmaßliche Korruptionsvorgänge verantwortlich, die im Zusammenhang mit der Minditsch-Affäre öffentlich wurden. Auch Jermaks Name, so Schelesnjak, soll in den Unterlagen des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) unter einem Codenamen auftauchen.
Weitere Rücktrittforderungen
Gegenüber dem ukrainischen Dienst von Radio Swoboda, den der US-Kongress zum größten Teil finanziert, erklärte Fedir Venislavskyi, Abgeordneter der Regierungspartei „Diener des Volkes“, dass auch in der Regierungsfraktion über Rücktrittsforderungen an Jermak diskutiert werde. Auch er befürworte diesen Schritt.
Am Mittwoch durchsuchte das NABU die Räumlichkeiten des Sicherheitschefs des staatlichen Energieunternehmens Naftogaz, Vitalij Browko. Er ist ein guter Bekannter des verhafteten Ex-Premierministers Olexi Tschernyschow.
Das NABU wird sich auch weiter bemühen, des Hauptverdächtigen Timur Minditsch, der nach Israel geflohen ist, habhaft zu werden. Gegenüber Radio Svoboda erklärte dessen Direktor Semen Kriwonos, man arbeite an einem Auslieferungsgesuch und der Erstellung eines internationalen Interpol-Haftbefehls.
Dem Einwand der Interviewerin, Israel liefere keine Staatsbürger aus, widersprach Kriwonos. Es habe Fälle von Auslieferungen israelischer Staatsbürger aus Israel gegeben. Im Interview betonte Kriwonos auch die Wichtigkeit der Proteste vom Sommer. Vor allem sie hatten ein Gesetz verhindert, das der Antikorruptionsbehörde NABU ihre Unabhängigkeit genommen hätte. Wäre der Gesetzentwurf verabschiedet worden, wäre der jüngste Korruptionsfall nicht bekannt geworden, so Kriwonos.
Lediglich ein Sündenbock
Der Oligarch Ihor Kolomoiskyj, der dem damaligen Schauspieler Wolodymyr Selenskyj in seinem Fernsehkanal 1+1 landesweite Berühmtheit verschafft hatte, glaubt nicht, dass Minditsch der eigentliche Kopf dieser Gruppe ist. Er sei der „Sündenbock“ und habe nicht das Zeug zu einem Mafia-Boss.
Unterdessen macht sich im Lager der Selenskyj-Partei „Diener des Volkes“ Unmut breit. Am Mittwoch Nachmittag hat ein Teil der Fraktion zur Bildung einer neuen „Koalition der nationalen Widerstandsfähigkeit“ im ukrainischen Parlament sowie zur Einrichtung einer „Regierung der nationalen Widerstandsfähigkeit ohne Parteiquoten und Hinterzimmerabsprachen“ aufgerufen.
Dies geht aus einer Erklärung von Abgeordneten der Fraktion hervor, die von dem Abgeordneten Mykyta Poturajew veröffentlicht wurde. In der Erklärung betonen die Abgeordneten, dass sie sich der erheblichen Gefahr für die Existenz des ukrainischen Staates bewusst seien, die sich aus der Aufdeckung umfassender Korruptionsmachenschaften auf den höchsten Ebenen der Staatsverwaltung ergebe. Zudem schwinde das Vertrauen in zentrale staatliche Institutionen.
Sofort nach Bekanntwerden der Erklärung bemühte sich der Vorsitzende der Fraktion, Dawyd Arachamija, um Schadensbegrenzung. Diese Erklärung sei nicht die Position der ganzen Fraktion.
Andere Ukraine
Noch ist nicht klar, ob es noch weitere Enthüllungen geben wird. Doch ein Ergebnis steht jetzt schon fest: das Machtverhältnis zwischen Parlament und Präsident hat sich zugunsten des Parlamentes verschoben. Wenn Präsident Selenskyj am morgigen Donnerstag nach einer mehrtägigen Auslandsreise in Kyjiw eintreffe, werde er eine andere Ukraine vorfinden, analysiert der ukrainische Dienst von BBC.
Unterdessen gehen die russischen Angriffe auf die Ukraine unvermindert weiter. In der Nacht zum 19. November griff Russland mehrere Regionen der Ukraine mit Drohnen und Raketen an. In Charkiw wurden über 30 Menschen verletzt, darunter auch Kinder. 50 Bewohner mussten evakuiert werden.
In Lwiw brannten ein Energieobjekt sowie Lager- und Produktionshallen. In Ternopil wurden zwei Wohnhäuser getroffen. Dabei kamen 25 Menschen ums Lebend, darunter auch drei Kinder.
Die gazeta.ru berichtet unterdessen unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium von einem ukrainischen Angriff mit amerikanischen ATACMS-Raketen auf die Region Woronesch. Dabei seien Trümmerteile von abgeschossenen Raketen auf die Dächer eines regionalen Gerontologiezentrums sowie eines Kinderheims gefallen. Berichte über Opfer lagen nicht vor.
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