Die Grünen vor ihrem Parteitag: Einfach mal Stress machen?
Die Grünen überlegen, wie sie nach der Ära Habeck wieder nach vorne kommen. Einige wollen weniger Brücken bauen, sondern auch mal polarisieren.
Dass die Grünen vor einem Problem stehen, lässt sich an einem Novembernachmittag im Bundestag begutachten. Auf Antrag ihrer Fraktion diskutiert das Parlament über die Klimakrise. Ungünstigerweise findet die Debatte aber ganz am Ende der Sitzungswoche statt. Viele Abgeordnete sind schon auf dem Rückweg in die Wahlkreise, die meisten Sitze im Plenum bleiben leer, und auf der Pressetribüne sind noch weniger Plätze belegt: Ein Fotograf ist da und ein taz-Reporter, Letzterer aber auch nur, um hinterher beschreiben zu können, dass nichts los ist.
75 Minuten dauert die Debatte. Die Grünen machen ihren Job und kritisieren, dass die Regierung zu wenig fürs Klima unternehme. Eine Rednerin der SPD wirft ihnen deshalb vor, die Menschen „weiter zu spalten“. Eine Rednerin der CDU bittet sie, weniger destruktiv zu sein, und die AfD erzählt von der grünen Klimasekte, die den Untergebenen Askese vorschreibe und selbst in Privatjets und auf Luxusschiffen um die Welt reise.
So ist die Lage für die Grünen, kurz vor ihrem ersten Parteitag nach der verlorenen Bundestagswahl: Weiterhin erweckt ihr Kernthema, das Klima, in der Öffentlichkeit kein großes Interesse mehr. Und rutscht es zwischendurch doch mal wieder auf die Agenda, hagelt von allen Seiten Kritik auf sie ein.
Aber es ist nicht alles schlecht. Die Grünen sind in Umfragen seit der Wahl nicht noch weiter abgesackt und haben sich auch nicht in Machtkämpfen zerlegt. Beides war in der Parteigeschichte schon mal anders. Im Bundestag haben sie schnell umgeschaltet, liefern professionelle Oppositionsarbeit ab.
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Nur Spuren von Konfliktfähigkeit
Gleichzeitig schreitet die Klimakrise voran. Nebenbei geht es international mit den liberalen Demokratien bergab und auch keine der übrigen demokratischen Parteien hat dem genug entgegenzusetzen. So gesehen bräuchte es von den Grünen mehr als eine ordentliche Performance. Aber wo ist die zündende Idee dafür, wie es ihnen gelingen kann, nach dem Ende der Ära Habeck wieder außergewöhnlichen Zuspruch zu gewinnen?
Robert Habecks Strategie bestand im Brückenbauen: auf den politischen Gegner zugehen, neue Bündnisse schaffen, die Grünen an einen abstrakten Ort namens „Mitte der Gesellschaft“ führen. Über Jahre hinweg trug diese Methode die Partei. Am Ende funktionierte sie aber nicht mehr, zumindest nicht mehr auf Habecks Tour. In seinem Abschieds-Interview gestand er im Sommer ein: „Da muss ein neuer Ansatz gefunden werden.“ Den Übriggebliebenen gab er dafür fast schon einen Freifahrtschein, indem er Markus Söder des „fetischhaften Wurstgefresses“ bezichtigte. Krachender lässt sich eine Brücke kaum abreißen.
Ein Teil der Partei macht sich nichts daraus und möchte den Weg trotzdem weitergehen. Man kann das an Grünen festmachen, die in Baden-Württemberg Ministerpräsident sind oder es noch werden wollen. In Stuttgart spricht man weiterhin bevorzugt vom Kompromiss, der Mitte und dem Verbindenden. Von dort aus betrachtet war nicht falsch, dass Habeck Brücken baute. Er hat schlicht nicht genügend Brücken gebaut, als Wirtschaftsminister zu viel gewollt und die Leute verschreckt.
Es hat sich in den letzten Monaten aber auch eine neue Idee formiert. Erste Grundzüge davon hatte Ricarda Lang – bei den Grünen „elder stateswoman“ und Hoffnungsträgerin in einem – schon kurz nach der Wahlniederlage formuliert. Die Partei müsste „konfliktfähiger“ werden, sagte sie damals. Wer genau hinschaut, kann mittlerweile Spuren dieser Konfliktfähigkeit beobachten. Manchmal spitzen Grüne ihre Positionen jetzt stärker zu, benennen Gegenspieler, gehen in den Angriff. Nicht immer Brücken bauen, sondern gelegentlich das Gegenteil machen: gezielt polarisieren, könnte man sagen.
Die Grünen polarisieren schon, aber meist unfreiwillig
Klingt irritierend. Schließlich ist Polarisierung als Begriff negativ besetzt. Man kann aber auch argumentieren wie der Soziologe Nils Kumkar in einem aktuellen Essay. Seine 240 Seiten verkürzt auf anderthalb Absätze: Polarisierung ist in der medialen Massengesellschaft unvermeidbar. Im öffentlichen Diskurs gehen so viele Stimmen durcheinander, dass, um halbwegs die Übersicht zu behalten, die Komplexität jeder Debatte radikal heruntergebrochen werden muss: auf ein Schema mit zwei Polen, auf dem sich jeder Beitrag irgendwo einordnen lässt. „Die Frage ist also nicht, ob die Gesellschaft polarisiert ist, sondern welche Polarisierung man in welchen Situationen politisch wie fruchtbar machen kann“, schreibt Kumkar. Aktuell seien Akteure wie die AfD darin besonders erfolgreich. Aber dabei müsse es nicht bleiben.
Tatsächlich haben auch die Grünen schon in den letzten Jahren regelmäßig polarisiert, meist unfreiwillig. Zum Teil passierte es ganz ohne eigenes Zutun: Zur Bundestagswahl hätten sie auch ein Schweinenackensteak als Spitzenkandidat aufstellen können – den Vorwurf, den Leuten das Grillen verbieten zu wollen, wären sie trotzdem nicht losgeworden. In anderen Fällen haben die Grünen selbst einiges beigetragen, beim Heizungsgesetz und in Ukraine-Diskussionen zum Beispiel. Selbst da hatten sie nicht strategisch darauf gesetzt, mit Polarisierung Mehrheiten zu schaffen. Sie fanden ihre Positionen einfach richtig und dringlich. Daraus Spaltungsgeschichten zu basteln, überließen sie anderen. Ihre Gegenspieler durften definieren, wo die Konfliktlinien verlaufen und wer auf welcher Seite steht. Im Falle des Heizungsgesetzes: hier eine breite Allianz aus fast allen Parteien, den Gasunternehmen und dem Rentner mit dem kleinen Häuschen – dort die Grünen. Bei ihnen blieben nicht mal mehr die letzten Versprengten von Fridays for Future.
„Polarisieren, aber richtig“, rät Soziologe Kumkar in seinem Buch. Daran versuchen sich jetzt Grüne wie Lang und Parteichef Felix Banaszak. Zwar bezeichnet es keiner von ihnen so, die meisten würden den Begriff sogar zurückweisen. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Nicht mal ein Söder stellt sich beim Spalten der Gesellschaft hin und sagt: Jetzt spalte ich mal die Gesellschaft.
Es wird sich auch kaum ein Grüner finden, der einmal quer durchs Parteiprogramm polarisieren möchte. In der von Friedrich Merz angestoßenen „Stadtbild“-Debatte zum Beispiel nahm Banaszak selbst eine Mittlerposition ein: über Migrationsprobleme sprechen, aber differenziert. Begründet hat er das explizit damit, keine amerikanischen Verhältnisse zu wollen, in denen die Gesellschaft kein gemeinsames Gespräch mehr führen kann.
Arbeiten an einer neuen Erzählung
Doch an ausgewählter Stelle findet sich die neue Härte: dort, wo Fragen von Klima, Macht und Geld aufeinandertreffen. In einem Interview mit der Zeit fordert Banaszak „mehr Klassenkampf“ gegen „Überreiche und Fossilkonzerne“. Auch einige Absätze in einem Vorstandsantrag für den Parteitag Ende November tragen seine Handschrift. Sie drehen sich um die „fossile Lobby“: Sie kämpfe gemeinsam mit den Rechtspopulisten für eine Welt, „in der einige wenige sich auf Kosten der Lebenschancen der Menschen“ bereichern. In Zukunft, so die Forderung, sollen fossile Konzerne Abgaben in einen neuen Fonds zahlen und stärker für Klimaschäden aufkommen als die Allgemeinheit. Konkrete Modelle dafür wolle man erarbeiten.
Der Ansatz ist also, nicht die Ambitionen in der Klimapolitik herunterzufahren, sondern die Konfliktanordnung mit Hilfe einer populären Erzählung umzustellen. Im Idealfall sortieren sich die Pole dann neu: hier die Grünen mit dem Rentner, den Fridays und sogar dem Teil der Wirtschaft, der bei der Transformation mitzieht – dort der klägliche Rest.
So weit die schöne Theorie, gegen die sich im nächsten Schritt natürlich eine ganze Reihe von Bedenken auflisten ließe. Zum Beispiel: dass so ein Kurs, um nach außen wirklich sichtbar zu werden, von der Partei breit getragen werden muss. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass er bei den Grünen mehrheitsfähig ist. Ein ähnliches Wording wie bei den Parteilinken Lang und Banaszak tauchte im Sommer schon in Teilen eines Strategiepapiers auf, das die Realo-Fraktionschefin Britta Haßelmann mit ihrer Kollegin Katharina Dröge verfasst hat. Für den Parteitag gibt es Anträge, die Klima-Vorschläge des Vorstands noch stärker zuzuspitzen, die Feindbilder plastischer zu zeichnen: mit der Forderung nach höheren Abgaben für Privatjets oder einer fixen Übergewinnsteuer für Profite aus Öl, Gas und Kohle.
Andere Grüne haben aber auch Gegenanträge gestellt, in denen Konsequenzen für fossile Konzerne vager beschrieben oder gar nicht mehr gefordert werden. Mehrheiten für Klimaschutz gebe es nur, wenn er keine Arbeitsplätze gefährdet, heißt es in einem davon. Symbolhaft könnte die Frage auf dem Parteitag auch anhand des für 2035 geplanten Verbrenner-Aus diskutiert werden: Die Bundespartei möchte an der Jahreszahl festhalten. Ein Landtagsabgeordneter aus Baden-Württemberg hat beantragt, sie aus dem Klimaantrag zu streichen – so wie auch Spitzenkandidat Cem Özdemir keine feste Vorgabe mehr will.
Und die Südwest-Grünen haben ja auch einen Punkt. Natürlich ließe sich im anstehenden Wahlkampf wunderbar gegen die Autokonzerne im Land polarisieren, die zu lange an ihrem fossilen Geschäftsmodell festhalten. Die Angestellten identifizieren sich aber stark mit ihren Arbeitgebern und deren Interessen: Geht es dem Daimler gut, geht es uns gut. Die Facharbeiterin und die Aktionärin spalten? Viel Erfolg damit. Vom Widerspruch aus der Südwest-CDU, die auch nach der Landtagswahl die einzige grüne Machtoption sein könnte, ganz zu schweigen. Richtig zu polarisieren, ist also gar nicht so einfach. Aber die Grünen fangen ja gerade erst damit an.
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