Ökonomin über neue Milliardenschulden: „Der Nutzen übersteigt die Kosten“
In dieser Woche stimmt der Bundestag über den Bundeshaushalt 2026 ab, inklusive neuer Schulden. Warum die jüngeren Generationen dennoch profitieren.
taz: Rund ein Drittel des Bundeshaushalts 2026 stammt aus neuen Schulden. Die schwarz-rote Koalition beschließt das in der letzten Novemberwoche im Bundestag. Sollten sich junge Leute darüber Sorgen machen?
Geraldine Dany-Knedlik: Unbedingt, und es wäre gut, wenn sich mehr von ihnen an der Diskussion beteiligten. Denn die heute jungen Generationen werden diese Schulden in Zukunft abarbeiten – nicht diejenigen, die jetzt bereits kurz vor der Rente stehen. Wichtig für erstere ist auch, dass wir das System der Altersvorsorge reformieren. Wenn wir es richtig anfangen, kann aus alldem eine optimistische Geschichte entstehen.
taz: Die Jungen erben zwar die hohen Staatsschulden, aber bekommen sie auch etwas dafür?
Dany-Knedlik: Wenn es funktioniert, leben sie später in einem Land, dessen Volkswirtschaft mit modernen Anlagen und einer guten Infrastruktur ausgestattet ist. Die Regierungen müssen die frischen Kredite aber auch wirklich in zusätzliche Investitionen stecken, in die Digitalisierung der staatlichen Verwaltung, bessere Kitas, Schulen und Universitäten. Falsch wäre es dagegen, mit den neuen Schulden laufende Ausgaben zu finanzieren. Das würde keine Wachstumsperspektive schaffen.
Geraldine Dany-Knedlik leitet das Konjunkturteam am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zusammen mit anderen Instituten berät sie die Bundesregierung. Zuvor arbeitete die Volkswirtin unter anderem bei der Europäischen Zentralbank und beim Internationalen Währungsfonds.
taz: Der Bundeshaushalt 2026 umfasst 525 Milliarden Euro. 180 Milliarden Euro davon sind Kredite, unter anderem für das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität. Die Zinsen belaufen sich auf 34 Milliarden Euro, in den nächsten Jahren steigt der Betrag wohl an. Ein Teil des frischen Geldes geht also gleich wieder flöten.
Dany-Knedlik: Aber spricht das gegen die Verschuldung? Ich denke nein. Wir müssen dringend in den Erhalt unserer wirtschaftlichen Substanz investieren, sonst erleiden wir künftig weitere Verluste. Das kostet eben Zinsen. Man hat zu lange mit den Ersatzinvestitionen gewartet. Da haben die älteren Generationen tatsächlich zu viel konsumiert und wenig investiert.
taz: Kann der Staat ewig so viele neue Kredite aufnehmen wie augenblicklich?
Dany-Knedlik: Das geht nur eine gewisse Zeit gut. Die Schulden müssen ja tragfähig bleiben. Das sind sie so lange, wie die Käufer deutscher Anleihen glauben, dass der Staat später die Zinsen zahlen und die Kreditaufnahme auch wieder verringern kann. Dafür müssen wir die Wirtschaft heute in den Zustand versetzen, dass sie morgen genug Wachstum hervorbringt, und zwar so viel, dass dieses Wachstum langfristig höher ist als der durchschnittliche Zins. Wenn das kippt, wird Schuldenabbau schwieriger.
taz: Die Schuldenstandsquote beträgt augenblicklich etwa 64 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Wirtschaftsleistung. In zehn Jahren mag sie auf 85 Prozent zunehmen. Weiß man, wo die Grenze liegt, hinter der die Staatsverschuldung gefährlich hoch wird?
Dany-Knedlik: Das lässt sich nicht objektiv sagen. Es hängt vom jeweiligen Staat und seinen Bedingungen ab. Die USA und Japan haben Staatsschuldenquoten in der doppelten und dreifachen Größenordnung im Vergleich zu uns.
taz: Die kreditfinanzierten Investitionen in den kommenden zehn Jahren bedeuten, dass vielleicht 1.500 Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur und die Bundeswehr fließen. Um wie viel erhöht das momentane kreditfinanzierte Programm die Wirtschaftsleistung?
Dany-Knedlik: In 2026 schätzen wir den Gesamteffekt des expansiven Impulses auf 0,8 Prozentpunkte und in 2027 auf 0,4 Prozentpunkte. In späteren Jahren kann die Wirkung zunehmen.
taz: Wie genau kommt durch staatliche Investitionen Wachstum zustande?
Dany-Knedlik: Nehmen wir als Beispiel eine Autobahn, die man ausbaut. Die Bauverwaltung kündigt das an, Bauunternehmen rechnen sich Chancen für Aufträge aus. Sie kürzen keine Jobs, stattdessen stellen sie neue Leute ein und ersetzen alte Fahrzeuge. Die Beschäftigten geben das zusätzliche Geld aus, ebenso die Lieferanten. Davon profitieren weitere Firmen, der Wirtschaftskreislauf kommt in Schwung.
taz: Lässt eine neue Autobahn, Bahnlinie oder Höchstspannungsleitung das BIP stärker steigen als eine neue Munitionsfabrik?
Dany-Knedlik: Auf jeden Fall. Mit der Herstellung von Munition verdienen zwar auch Leute Geld und geben es aus. Danach werden die Geschosse jedoch ins Lager gestellt oder verfeuert und lösen selbst kein weiteres Wachstum aus. Im Gegensatz zu einer Autobahn oder Bahnlinie: Diese ermöglichen Verkehr, der zusätzlichen Wohlstand erzeugen kann. Wobei außenpolitische Sicherheit eine Grundvoraussetzung für anhaltendes Wirtschaftswachstum darstellt.
taz: Wenn die kreditfinanzierten Investitionen nun zehn Jahre lang jeweils ein Prozent zusätzlichen BIP-Wachstums erzeugten, stiege die deutsche Wirtschaftsleistung in einer Größenordnung von über 500 Milliarden Euro. Vielleicht 300 Milliarden Euro flössen als zusätzliche Löhne an die Arbeitnehmer-Haushalte. Keine schlechte Bilanz?
Dany-Knedlik: Wenn man die Verteilung betrachtet, dürften die Investitionen auch zu höheren Einkommen von Privathaushalten führen. Davon profitieren auch die jüngeren Generationen.
taz: Kann man insgesamt davon ausgehen, dass der Wohlstandseffekt des Verschuldungsprogramms höher ausfällt als die Kosten?
Dany-Knedlik: Ich halte es für plausibel, dass der Nutzen die Kosten übersteigt. Auch das ist eine gute Nachricht für junge Leute. Das trifft aber nur zu, wenn wir gleichzeitig Reformen im regulären Bundeshaushalt vornehmen.
taz: Welche Reformen?
Dany-Knedlik: Ausgaben, die den Etat stark belasten, sollten wir verringern. Dabei geht es um den Zuschuss von etwa 120 Milliarden Euro pro Jahr in die Rentenversicherung, was mehr als 20 Prozent des Bundesbudgets ausmacht. Das können wir uns auf die Dauer nicht leisten.
taz: Wie reduziert man ihn?
Dany-Knedlik: Aus ökonomischer Sicht liegt der Kernpunkt in der demografischen Entwicklung. Viele Beschäftigte gehen in Rente, es kommen nicht genug Arbeitskräfte nach. Um die Lücke zu verringern, würde es helfen, das Arbeitsvolumen der aktiven Erwerbspersonen zu steigern. Ein Mittel könnte darin bestehen, das Renteneintrittsalter von 67 Jahren anzuheben, wodurch der Zuschussbedarf abnähme. Mehr Arbeitsmarkt-Partizipation von Frauen, die heute oft in Teilzeit arbeiten, hälfe ebenfalls. Und wir sollten Deutschland attraktiver machen für die Zuwanderung von Facharbeiter:innen.
taz: Die Jungen müssten dann ebenfalls länger arbeiten. Sind Sie zuversichtlich, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz für die heute 25-Jährigen positiv ausfallen wird?
Dany-Knedlik: Die jungen Generationen sind in einer guten Ausgangslage, wie die gesamte Gesellschaft. Die kreditfinanzierten Investitionen können beträchtliches Wachstum entfachen, wenn wir gleichzeitig hinter uns aufräumen. Ich finde es schlecht, immer nur pessimistisch zu urteilen. Wir sind die drittgrößte Ökonomie der Erde. Wir haben eines der besten Bildungssysteme, Bildung ist per se für alle zugänglich. Das sind perfekte Voraussetzungen, um die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert