Bundesverfassungsgericht: Beschluss bei Abschiebungen erforderlich
Ohne Durchsuchungsbeschluss öffnete die Polizei die Wohnheimtür eines Guineers, um ihn abzuschieben. Das geht so nicht, sagt das Verfassungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, bevor die Polizei das Zimmer eines Flüchtlings betritt, der abgeschoben werden soll. Damit korrigieren die Karlsruher Richter die bisherige Praxis der Polizei, die Rechtsprechung und den Gesetzgeber.
Im konkreten Fall wollte die Polizei 2019 einen Mann aus Guinea aus seiner Asylunterkunft abholen, um ihn nach Italien zu überstellen, wo nach den Dublin-Regeln sein Asylverfahren stattfinden sollte. Weil die Tür seines Zimmers verschlossen war, setzte die Polizei eine Ramme ein und öffnete sie gewaltsam.
Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss hatte die Polizei allerdings nicht. Deshalb klagte der Guineer mit Unterstützung von Pro Asyl und der Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen das Vorgehen.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied im Januar 2025, dass für solche Abschiebungen kein Durchsuchungsbeschluss nötig sei. Die Polizei habe das Zimmer nicht durchsuchen müssen, da der Mann auf seinem Bett lag und von der Tür aus sichtbar war.
Auch Abschiebungen nachts nicht immer notwendig
Das Bundesverfassungsgericht wies diese Argumentation nun zurück. Die Polizei wisse vor dem Öffnen des Zimmers nicht, ob die gesuchte Person gut sichtbar auf dem Bett liege oder sich unter dem Bett verstecke. Es könne nicht vom Verlauf der Durchsuchung abhängen, ob hierfür ein Durchsuchungsbeschluss erforderlich sei. Ein unabhängiger Richter müsse vorab prüfen, ob die Durchsuchung notwendig und verhältnismäßig sei. (Az.: 2 BvR 460/25) (Az.: 2 BvR 460/25)
Das Bundesverfassungsgericht kritisierte in seinem Beschluss auch den Gesetzgeber, der mit Paragraf 58 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz eine Norm schaffen wollte, die der Polizei das Betreten von Flüchtlingsunterkünften bei Abschiebungen ohne Durchsuchungsbeschluss erlaubt. Die Norm sei praktisch nicht anwendbar, weil sie keinen Durchsuchungsbeschluss vorsehe, so die Verfassungsrichter.
Künftig muss die Polizei also einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss einholen, bevor sie in das Zimmer eines Migranten eindringt, um ihn mitzunehmen. Dabei kann der Richter zum Beispiel prüfen, ob die Art und Weise der geplanten Abschiebung verhältnismäßig ist. So ist es nicht immer erforderlich, die Abschiebung mitten in der Nacht durchzuführen.
Der an diesem Donnerstag veröffentlichte Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts wurde federführend von Richter Ulrich Maidowski verfasst, der Anfang Oktober aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt geschieden ist.
Die Abschiebung des Guineers scheiterte 2019 trotz des forschen Vorgehens der Polizei aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen. Der Mann lebt deshalb immer noch in Berlin und macht heute eine Ausbildung.
„Endlich ist klargestellt: Der Schutz der Wohnung gilt auch für Geflüchtete“, erklärte Christoph Tometten, der Anwalt des Guineers.
„Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone, sondern als einziger und elementarer Rückzugsraum grundrechtlich besonders geschützt“, betonte GFF-Juristin Sarah Lincoln.
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in Zeiten, in denen die Rechte geflüchteter Menschen immer weiter infrage gestellt werden, ein wichtiger Denkzettel für die Regierung“, erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl.
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